Der Journalist, der sich auf einer Party mit dem Astronomen Richard West unterhielt, geriet ins Schwärmen: „Sie haben den schönsten Beruf, den ich mir vorstellen kann: Sie sitzen nachts an Ihrem Teleskop, schauen in die Sterne und suchen die Geheimnisse des Weltalls zu ergründen.“
West hatte 1976 den berühmten Kometen entdeckt, der später nach ihm benannt wurde. Heute ist er Mitarbeiter an der Europäischen Südsternwarte ESO in Garching. „Mit dem schönsten Beruf haben Sie schon recht“, erwiderte er zögernd, „doch der Alltag eines Astronomen sieht anders aus. Das Bestaunen des Nachthimmels ist für ihn nur ein Hobby – wenn er überhaupt dazu kommt.“
Die großen Teleskope reizen wohl jeden Amateur, nachts einmal damit in den Himmel zu schauen, um die Schönheiten des Firmaments zu bestaunen. Doch das ist selbst den professionellen Astronomen verwehrt, denn ein modernes Großteleskop hat gar kein Okular mehr zum Durchschauen. Das Auge des Himmelsforschers haben längst raffinierte Meßgeräte ersetzt.
Bei seiner Beobachtung sieht der Astronom das Teleskop gar nicht, denn er sitzt im Kontrollraum vor Bildschirmen. Und er ist gar nicht in der Lage, das Teleskop zu bedienen. Dazu gibt es Fachleute: einen „Maschinenführer“, der mit der komplizierten Großmaschine Teleskop umgehen kann, und einen Fachastronomen, der als Schnittstelle zwischen dem forschenden Astronomen und dem Teleskop in der Kuppel sitzt. Der Kontrollraum kann Tausende von Kilometern entfernt sein – zum Beispiel bei der ESO in Garching, von wo aus mit einer Satellitenschaltung die Teleskope auf dem Berg La Silla in Chile bedient werden.
„Der Abstand zwischen Teleskop und Astronom“, erklärt Richard West, „ist ständig größer geworden. Der Astronom von heute ist in erster Linie Physiker. Er befaßt sich mit Objekten, zu denen er keinerlei Blickkontakt hat. Er weiß kaum, in welchem Sternbild sie stehen.“
Die großen Teleskope werden mit Hilfe einer Computersteuerung auf die gewünschte Stelle am Himmel gerichtet: Der Astronom tippt die Koordinaten ein – das ist sein ganzer Kontakt mit dem Objekt. Und er ist in Zeitdruck: In der Regel stehen einem Astronomen für die Beobachtungen seines Forschungsprojekts etwa zwei Stunden zur Verfügung, die ein halbes Jahr zuvor eingeplant wurden.
„Der Himmel ist den Astronomen entrückt“, bedauert Prof. Gustav Andreas Tammann. Er arbeitet als Astronom bei der ESO und am astronomischen Institut der Universität Basel. Seine Hauptaufgabe ist die Messung ferner Galaxien: Deren Entfernung ist eine wichtige Größe für die Bestimmung der Hubble-Konstante, die wiederum ein Maß ist für die Expansion des Universums, für seine Größe und sein Alter.
Tammann hat ungezählte Galaxien mit den Teleskopen auf La Silla vermessen. „Teleskope sind heute hochkomplizierte technische Laboratorien, die mit dem Nachthimmel nur noch insofern zu tun haben, als durch einen engen Kanal ein paar Photonen kommen, die gemessen werden. Noch vor wenigen Jahrzehnten war das ganz anders. Da gab es noch nicht die großen Teleskope in Gegenden, wo der Himmel garantiert klar ist und wohin die meisten Astronomen heute reisen können. Damals waren sie viel mehr vom Wetter abhängig. Ich habe das in Göttingen als Student in den sechziger Jahren selbst erlebt: Wir nahmen private Einladungen viel lieber bei Vollmond oder schlechtem Wetter an. Beobachtungszeit war damals kostbar, wir mußten jedes schöne Wetter nutzen.“
Die professionelle Beschäftigung mit den funkelnden Sternen ist weit entfernt von träumerischen Schwärmereien. Das tägliche Brot eines Astronomen ist der mühsame Umgang mit Datenbergen. Auffällig ist, daß jede astronomische Karriere an einem Amateur-Teleskop begann. Spätestens während des Studiums kam dann die Ernüchterung: Astronomie studieren heißt nicht, die Nächte am Okular eines Teleskops zu verbringen, sondern Mathematik und Physik zu büffeln – für manche der Abschied vom Traumberuf.
So könnte es in wenigen Jahren auch der 15jährigen Nurel aus dem schwäbischen Bad Cannstatt ergehen, die zum Geburtstag ein Teleskop bekam und nun an jedem klaren Abend unter den Sternen spazierenschaut. Sie hat ein Himmelstagebuch angelegt, in dem sie ihre Beobachtungen einträgt und alles, was sie in Büchern Wissenswertes über den Himmel liest. Doch Mathe und Physik in der Schule gehören nicht zu ihren Stärken. Noch spielt sie mit dem Gedanken, Astronomin zu werden „
Aber nicht jeder, der als junger Mensch mit einem bescheidenen Fernrohr seine Begeisterung für die Sterne entdeckte, muß ja gleich Astronom werden. Man kann Astronomie auch als Hobby betreiben, als Mitglied eines Clubs oder einer Volkssternwarte.
Dazu ist es nicht erforderlich, ein Meister im Rechnen zu sein. Denn die Lichtschwankungen von Veränderlichen zu verfolgen oder Oberflächen von Planeten zu zeichnen, erfordert keine Mathematik. Amateure haben sogar schon häufig wesentliche Beiträge zur Astronomie geliefert – etwa durch eine lückenlose Beobachtung von Veränderlichen oder durch Himmelsüberwachungen, bei denen sie plötzlich aufflammende Novae oder sonstige Besonderheiten aufspürten: Die meisten Kometen wurden von Amateuren entdeckt.
Manche mögen enttäuscht sein, wenn sie beim Blick durchs Fernrohr an die faszinierenden Aufnahmen von großen Teleskopen denken, wie man sie in jedem Astronomiebuch findet. Diese professionellen Aufnahmen entstanden oft bei langer Belichtungszeit. Zu „sehen“ ist etwa vom Orionnebel auch im großen Fernrohr nur ein bescheidener, verwaschener Nebelfleck – die feinstrukturierten Filamente darin sind nur auf Fotos sichtbar. Und fotografisch lassen sich auch mit guten Amateurteleskopen faszinierende Bilder gewinnen.
Amateure kommen jedenfalls leichter ins Staunen als Berufsastronomen, für die der Umgang mit dem Erstaunlichen zum Alltagsgeschäft gehört. „Der Astronom muß objektiv arbeiten“, verteidigt Tammann seine Zunft, „deswegen sollte er bei der Arbeit seine Emotionen vergessen. Es gehört zum Alltagsgeschäft des Astronomen, mühsam mit Bergen von Daten zu hantieren, da ist leider wenig Platz für das besinnliche Staunen. Wenn ein Astronom mit so unvorstellbaren Größen wie Milliarden Lichtjahren hantiert, hat das für ihn nichts Wunderbares mehr, es ist für ihn eine gewohnte Längenangabe wie für den Architekten ein Meter. Für den besten – und erfolgreichsten – Astronomen heute ist nicht mehr der direkte Draht, die emotionale Bindung zum Himmel ausschlaggebend, er muß ein exzellenter Physiker sein. Für den normalen Menschen dagegen hat der Nachthimmel doch eine starke Bindung an etwas Göttliches. Das ist bei uns Astronomen recht weit in den Hintergrund getreten.“
Pater George Coyne, Direktor der Sternwarte des Vatikans, macht da eine Ausnahme. Er befaßt sich mit den Sternen allerdings nicht, um etwas über Gott zu lernen: Sein Forschungsgebiet sind zum einen Doppelsterne, bei denen einer der Partner ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch ist, zum anderen untersucht er protoplanetare Scheiben um junge Sterne – betreibt also eine ganz normale „weltliche“ Forschung. Dennoch meint Coyne: „Für mich ist die Beschäftigung mit Astronomie wie ein Gebet.“
Auch für Richard West ist der nüchterne Umgang mit Datenbergen und die Faszination der Himmelswunder kein Gegensatz. Wie bei den meisten Astronomen begann sein Weg zu den Sternen in früher Jugend: „Für mich war Astronomie zunächst das Beobachten. Ich ließ mich im Studium nicht von der notwendigen grauen Theorie abschrecken. Und als dann die neuen großen Teleskope auf La Silla entstanden und ich mit ihnen beobachten konnte – das war überwältigend für mich.“
Und nachdenklich fügt er hinzu: „Ich habe von meiner Begeisterung nichts verloren. Immer wenn ich auf La Silla bin, muß ich in jeder Nacht auch einmal draußen stehen, allein in der Stille unter dem funkelnden Sternenhimmel.“
Wolfram Knapp