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Die Suche nach dem Geist

Allgemein

Die Suche nach dem Geist
Gehirnforscher ringen um den „ Seelenfaktor“. Die letzte große wissenschaftliche Herausforderung in der Erforschung des Gehirns sehen Neurologen wie Philosophen in der Klärung des Problems, wie sich das „Ich“ selbst erkennt – und welche der kleinen grauen Zellen dafür verantwortlich sind.

So mancher Wissenschaftler wünscht sich eine gute Fee, die ihm seine brennendste Frage beantworten könnte. Prof. Christof Koch, Neurobiologe am California Institute of Technologie (Caltech) in Pasadena, weiß genau, was er sie fragen würde: „Gibt es im Gehirn besondere Zellen, die Bewußtsein vermitteln?“

Doch damit brächte er die Fee in arge Verlegenheit. Denn er rührt an ein Thema, das den Menschen begleitet, seit er sich über sich selbst Gedanken macht: Wo sitzt das, was wir Seele, Geist oder Bewußtsein nennen? Existiert es getrennt vom Körper oder Gehirn? Hat es einen biologischen Ursprung?

Jede bisherige Antwort darauf war subjektiv gefärbt. William James, der Begründer der amerikanischen Psychologie, erkannte bereits im vorigen Jahrhundert das Problem: „Bewußtsein ist etwas, das wir nur so lange kennen, bis uns jemand bittet, es zu definieren“, schrieb er. Damit schien sich Bewußtsein jedem verallgemeinerbaren wissenschaftlichen Zugriff zu entziehen. Das Thema blieb viele Jahrzehnte tabu. In der Psychologie herrschten die Verhaltensforscher, die nur beobachtbares Verhalten als Untersuchungsgegenstand zuließen. Den Neurowissenschaftlern war Bewußtsein ohnehin suspekt. Sie hatten zunächst genug zu tun, die einfacheren Gehirnleistungen wie Sprache oder Gedächtnis zu enträtseln.

Das änderte sich zu Beginn der neunziger Jahre. Nobelpreisträger wie John Eccles, Gerald Edelman oder Francis Crick entdeckten das Bewußtsein als „letzte große wissenschaftliche Herausforderung des Jahrhunderts“. Der englische Mathematiker Roger Penrose schrieb mit seinem Buch „Computerdenken“ gar einen Bestseller zu dem Thema.

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Im amerikanischen Tucson trifft sich seit 1994 alle zwei Jahre eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern, um über Bewußtsein zu debattieren. Die dortige Universität will ein „Zentrum für Bewußtseinsforschung“ gründen. Europa zieht nach. Im August findet in Dänemark die erste größere Konferenz zur Bewußtseinsforschung statt.

Das Spektrum ist fachübergreifend: Neurologen, Ärzte und Psychologen diskutieren über Bewußtsein mit Computerwissenschaftlern, Philosophen und Parapsychologen – nicht selten aber aneinander vorbei. Für die einen ist der Mensch nur ein Nervenbündel und Geist nicht mehr als das Zusammenspiel von Hirnzellen. Die als „Mysterians“ verspotteten Anhänger der Seelentheorie hingegen meinen, daß Bewußtsein stets unerklärlich bleiben werde. Forscher aus dem Bereich der Informatik sehen dagegen bereits Computer mit Bewußtsein (siehe Interview Seite 70).

Die Probleme beginnen mit der Frage: Was ist Bewußtsein? Dazu finden sich fast so viele Auffassungen, wie es Teilnehmer an der Debatte gibt. Der Philosophieprofessor David Chalmers aus Kalifornien stellt sich Bewußtsein als „subjektives, inneres geistiges Leben“ vor, das aus „Erfahrungszuständen“ gebildet wird. Für Roger Penrose ist der wichtigste Aspekt des menschlichen Geistes, daß er „nicht berechenbar“ sei und „nicht algorithmisch“ funktioniere: „Das Gehirn ist kein Computer.“ Andere sehen Bewußtsein als Produkt des Hirns – wie die Melodie, die das Produkt des Harfespiels ist und die im Raum schwebt, auch wenn sie sich schon vom Instrument gelöst hat.

Streit gibt es auch darum, wo Bewußtsein anfängt: Erst beim Menschen, oder handeln auch Tiere bewußt? Der Frankfurter Hirnforscher Prof. Wolf Singer billigt Bewußtsein – als Selbstbewußtsein – höchstens noch den Schimpansen zu. Diese seien die einzigen Tiere, die sich im Spiegel erkennen. Die Münchener Neuropsychologin Prof. Petra Stoerig dagegen meint, daß auch einfachste Lebewesen sich ihrer selbst bewußt sein müßten. Sonst könnten sie nicht überleben.

Doch auch das ist Definitionssache. Gerald Edelman (bild der wissenschaft 2/1996: „Ein Biologe will seinen zweiten Nobelpreis“) unterscheidet primäres und höheres Bewußtsein. Ersteres beschreibt einen Zustand in der Gegenwart: Man ist aufmerksam und sich der Umgebung bewußt. Das gilt sicher auch für Tiere. Höheres Bewußtsein – wie beim Menschen – hingegen beinhaltet Selbst-Bewußtsein, die Fähigkeit, sich in der Welt zu sehen und ein Gefühl für Vergangenheit und Zukunft zu haben. Der Affe, der sich im Spiegel erkennt, hat dies zumindest in Ansätzen. Eine andere, grundlegendere Unterscheidung führt Chalmers ein, wenn er vom „leichten“ und vom „harten“ Problem spricht. Leichte Fragen seien die nach Gehirnfunktionen wie Wahrnehmung, Lernen oder Sprache. Wie aber können Vorgänge im Gehirn zu subjektiver Erfahrung führen? Woher kommen Gefühle? Prof. Francis Crick, Mitentdecker der Struktur des Erbguts DNA, bezieht eindeutig Stellung: „Das ³Ich`, seine Freuden und Sorgen, Erinnerungen und Sehnsüchte, das Gefühl persönlicher Identität und freien Willens sind nichts weiter als das Verhalten einer großen Zahl von Nervenzellen.“

Eine ernüchternde Vorstellung? Glaubenssache. Aber die Idee liegt nahe, wenn man akzeptiert, daß der Mensch ein Produkt der Evolution ist. Schließlich ist, wie der Frankfurter Wolf Singer meint, im Vergleich zu den Tieren beim Menschen neurobiologisch nichts grundsätzlich Neues hinzugekommen.

Den detaillierten Beweis für die biologischen Wurzeln des Bewußtseins anzutreten, ist allerdings schwer. „Zwischen dem, was wir als Bewußtsein ansehen und dem, was wir mit neurobiologischen Begriffen erklären können, klafft immer noch eine riesige Lücke“, meint Christof Koch. Um sie zu schließen, sucht er zusammen mit Francis Crick nach dem „neuronalen Korrelat des Bewußtseins“. Die Frage lautet: Welche Hirnzustände gehen mit bestimmten Bewußtseinszuständen einher? Welche Neuronen sind bei Bewußtseinsvorgängen aktiv?

Crick und Koch setzen dabei an einem Teilaspekt an: dem visuellen Bewußtsein. Was ist ein wacher Mensch? Was passiert in seinem Gehirn, wenn er etwas sieht? Welche Neuronen sind dafür verantwortlich, wenn er sagt: Ich sehe Bewegung? Habe man erst die neuronale Grundlage für das bewußte Sehen verstanden, dann werde man auch die übrigen Bewußtseinsaspekte verstehen können, meint Koch.

Aber nicht alle Neuronen, die gerade aktiv sind, vermitteln auch Bewußtsein. Wahrscheinlich ist sogar die Mehrheit der aktiven Neuronen der Großhirnrinde mit unbewußten Aufgaben betraut. Das Phänomen „Blindsicht“ zeigt, daß es im Gehirn Zellen gibt, die visuelle Information verarbeiten können, ohne daß dies dem Menschen bewußt wird. Man bemerkte es erstmals an Menschen, die durch Schäden an der Sehrinde erblindet waren. Diese Patienten können auf Gegenstände weisen oder sie mit ihren Augen verfolgen – etwa, wenn der Arzt einen Finger bewegt. Sie streiten dennoch vehement ab, daß sie bei diesem Vorgang etwas gesehen haben.

Ein Eigenversuch kann auch bei Gesunden bestätigen, daß nicht alles, was er sieht, dem Menschen bewußt wird: Schauen Sie im Spiegel in Ihr linkes Auge, dann in Ihr rechtes Auge. Machen Sie das mehrmals. Bewegen sich Ihre Augen dabei? Eindeutig nicht. Oder? Ihr Partner, der Ihnen bei dem Versuch in die Augen schaut, wird schwören, daß sich Ihre Augen bewegt haben. Er hat recht. Das Gehirn hat Sie schlicht getäuscht und die Bilder während der Augenbewegung am Bewußtsein vorbei unterdrückt.

Bewußtes und unbewußtes Sehen zeigt auch das Phänomen der binokularen Rivalität. Es tritt auf, wenn beide Augen aus dem gemeinsamen Gesichtsfeld unterschiedliche Sehreize empfangen. Dazu teilt der Experimentator mit einem Spiegel das Gesichtsfeld der Versuchsperson und zeigt dem linken Auge ein Bild mit senkrechten, dem rechten eines mit waagerechten Strichen. Überlagern sich beide zu einem Schachbrettmuster? Nein, die Testperson sieht beide Bilder im Wechsel.

Bei der binokularen Rivalität sind beide Wahrnehmungen jeweils an eine Gruppe von Neuronen gebunden. Wolf Singer hat in Versuchen festgestellt, daß beide Neuronengruppen gleichzeitig aktiv sind. Die eine Gruppe tritt also nicht dadurch in den Vordergrund, daß die Aktivität der anderen unterdrückt wird. Dennoch kommen beide Ansichten nur abwechselnd ins Bewußtsein. Eine Schutzvorrichtung des Gehirns gegen widersprüchliche Sinnesreize?

Auch Koch ist überzeugt, daß sich Bewußtseinszustände an einzelnen Neuronengruppen festmachen lassen: „Ich halte die Auffassung, daß Bewußtsein eine ganzheitliche Eigenschaft des Gehirns ist und alle hundert Milliarden Hirnzellen daran beteiligt sind, für falsch.“ Statt dessen gehe es im Gehirn, wie überall in der Biologie, spezifisch zu. Koch schließt deshalb auch nicht aus, daß es „Bewußtseins“-Neuronen gibt – eine eigene Art von Hirnzellen mit speziellen Eigenschaften.

Hinweise auf die Spezifität von Hirnzellen liefern Versuche mit Affen. Der Experimentator führt dabei eine feine Elektrode in das Gehirnareal ein, in dem Wahrnehmungen verarbeitet werden. Sie mißt nur die Aktivität einer einzigen Nervenzelle. Man zeigt dem Affen nacheinander Bilder von Tieren, Menschen, Spielzeugen. Bei jedem Bild reagiert diese Zelle nur schwach. Aber dann, bei Bild 78 oder 301, gibt es einen heftigen Ausschlag am Meßgerät. Diese eine Zelle, so schließt Koch, antwortet spezifisch auf einen ganz bestimmten Reiz.

Gibt es also doch die legendäre „Großmutterzelle“, in der all das steckt, was ich mit meiner Oma verbinde: Ihr Gesicht, ihre Sprache, Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse? Nein, sagen die Forscher. Bewußtseinsinhalte werden nicht über einzelne Zellen, sondern über Gruppen vermittelt. Allerdings sind diese Zellverbände eher klein. 100 bis 1000 Neuronen könnten ausreichen, denkt Koch, um die umfassende Wahrnehmung „Großmutter“ zu ermöglichen.

Stimmt diese Hypothese spezifischer Gruppen von „Bewußtseinszellen“, dann hätte das weitreichende Folgen. Bewußtseinsinhalte ließen sich lokalisieren und – mit geeigneten Verfahren – vielleicht auch manipulieren. Mehr noch: Liegen Neuronen für Bewußtsein fest, dann muß es dafür auch Gene geben. Könnten Molekularbiologen also die Gene finden, die zum Beispiel für die Bewußtseinszellen „freier Wille“ zuständig sind? Das ist derzeit Spekulation – aber nicht grundsätzlich auszuschließen (bild der wissenschaft 9/1996, „Der Mensch – Marionette seiner Gene?“).

Aber es gibt ja noch das „harte“ Problem. Woher kommt denn das Gefühl, das eine Rose im warmen Licht der Abendsonne auslöst? Was führte die Hand Leonardos, als er die Mona Lisa malte? Warum sollten Zellen, die die bewußte Farbwahrnehmung vermitteln, damit auch noch Gefühle verbinden? Zwischen psychischer Realität (Gefühl) und Hirnsubstrat klafft offenbar eine Lücke. Kommt hier doch die „Seele“ ins Spiel?

Wolf Singer hat dafür eine plausible Lösung. Das höhere Bewußtsein unterscheide sich zwar von den einfachen Bewußtseinsformen, habe aber dennoch seine Grundlage im Gehirn. Genauer gesagt, in der Großhirnrinde. Die hochentwickelten Gehirne von Menschen und Menschenaffen unterscheiden sich von den Gehirnen weniger entwickelter Wirbeltiere im wesentlichen durch das größere Volumen ihrer Großhirnrinde. Hier müßte also das angesiedelt sein, was dem Menschen eigen sei: Das Bewußtsein.

Die Großhirnrinde wirkt wie ein „inneres Auge“, sagt Singer. Sie verarbeitet die Ergebnisse, die aus den primären Bewußtseinsleistungen stammen. Dieser Vorgang ermögliche die Leistungen des höheren Bewußtsein.

Wie aber entsteht hieraus das Gefühl persönlicher Identität und subjektiver Empfindungen? Singer meint: durch den Dialog zwischen Gehirnen. Bewußtsein wäre damit keine Eigenschaft eines einzelnen Hirns, sondern bildet sich nur in der Wechselwirkung mit anderen.

Der prägende Dialog soll vor allem in der frühen Kindheit stattfinden. Hier macht das Kind die Erfahrungen mit der sozialen Umwelt, die das genetisch vorgegebene rohe Gehirn zu dem Netz verknüpfen, das letztlich unsere Individualität und Persönlichkeit ausmacht. Darüber, wie groß der genetisch gegebene und der im Umgang mit der Welt erworbene Anteil jeweils ist, wird immer noch gestritten.

Die Rolle der frühen Kindheit erklärt auch, warum bestimmte Aspekte des Bewußtseins geheimnisvoll bleiben: Es fehlt die Erinnerung an die Zeit vor und während seiner Entstehung. „Wir fallen einem Zirkel anheim“, meint Singer: „Bewußte Erinnerung setzt erst dann ein, wenn sich das Bewußtsein seiner selbst herausgebildet hat.“

Sie haben vielleicht beide recht: Die Neurobiologen, die auf der Suche nach der materiellen Basis des Bewußtseins sind, und die Philosophen, die das „Extra“ der menschlichen Hirnleistung suchen. Dieses „Extra“ liegt nicht außerhalb des Gehirns. Aber es ist auch nicht darauf zu reduzieren. Es entstammt einem komplizierten Zusammenspiel von individueller Entwicklung und sozio-kultureller Umwelt.

Not tut nach Singer eine neue Forschungsdisziplin, die die Wechselwirkungen in hochkomplexen Systemen erklären kann. Sie könnte vielleicht die Philosophen und Neurobiologen wieder zusammenbringen – in einer „Wissenschaft vom Bewußtsein“.

Heinz Horeis

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