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„Die Zivilgesellschaft muss jetzt das Thema Nachhaltigkeit selbst in die Hand nehmen“

5. Nachhaltigkeitskonferenz in Neumarkt erfolgreich zu Ende gegangen

„Die Zivilgesellschaft muss jetzt das Thema Nachhaltigkeit selbst in die Hand nehmen“

Viel Lärm um nichts. So haben diejenigen, die in Rio dabei waren, auf der 5. Nachhaltigkeitskonferenz in Neumarkt am 29. Juni, die Großveranstaltung am Zuckerhut zusammengefasst: „In Rio wurden Profitinteressen vor den Schutz der Umwelt und vor die Interessen künftiger Generationen gestellt“, sagte etwa Professor Hubert Weiger, der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. „Jetzt ist die Zivilgesellschaft gefordert.“

Eindrucksvoll hatte zunächst René Ngongo, Träger des „Alternativen Nobelpreises“, in einer „Botschaft des Südens“ den 160 Teilnehmern im Saal vor Augen geführt, welche Folgen unsere „normale“ Art des Wirtschaftens hat: Die Regenwälder des Kongo – sie sind nach dem Amazonas die zweitgrößten der Welt – werden weiter abgeholzt, weil sich Großkonzerne und ausländische Investoren in Zusammenarbeit mit der nationalen Regierung über die Naturschätze hermachen dürfen. Und weil viele Verbraucher nicht danach fragen, ob die Tropenhölzer, aus denen ihre Gartenmöbel oder Fensterläden hergestellt worden sind, nicht doch aus Raubbau stammen. Gleiches gilt für Handys und Computer: Kaum jemand frage danach, unter welchen Bedingungen die seltenen Erden abgebaut worden sind, die für ihren Betrieb unerlässlich sind.

Wie erfolgreich man gegen Raubbau vorgehen kann, zeigt das Beispiel Bremen: Die Stadt wurde im vergangenen Jahr zur Hauptstadt des fairen Handels gekürt. „In Bremen ist es uns gelungen, das Thema fairer Handel aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft zu befördern“, sagte Ulrike Hiller, Mitglied der Bremer Bürgerschaft und vor Ort eine der treibenden Kräfte in Sachen „Fair Trade“: „Wir haben viele Akteure der Stadt für den Gedanken des fairen Handels gewonnen, von denen man es nicht erwartet hätte.“ Das beginnt beim Werder-Fan-Club, der seinen Mitgliedern gezeigt hat, dass Fußbälle oft durch Kinderhände gefertigt werden und jeder beim Kauf eines Balls nach seiner Herkunft fragen sollte. Und es endet bei den Beschaffungsrichtlinien der Stadt Bremen, die nicht nur Tropenhölzer untersagen, sondern auch beim Kauf von neuen Computern Unternehmen bevorzugen, die das Thema „Seltene Erden“ im Blick haben. „Wir können nicht darauf warten, bis ein Computer komplett fair gehandelt wird, aber wir müssen damit anfangen, auf die ganze Lieferkette zu schauen“, sagt Ulrike Hiller.

Selbst Valentin Thurn, der mit seinem Dokumentarfilm „Taste the Waste“ unseren Umgang mit Lebensmitteln anprangert, weil hierzulande die Hälfte aller Lebensmittel vernichtet werden, konnte während der Nachhaltigkeitskonferenz auf positive Ansätze verweisen: Das neue Projekt „Foodsharing“, das von dem Filmemacher initiiert wurde, macht uns allen klar, dass jeder etwas dazu beitragen kann, weniger Lebensmittel zu vernichten. Bäcker haben sich reihenweise gemeldet, die ihre nicht verkauften Brote und Backwaren an Bedürftige weitergeben wollen“, freut sich Valentin Thurn. „Einzelne Supermärkte geben das ab, was sie bislang noch in gutem Zustand in die Tonne geworfen haben. Und Bürger leeren ihre Kühlschränke für das Projekt, bevor sie in Urlaub fahren.“ Wie wichtig es ist, dass die ganze Gesellschaft zum Umdenken kommt, zeigt ein Blick auf die Energiebilanz: Lebensmittelmüll ist für 15 Prozent der globalen Methan-Emissionen verantwortlich. Seine Halbierung würde so viele Klimagase einsparen wie die Stilllegung jedes zweiten Autos.

Mit Genugtuung hat die Neumarkter Lammsbräu als Initiator und Mitveranstalter der Nachhaltigkeitskonferenz die Tatsache zur Kenntnis genommen, dass auch im Bereich Lebensmittelmüll die Themen Bio-Landbau und Regionalität Teil der Lösung sind. Denn Bio-Lebensmittel an sich würden weit weniger auf dem Müll landen als konventionelle, sagte Valentin Thurn, schon allein deshalb, weil die Produkte im Bio-Bereich durch den höheren Preis auch eine höhere Wertschätzung hätten. Und je mehr die Produkte regional gehandelt und verkauft werden, desto weniger ginge verloren, weil auf den kurzen Transportwegen weit weniger Nahrungsmittel verderben. „Wer Lebensmittel nachhaltig und fair herstellt und dies für die Verbraucher auch nachvollziehbar macht, braucht sich um die Nachfrage nach seinen Produkten keine Sorge haben – auch wenn der Preis dafür etwas höher ist“, sagte dementsprechend Dr. Franz Ehrnsperger, der Inhaber der Neumarkter Lammsbräu.

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Auf Regionalität und Ökolandbau setzt auch Dr. Hans Herren, der Präsident des Millennium Instituts mit Sitz in Washington und Gründer der Schweizer Stiftung Biovision: „Ich hoffe die Zivilgesellschaft nimmt beim Ziel, den Hunger auf der Welt zu besiegen, die Herausforderung an. Nur dann, wenn es ein koordiniertes, starkes und v.a. gemeinsames Handeln der gleichgesinnten Akteure gibt, ist eine zukunftsfähige Zukunft noch zu erreichen.“

Auch Neumarkt selbst, Veranstalter der Nachhaltigkeitskonferenz, sieht sich auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Die Stadt in der Oberpfalz wurde bereits dreimal im Bereich „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ als „Stadt der Weltdekade“ ausgezeichnet. Seit September 2009 darf sich Neumarkt zudem „Fair-Trade-Stadt“ nennen. Neumarkt war damit erste Fair-Trade-Stadt Bayerns. Für ihr Engagement im Bereich Klimaschutz wurde Neumarkt am 26. April 2012 mit dem „Climate Star 2012“ ausgezeichnet – einer Auszeichnung des „Klima-Bündnisses der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder e.V.“ Dementsprechend betonte Neumarkts Oberbürgermeister Thomas Thumann bei der Eröffnung der Nachhaltigkeitskonferenz: „Ob Maßnahmen zum Klimaschutz, die Unterstützung des Fairen Handels oder ein verantwortungsbewusster Konsum – all dies sind Möglichkeiten, die von einer Stadt gemeinsam mit ihren Bürgerinnen und Bürgern und allen Akteuren gefördert und voran gebracht werden können und auch müssen!“

Hoffnungsvoll stimmen auch die Ergebnisse der Umwelt-Kinderakademie, die von der bioVerum-Stiftung bereits zum zweiten Mal parallel zur Nachhaltigkeitskonferenz veranstaltet wurde. Das Motto hieß „Neumarkter Kinder gestalten Zukunft. 83 Neumarkter Schülerinnen und Schüler aus den 3. bis 6. Klassen haben dabei als Klimabotschafter den Erwachsenen vor Augen geführt, dass ihre Zukunft auf dem Spiel steht, wenn sie in Sachen Energieverbrauch und CO2-Emissionen keinerlei Fortschritte erzielen. In Workshops haben sie einen 5-Punkte-Plan erarbeitet und diesen im Plenum den Erwachsenen vorgestellt. Ihr zentrales Anliegen: Schluss mit weiten Transportwegen rund um den Globus und so oft wie möglich saisonal, regional, biologisch und fair einkaufen. „Die Lösungen sind manchmal so einfach“, sagt Hemma Ehrnsperger, die Gründerin der BioVerum-Stiftung, „die Kinder haben sie uns in einfachen Worten gesagt.“ Den Vorschlag der Kinder, den Donnerstag generell in Neumarkt als „Klimatag“ zu gestalten, hat Oberbürgermeister Thumann spontan unterstützt, indem er die Schirmherrschaft übernommen hat. Auf der Bühne appellierten die Kinder eindringlich an die Erwachsenen, das Auto öfter mal in der Garage zu lassen und dem Leid der Tiere in der Massenhaltung ein Ende zu setzen.

Jetzt, da Rio aller Welt vor Augen geführt hat, dass von den großen Konferenzen nicht die großen Lösungen zu erwarten sind, hat die Nachhaltigkeitskonferenz in Neumarkt in aller Deutlichkeit gezeigt, dass keiner, dem das Thema am Herzen liegt, den Kopf hängen lassen muss. „Wir brauchen nicht nur eine Kulturwende zu mehr Nachhaltigkeit, wir sind bereits mitten drin“, betonte Hubert Weiger vom BUND. Als Beispiele nannte er nicht nur die vielen Initiativen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, sondern auch das Votum der Münchener gegen die dritte Startbahn am Flughafen: „Das ganz Besondere an diesem Votum ist es, dass sich Bürger, die keinerlei Nachteile vom Flughafenausbau haben, sich gegen ein scheinbar unverzichtbares Fortschrittsprojekt entschieden haben, weil sie einfach sagen: Genug ist genug!“

Foto: Manuela Knipp-Lillich/Stadt Neumarkt
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