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Dolly und die Folgen

Allgemein

Dolly und die Folgen
Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für die Menschheit: Aus einer Euterzelle klonierten schottische Wissenschaftler das Schaf Dolly.

Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag“, heißt es in Bertolt Brechts „Leben des Galilei“. Der neueste Beitrag trägt einen überraschend unwissenschaftlichen Namen: Dolly.

Jeder kennt Dolly, den blökenden Star, der am 23. Februar 1997 mit großem Effekt in die Medien gehievt wurde. Das unschuldige Wesen liefert Stoff für hitzige Debatten. Denn Dolly ist kein gewöhnliches Schaf. Dolly ist ein Klon – eine Kopie.

Das Original ist ein erwachsenes, sechs Jahre altes Schaf, das exakte und erbgleiche Vorbild von Dolly, die vor acht Monaten unter dem Mikroskop entstand. Ihr Dasein verdankt sie dem Fingerspitzengefühl ihres Schöpfers, des Embryologen Ian Wilmut vom Roslin Institute im schottischen Edinburgh.

Das Besondere an Dolly ist, daß sie kein gewöhnlicher Klon ist. Wäre sie einer, würde sich wohl kaum jemand über ihr Dasein erregen. Denn kloniert wird in der Tier- und Pflanzenzucht schon lange. Grundsätzlich zu unterscheiden sind zwei Klonierungsverfahren. In der Entwicklungsbiologie bedeutet klonieren, genetisch identische Zellen durch Zellteilung herzustellen. Dazu werden Keime, die durch die Verschmelzung einer Ei- und einer Samenzelle entstanden sind, während eines frühen Entwicklungsstadiums in einzelne Zellen zerteilt. Jede dieser Zellen kann zu einem Organismus heranwachsen. Diese Art der Klonierung kommt auch in der Natur vor, zum Beispiel wenn eineiige Zwillinge entstehen. Das zweite, für Dolly entscheidende Verfahren ist die „Kern-Transplantation“. Dazu wird der Kern einer Zelle in eine andere, zuvor entkernte Zelle übertragen. Als entkernte – und damit des größten Teils ihres Erbgutes beraubte – Zellen dienen die Eizellen der tierischen Leihmütter. An die Stelle des ursprünglichen Zellkerns tritt die Erbinformation des zu klonierenden Embryos.

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Als „Kernspender“ wurden bislang nur embryonale Zellen verwendet, denn nur sie sind „omnipotent“. Alle Arten von Zellen und Geweben eines Körpers können aus ihnen entstehen. Je älter Zellen werden, desto differenzierter sind sie: Sie haben sich beispielsweise als Augen-, Nerven- oder Nierenzellen spezialisiert.

Alle Klonierungsversuche mit solch spezialisierten Zellen schlugen bisher fehl. Der Grund ist, daß der Zyklus der Eizellen in einem unterschiedlichen Takt tickt. Dieses Synchronisations-Problem konnten die schottischen Wissenschaftler durch einen einfachen, aber genialen Klonierungstrick lösen. Zuerst entnahmen sie der genetischen Mutter von Dolly Euterzellen, also bereits hochspezialisierte Zellen. Die Kerne dieser Spenderzellen übertrugen sie mit einer feinen Kanüle in die zuvor entkernten Eizellen eines zweiten Spenderschafes.

Zuvor – und das ist das entscheidende Detail – schalteten sie die Zyklen der Spenderzellen mit denen der Eizellen gleich. Das gelang ihnen, indem sie die Euterzellen gleichsam hungern ließen. Die darbenden Zellen verharrten im Ruhestadium der Zellteilung und paßten damit zur Eizelle. Mit einem elektrischen Stromimpuls setzten die Wissenschaftler die weitere Entwicklung in Gang.

Soviel zum Verfahren, einem biotechnischen Meisterstück. Und was ist der Nutzen? Kombiniert mit der Technologie zur Herstellung genetisch veränderter (transgener) Tiere könnte es beispielsweise schon demnächst möglich sein, Tiere mit Wunscheigenschaften zu vervielfältigen. Darauf hofft die schottische Firma PPL Therapeutics, Mit-Financier des geklonten Schafes. PPL hat sich auf das sogenannte „molecular pharming“ konzentriert. Dazu werden Schafe, Ziegen und Kühe mit zusätzlichen Genen ausgestattet. Die Milch aus dem tierischen Euter enthält dadurch etwa menschliche Eiweißstoffe, die als Arzneimittel eingesetzt werden können. Das erste Produkt, das PPL auf den Markt bringen will, ist ein Medikament gegen die Lungenkrankheit „Zystische Fibrose“. Mit der neuen Klon-Technik könnten transgene Tiere identisch vervielfältigt und große Mengen von Therapeutika in gleichbleibender Qualität produziert werden – über Generationen hinweg.

Bedenklich stimmt aber, daß das Verfahren die kommerzielle Verwertung von Leben auf einer neuen Ebene möglich macht – auch von menschlichem Leben. Schließlich haben die schottischen Wissenschaftler eingestanden, mit ihrer Technik im Prinzip auch genetische Kopien von Menschen herstellen zu können. Diese die Individualität des Menschen bedrohende Schreckensvision ist es, die den Auftritt des Schafs zum Medienereignis werden ließ.

Trotz aller derzeitigen Beteuerungen der Wissenschaftler, daß der Bannkreis um die menschliche Einmaligkeit nicht überschritten wird – den klonierten Menschen wird es eines Tages geben. Die Vergangenheit zeigt, daß alles, was technisch machbar ist, auch gemacht wird. Mit einem solchen Schritt, meint der Heidelberger Bio-Ethiker Günter Altner, müsse man „in dieser auf dem Kopf stehenden Konsumwelt, in der viele Wissenschaftler Lebewesen nur noch als Genboxen betrachten“, rechnen.

Nur international vereinbarte Gesetze, die das Klonen von Menschen strikt untersagen, könnten das verhindern. Besser wäre es allerdings, Wissenschaftler nicht mit Gesetzen in ihre Schranken weisen zu müssen, zumal Gesetze die Eigenart haben, gebrochen zu werden.

Der „wissenschaftliche Beitrag“ allein darf eben nicht das einzige Gebot der Wissenschaft sein. Gefordert ist die ethische und soziale Verantwortung jedes einzelnen Forschers. Fehlt sie, wird eintreten, was Brecht im „Leben des Galilei“ den Wissenschaftlern prophezeite: „Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein.“

Claudia Eberhard-Metzger

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