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Die Materiefresser

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Die Materiefresser
Auf der Spur der Schwerkraftfallen. Schwarze Löcher sind unersättliche Schlünde im All. Neue Beobachtungen zeigen immer mehr von ihrer Vielfalt und Entstehung. Die kosmischen Staubsauger beeinflussen die Entwicklung der Galaxien und können Raum und Zeit buchstäblich erschüttern.

Schwarze Löcher sind die gewichtigste Sache der Welt: Nirgendwo im Universum ist mehr Materie auf engstem Raum konzentriert. Die Schwerkraft der Schwarzen Löcher ist so groß, daß sie alles in sich hineinsaugen – in einen Schlund der Raumzeit, wo die Alltagsphysik zusammenbricht und alles zermalmt wird. Nichts kann mehr entkommen, nicht einmal das Licht. Trotzdem mangelt es Astronomen und Physiker nicht an erhellenden Entdeckungen. Nachdem die kosmischen Mahlströme mehrere Jahrzehnte die unangefochtene Domäne der Theoretiker waren, gibt es inzwischen eine Flut von Beobachtungen. Sie betreffen einsame, verborgene Finsterlinge ebenso wie brachiale Energieschleudern und gigantische Massemonster im Zentrum ferner Galaxien. Stellare Schwarze Löcher sind so schwer wie drei bis einige Dutzend Sonnen, aber nur wenige Kilometer groß. Seit langem steht fest, daß sie die Leichen ausgebrannter, massereicher Sterne sind, deren Kerne in sich zusammenstützen. Über die genauen Vorgänge rätseln die Forscher noch. Unklar ist beispielsweise, ob ein Stern direkt zu einem Schwarzen Loch kollabieren kann oder ob er zuerst als Supernova explodiert. Ungewiß ist auch, ob sich ein Neutronenstern als Zwischenstadium bildet, der sich dann unter der Last nachfallender Materie in ein Schwarzes Loch verwandelt. Möglicherweise kennt die Natur mehrere Wege, um die finsteren Sternruinen zu erzeugen. Vor kurzem wurden erstmals direkte Indizien für die Entstehung eines Schwarzen Lochs nach einer Sternexplosion gefunden. Rafael Rebolo vom Institut für Astrophysik der Kanarischen Inseln auf Teneriffa und sein Team haben mit dem 10-Meter-KeckI-Teleskop auf Hawaii das Licht und die Ultraviolettstrahlung des Röntgendoppelsterns GROJ1655-40 analysiert, der auch unter dem Namen Nova Scorpii 1994 bekannt ist: ein zwei bis drei Sonnenmassen schwerer Stern, der im Abstand von zwölf Millionen Kilometer um ein unsichtbares Objekt kreist. Es ist vier bis achtmal so schwer wie unsere Sonne und muß daher ein Schwarzes Loch sein. Die spanischen Forscher entdeckten, daß schwere Elemente wie Sauerstoff, Magnesium, Silizium und Schwefel sechs- bis zehnmal häufiger in der Hülle des Sterns vorkommen als in unserer Sonne. Der Stern kann diese Elemente nicht selbst erzeugt haben, dazu ist er nicht heiß genug. Alle diese Elemente entstehen nur im Inneren von 25 bis 40 Sonnenmassen schweren Riesensternen bei Temperaturen von über drei Milliarden Grad – und zwar binnen weniger Sekunden, bevor ein solcher Stern als Supernova explodiert. Dann schleudert er einen Teil der erbrüteten Atome in den Weltraum. So war es auch bei dem Vorläuferstern des Schwarzen Lochs von GRO J1655-40, glaubt Rebolo. Als der Stern vor weniger als einer Million Jahre zur Supernova wurde, katapultierte er mehr Materie ins All, als unsere Sonne insgesamt besitzt. Ein Teil davon wurde von dem Nachbarstern aufgesammelt – die schweren Elemente sind gleichsam die Speisereste dieses kannibalischen Aktes. Eisen ist in dem Stern aber nicht angereichert – ein zusätzliches Indiz für die Geburt eines Schwarzen Lochs bei der Supernova. Denn Eisen entsteht in tieferen Schichten, die größtenteils von dem sich bildenden Schlund verschlungen werden. Am anderen Ende des Spektrums der kosmischen Mahlströme stehen die galaktischen oder supermassiven Schwarzen Löcher. Sie wiegen so viel wie eine Million bis hundert Milliarden Sonnen. Möglicherweise hat jede Galaxie ein solches schweres, dunkles Herz. Inzwischen mehren sich sogar die Indizien, daß diese zentralen Massekonzentrationen die Entwicklung der Milchstraßen prägen und vielleicht sogar überhaupt erst in Gang gesetzt haben. Die galaktischen Schwerkraftfallen in aktiven Galaxien und Quasaren verschlingen jährlich bis zu einer Sonnenmasse an Materie. Ihr „Todesschrei“ erzeugt so viel Energie, daß die Zentren dieser Galaxien noch über Entfernungen von Milliarden Lichtjahren sichtbar sind. Aber auch normale Galaxien bergen dunkle Geheimnisse. Andrew Wilson von der University of Maryland in College Park fand bei einer hochauflösenden Durchmusterung von 100 nahen Galaxien mit Radioteleskopen bei einem Drittel Anzeichen dafür, daß dort zentrale Schwarze Löcher Materie aufsaugen. In den anderen haben solche Finsterlinge ihre Umgebung wohl schon „leergefressen“. Sie machen sich dann nur noch durch ihren Einfluß auf die Bewegung von Sternen bemerkbar. Mit dem Hubble-Weltraumteleskop hat Richard Pogge von der Ohio State University in Columbus die zentralen Bereiche von 24 Spiralgalaxien beobachtet. Die Kombination von Aufnahmen im infraroten Bereich und im sichtbaren Licht zeigte, daß sich in 20 der Galaxien staubige Minispiralen verbergen. „Das sind die Futterquellen der Schwarzen Löcher“, erklärt Pogge. Douglas Richstone von der University of Michigan in Ann Arbor fand bei einer Untersuchung von 20 gewöhnlichen Galaxien sogar in jeder ein Schwarzes Loch. Die Massen der Schwerkraftfallen liegen zwischen dem 1,4millionen- und 3,3milliardenfachen der Sonne. Ergebnis der statistischen Analyse: Je massereicher das Schwarze Loch, desto massereicher ist auch der sogenannte „Bulge“ – die ungefähr kugelförmige Zentralregion von Spiralgalaxien, die im Gegensatz zu den Spiralarmen aus alten Sternen besteht. Die zentralen Schwarzen Löcher wiegen stets etwa 0,2 bis 1 Prozent des Bulges. „Die Bildung und Entwicklung der Galaxien scheint mit einem zentralen Schwarzen Loch eng verbunden zu sein“, lautet Richstones Schlußfolgerung. Vielleicht ist dies ein Indiz für eine hierarchische Galaxienbildung: Größere Milchstraßen entstehen aus der Verschmelzung von kleineren, und dabei vereinigen sich auch die zentralen Schwarzen Löcher. Und je älter eine Galaxie ist, desto mehr Zeit hatten die kosmischen Staubsauger, durch den Zustrom von Materie zu wachsen.

Gordon Garmire von der Pennsylvania State University, University Park, geht noch einen Schritt weiter. Für ihn sind Schwarze Löcher Gravitationskeime für neue Galaxien: Erst durch die attraktive Wirkung der Schwerkraftfallen konnten sich Galaxien aus dem einst gleichmäßig verteilten Urgas bilden. Freilich sind nicht alle Astronomen von diesen Hypothesen überzeugt. Martin Rees von der Cambridge University geht beispielsweise davon aus, daß die galaktischen Schwarzen Löcher erst später entstanden sind – durch den Kollaps ganzer Sternhaufen. Aber auch er gibt zu, daß die dunklen „Herzen“ die Entwicklung der Galaxien beeinflussen, zum Beispiel die Gestalt und Sternentstehungsrate. Schwarze Löcher stehen uns also näher, als wir glauben: Wenn sie nicht wären, hätten sich die kosmischen Bedingungen ganz anders entwickelt, und wahrscheinlich gäbe es dann gar keine Menschen. Es ist erstaunlich, daß ein Objekt kleiner als das Sonnensystem eine riesige Galaxie aus Milliarden von Sternen beeinflussen kann. Stellare und galaktische Schwarze Löcher sind noch nicht alles, was die Natur an kosmischen Kolossen zu bieten hat. Kürzlich fanden mehrere japanische und amerikanische Forschergruppen unabhängig voneinander Hinweise, daß es auch mittelschwere Schwarze Löcher gibt – Himmelskörper, die 100- bis 10000mal so schwer sind wie die Sonne, aber kleiner als unser Mond. Sie verraten sich durch subtile Veränderungen im Röntgenspektrum von Galaxien, die mit dem deutschen Röntgensatelliten Rosat und dem japa- nischen ASCA aufgenommen wurden. Noch deutlichere Indizien für diese neue Klasse Schwarzer Löcher lieferte eine Studie der elf Millionen Lichtjahre entfernten irregulär geformten Galaxie M 82. In ihr entstehen ungewöhnlich viele neue Sterne. Deshalb explodieren dort auch viele Supernovae – die Voraussetzung für die Geburt stellarer Schwarzer Löcher. „Millionen Schwarze Löcher müssen in den letzten zehn Millionen Jahren in M 82 entstanden sein“, sagt Andrew Ptak von der amerikanischen Carnegie Mellon University. „ Wahrscheinlich haben sich einige von ihnen inzwischen zu größeren Schwarzen Löchern vereinigt.“

Kie Kollision stellarer Schwarzer Löcher ist der wahrscheinlichste Weg, wie sich mittelschwere Schwarze Löcher bilden können. Zwar ist ein frontaler Zusammenstoß im All äußerst unwahrscheinlich. Doch die Mehrzahl der Sterne im Universum steht nicht allein, sondern kreist zu zweit oder dritt um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Wenn sie genug Masse haben, kollabieren sie an ihrem Lebensende zu Schwarzen Löchern, die den kosmischen Tanz weitertreiben. Aber dabei geht Gravitationsenergie verloren, die in Form von Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit abgestrahlt wird – als winzige Deformationen der Raumzeit, die periodisch gestreckt und gestaucht wird (bild der wissenschaft 10/1999, „Die Schwingungen der Raumzeit“). Dieser Energieverlust setzt eine Spirale der Zerstörung in Gang: Die Schwarzen Löcher kommen sich immer näher und prallen schließlich aufeinander. Physiker liegen bereits auf der Lauer, um diese kosmischen Erschütterungen zu messen. „Kollidierende Schwarze Löcher gehören zu den aussichtsreichsten Kandidaten für den Nachweis von Gravitationswellen“, sagt Edward Seidel, Professor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm bei Potsdam. Mit seinen Mitarbeitern Bernd Brügmann und Werner Benger sowie ausländischen Forschern hat er erstmals genau berechnet, was bei einem solchen Zusammenstoß geschieht. Die Rechnungen zeigen, daß sich die Ereignishorizonte der Schwarzen Löcher erdnußförmig verzerren, bevor sie wie zwei Wassertropfen miteinander verschmelzen. Dabei nimmt die Stärke der Gravitationswellen innerhalb weniger millionstel Sekunden rasant zu. Auch ihre Frequenz steigt rapide. Zwei Schwarze Löcher mit 10 und 15 Sonnenmassen, die aus rund 50 Kilometern Abstand in weniger als 0,2 tausendstel Sekunden ineinanderfallen, senden ungefähr ein Prozent ihrer Gesamtmasse in Form von Gravitationswellen aus. „ Das ist ein gigantischer Energiebetrag, der etwa tausendmal größer ist als die Strahlung, die unsere Sonne im Lauf ihres fünf Milliarden Jahre langen Lebens freigesetzt hat“, sagt Bernd Brügmann. Schließlich klingen die Schwingungen – ähnlich wie bei einer Kirchenglocke – allmählich aus, während der Ereignishorizont der vereinigten Schwarzen Löcher wieder eine kugelförmige Gestalt annimmt. Auf der Erde ist von diesen kosmischen Supercrashs freilich kaum etwas zu spüren. Doch mit neuen Gravitationswellendetektoren, die in den nächsten Monaten mit ihren Messungen beginnen werden, wollen Physiker die Erschütterungen nachweisen. Leicht wird das nicht sein – doch das ist bei kosmischen Schwergewichten auch nicht zu erwarten.

Rüdiger Vaas

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