Die Naturwissenschaft kann leisten, was Religion und Moralphilosophie nicht gelungen ist – nämlich erklären, wie das Böse in die Welt kam. Das behauptet zumindest Lyall Watson, Biologe und Direktor des Zoos von Johannesburg zu Beginn seines Buches.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Theorie vom egoistischen Gen. Danach ist jedes Individuum nichts anderes als eine Marionette seiner Gene. Auch uns Menschen steuern sie nach dem Motto: Unternimm alles, um dich fortzupflanzen und damit das Weiterleben deiner Gene zu gewährleisten.
Locker, anschaulich und gewürzt mit einer Prise trockenem Humor breitet Watson eine Fülle von Belegen für seine These aus, daß der vererbte Egoismus die Wurzel allen Übels ist: Schimpansen täuschen andere Hordenmitglieder, um eine köstliche Frucht allein zu verzehren. Pinguine lassen Artgenossen den Vortritt beim Sprung ins Wasser, in dem ein gefährlicher Räuber wartet. Auch der Mensch ist ein böser Gen-Egomane in Sachen Fortpflanzung: Jedes fünfte Kind, ergaben Studien in England, ist ein „Kuckuck – von einem fremden Herrn ins Familiennest gelegt.
So überzeugend die biologische Erklärung in vielen Fällen ist – so problematisch ist die Theorie des Bösen, die Watson daraus entwickelt. „Böse“ nennt er zum Beispiel, wenn der Mensch ein Ökosystem stört. Umgekehrt ist Kopfjagd aus seiner Sicht legitim, da sie bei einigen Volksstämmen eine Art Bevölkerungskontrolle bewirkt. Wenn sie das ökologische Gleichgewicht sichere, so Watson, könne man sie als „wohlfundierte Entscheidung“ sehen.
Solche Gedanken wirken unvereinbar mit dem moralischen Appell am Ende des Buches: Wir Menschen könnten uns dem Diktat der Gene widersetzen und hätten die Pflicht, dem Leben auf der Erde ein Gewissen zu schaffen.
Lyall Watson DIE NACHTSEITE DES Lebens S. Fischer Frankfurt, 1997 390 S., DM 44,-
Bernhard Epping