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»Ein Klonierungs-Verbot bei Tieren ist illusorisch«

Allgemein

»Ein Klonierungs-Verbot bei Tieren ist illusorisch«
Ist das Klon-Schaf Dolly ein weiterer Sündenfall der Wissenschaft? Der Genforscher Jens Reich macht große Unterschiede zwischen Klon-Experimenten bei Tieren und Menschen.

Jens Reich (Jahrgang 1939) promovierte 1964 und habilitierte sich 1976 über „Zeit und Bewegung im Stoffwechsel der lebenden Zelle“. 1979 wurde er zum Professor für Biomathematik ernannt. Der gebürtige Göttinger ist seit 1992 Forschungsgruppenleiter für Bioinformatik am Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch. Reich war 1989 Mitbegründer der Bürgerbewegung „Neues Forum“ und 1990 Mitglied der Volkskammer der DDR. Wie wenige andere deutsche Forscher hat sich Reich – er ist Wissenschaftlicher Beirat von bild der wissenschaft – auch durch öffentliches Engagement einen Namen gemacht. Dafür wurde er unter anderem mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet. Für das bdw-Interview ließ sich Reich fotografisch klonen.

bild der wissenschaft: Herr Prof. Reich, wie bewerten Sie das Klonierungs-Experiment von Ian Wilmut, dem Mann, der Dolly schuf?

Reich: Das ist der Versuch, ungeschlechtliche Fortpflanzung bei Säugetieren einzuführen, was die Natur aus gutem Grund nicht zuläßt.

bild der wissenschaft: Und der ist?

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Reich: Geklonte Gewebe und Zellen altern schneller. Klone, die aus ausdifferenzierten – also spezialisierten – Zellen gewonnen werden, haben gewisser-maßen schon bei ihrer Geburt einen Alterungsprozeß durchgemacht. Sie tragen im Erbmaterial die Kopierfehler des Ausgangsmaterials in sich. Deshalb wird der Wunsch, einen hochqualifizierten Organismus unendlich oft und mit gleichbleibender Qualität reproduzieren zu können, ewig unerfüllt bleiben. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung werden die Karten im Erbgut dagegen neu gemischt. Dabei finden Reparatur- und Ausleseprozesse statt. Deshalb ist die geschlechtliche Fortpflanzung der ungeschlechtlichen überlegen.

bild der wissenschaft: Heißt das, Dolly ist zwar genetisch identisch mit dem Original, leidet aber auch an den genetischen Defekten, die das sechsjährige Schaf, dessen Kopie Dolly ist, im Laufe seines Lebens erlitten hat?

Reich: So ist es, wobei jede Zelle eine individuelle Lebensgeschichte und unterschiedliche Defekte hat. Es hängt daher sehr vom Zufall ab, ob Sie bei dieser Art von Klonen ordentliches Erbmaterial bekommen oder solches, das bereits angeschlagen ist.

bild der wissenschaft: Dolly entstand aus einer ausdifferenzierten und reifen Euterzelle. Kann denn aus jeder beliebigen Zelle im Schaf ein Klon entstehen?

Reich: Daß eine solche Klonierung funktioniert, wollen wir nach Wilmuts Experiment für Euterzellen zunächst einmal annehmen. Ob sich das Experiment reproduzieren läßt, muß sich allerdings noch zeigen. Ebenso muß sich zeigen, ob aus dem Erbmaterial anderer ausdifferenzierter Zellen ein so komplexes Lebewesen wie ein Schaf entstehen könnte. Fakt ist, daß es in der Vergangenheit Tausende von Versuchen gegeben hat, bei denen eine solche Klonierung nicht gelang. Bewiesen ist die Klonierung von Tieren bisher bei Amphibien – etwa beim Krallenfrosch oder beim Molch. Amphibien sind aber gänzlich anders organisiert als Säugetiere.

bild der wissensschaft: Bisher gingen die Molekularbiologen davon aus, daß Säugetiere nur aus totipotenten embryonalen Stammzellen geklont werden können, also aus ganz jungen Zellen, die noch alles werden können.

Reich: In der Tat glaubte man, theoretisch nachgewiesen zu haben, daß eine Zelle nach der Ausdifferenzierung, die spätestens nach der dritten Zellteilung erfolgt ist, nicht mehr ins Keimzellstadium zurück kann.

bild der wissenschaft: Gehen wir einmal davon aus, daß Wilmuts Experiment reproduzierbar ist. Wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, daß auch andere Huftiere, Affen oder sogar Menschen aus dem Erbgut reifer Zellen erschaffen werden können?

Reich: Da ist alles offen. Selbst wenn sich Wilmuts Experiment wiederholen läßt, kann nicht davon ausgegangen werden, daß Gleiches auch bei anderen Säugern gelingt. Die Tierarten entwickeln sich so unterschiedlich, daß das Experiment mit Dolly keinesfalls auf alle Säuger verallgemeinert werden kann. Man vermutet, daß die experimentelle Übertragbarkeit auf das Rind eher möglich ist als auf die Maus oder den Affen.

bild der wissenschaft: Es gibt eine Forschergruppe in Wisconsin, die behauptet, daß mit der Wilmut-Technik bis Ende des Jahres ein geklontes Kalb möglich ist.

Reich: Sicherlich werden das jetzt viele versuchen. Und so wird sich bald herausstellen, ob das Ganze nur ein glücklicher Zufall war oder wirklich nachgeahmt werden kann.

bild der wissenschaft: Die Eingriffe des Menschen in das, was unsere Vorfahren Schöpfung nannten, werden immer massiver. Was steht uns Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren noch bevor, Herr Prof. Reich?

Reich: Das weiß ich auch nicht.

bild der wissenschaft: Heißt das, daß selbst Wissenschaftler, die sich in der Gentechnologie und den angrenzenden Forschungsgebieten auskennen, nicht Bescheid wissen, welche Experimente gegenwärtig ablaufen?

Reich: Dolly hat die Wissenschaft überrascht. Doch das ist nicht ungewöhnlich: Wissenschaft funktioniert eben so, daß irgendwann irgendwer etwas völlig Neues auf den Tisch legt. Ein Wissenschaftler, der an einem interessanten Experiment arbeitet, ist im übrigen aus Konkurrenzgründen sehr vorsichtig, seine Arbeit offenzulegen. Klar ist, daß in der Tierzucht heftig auf diesem Gebiet gearbeitet wird. Ziel ist, transgene – also genetisch modifizierte – Tiere zu bekommen, die Arzneimittel-Wirkstoffe erzeugen und etwa über die Milch ausscheiden. Darauf hofft auch die Firma PPL-Therapeutics, ein Geldgeber des Dolly-Experiments.

bild der wissenschaft: Welches Interesse haben die Firmen an der Klonierung? Man könnte transgene Tiere ja auch ganz einfach geschlechtlich fortpflanzen.

Reich: Das Problem ist, daß die künstliche genetische Veränderung bei der geschlechtlichen Fortpflanzung oft nicht so vererbt wird, wie es der Arzneimittel-Hersteller will. Bei den geschlechtlich produzierten Nachkommen bleibt das entscheidende Gen möglicherweise nicht mehr an der richtigen Stelle im Erbgut – und schon ist es aus mit der Wirkstoff-Herstellung.

bild der wissenschaft: Ian Wilmut hält es für unsinnig, aber doch für technisch möglich, mit seiner Technik in zwei Jahren einen Menschen zu klonen. Die öffentliche Aufregung um Dolly hat es gerade auch deswegen gegeben, weil viele einen Klon mit der Würde des Menschen als nicht vereinbar betrachten. Warum eigentlich? Der Klon wäre doch auch ein Mensch.

Reich: Die Tatsache, ein Klon zu sein, ist nichts, was die Würde des Menschen verletzt. Es gibt auch heute schon Millionen natürlicher Klone, eineiige Zwillinge, Drillinge… Niemand käme auf die Idee, diesen Wesen die Menschenwürde abzusprechen. Die Verletzung der Menschenwürde kann auch nicht aus dem biologischen Zustandekommen eines Menschen abgeleitet werden – wohl aber aus dem Kantschen Prinzip, wonach der Mensch keinem Zweck zu dienen hat, sondern in sich selbst ein Zweck ist. Diesem Prinzip widerspräche die technische Zeugung eines Menschen, die freilich auch schon bei Retortenbabys gegeben ist. Es muß hier Grenzen geben.

bild der wissenschaft: Das Kantsche Prinzip ist eine Sache, der gegenwärtige Wertewandel eine andere. Möglicherweise wird man sich in einigen Jahrzehnten davon lösen zu denken, daß es diabolisch sei, Menschen zu klonen. Wir haben uns schließlich in jüngster Zeit schon von vielen ethischen Prinzipien verabschiedet, die zuvor Jahrhunderte galten. Handelt es sich also nur um die Schere in unserem Kopf?

Reich: Ich persönlich habe in der Tat diese Schere im Kopf. Andere Menschen denken anders. Ich kann mir sogar vorstellen, daß Goethe – um neben Kant einen anderen großen Denker zu nennen – solche Entwicklungen mit positivem Interesse verfolgt hätte. Der ganze Homunkulus-Akt im zweiten Teil des Faust läßt darauf schließen, daß Goethe am Klonen als faustischem Drang Gefallen gefunden hätte. Was den Wertewandel angeht, gebe ich Ihnen recht, daß wir uns in einer erheblichen Umorientierung befinden. Retortenbabys sind längst von der Gesellschaft akzeptiert. 1978, als das erste Retortenbaby zur Welt kam, lief die öffentliche Diskussion dagegen noch auf eine strikte Ablehnung hinaus.

bild der wissenschaft: Also ist Wilmuts Einschätzung real: der geklonte Mensch – nur noch eine Frage der Zeit.

Reich: Wilmuts These entspricht weder meiner Erwartung noch meinem Wunsch. Ich glaube nicht, daß die Gesellschaft es akzeptieren wird, wenn das Geheimnis der Verjüngung der menschlichen Spezies durch immer neue Generationen von klonierten Wesen in Frage gestellt ist. Ich erwarte, daß die Gesellschaft dagegen starke Barrieren errichtet.

bild der wissenschaft: Können Sie sich vorstellen, daß Wissenschaftler in einem Memorandum fordern, alle Experimente sofort zu stoppen, die auf eine Klonierung höherer Lebewesen hinzielen?

Reich: In den USA und in England gibt es Ansätze dazu. Man muß sich allerdings genau überlegen, wo Barrieren eingebaut werden sollen. Schnellschüsse halte ich nicht für sinnvoll. Konkret auf Deutschland bezogen, wird man sich das Embryonenschutzgesetz nochmals ansehen müssen.

bild der wissenschaft: Könnte die Bioethik-Konvention weiterhelfen, die auf europäischer Ebene vorgeschlagen wurde, von Deutschland aber noch nicht unterzeichnet ist?

Reich: Die biomedizinische Ethik-Konvention verbietet die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken, aber nicht ihre Verwendung, wenn sie schon existieren. Hinsichtlich des Klonierens trifft das aktuelle Dokument keine Aussagen. Auch hier ist sorgfältig zu prüfen, welche Barrieren Sinn haben und welche nicht. Das Klonieren insgesamt bei Tieren zu verbieten, ist illusorisch und auch nicht sinnvoll. Dann wäre nämlich auch verboten, tierische Zellen zu kultivieren. Zellkulturen sind in der Medizin und Pharmazie aber eine etablierte Technik, die überdies auch Tierversuche ersetzt.

bild der wissenschaft: Das Klonieren von Menschen sollte man aber Ihrer Meinung nach verbieten?

Reich: Ja, aber nicht aus biologischen Gründen, sondern aus dem metaphysischen Grund, daß der Mensch kein technisches Produkt sein darf. Ich denke im übrigen auch, daß es die Öffentlichkeit etwas beruhigen würde, wenn man sähe, daß sich die beteiligten Forscher für einen Stopp aller fragwürdigen Aktivitäten und Versuche aussprächen und selber exakte Grenzen zögen, was mit der Menschenwürde vereinbar ist und was nicht.

bild der wissenschaft: Sie stellen das Klonieren von Tieren also nicht gänzlich in Abrede – und halten es für unbedenklich, wenn Schafe oder Kühe als Pharmalieferanten für den Menschen herangezüchtet werden?

Reich: Wir alle kennen den Begriff der Nutztiere, wir alle nutzen Tiere für unsere Zwecke, warum also nicht auch als Arzneimittel-Lieferanten. Kaninchen und Rinder sind seit Jahrhunderten Serumspender. Ich sehe die Grenze nicht in der Nutzung, sondern darin, wie Tiere gehalten werden. Das Kriterium ist, das Lebewesen artgerecht zu halten. Artgerecht halten heißt unter anderem: Das Tier darf nicht leiden, keine Angst haben, keine Schmerzen haben.

bild der wissenschaft: Sie hätten nichts dagegen, ein gentechnisch humanisiertes Schwein zu klonen, die kopierten Tiere als Ersatzteillager für Menschen zu halten und sie zu schlachten, wenn man das entsprechende Organ braucht?

Reich: Wenn diese Schweine artgerecht gehalten werden und als Schweine ihr tierisches Leben führen können, hätte ich damit keine Probleme – die könnte eher der menschliche Empfänger haben. Für mich ist es kein Unterschied, ob ich ein Schwein wegen des Schweinerückens schlachte, den ich esse, oder wegen seiner Nieren, die mir unter den von Ihnen vorausgesetzten Umständen mein Leben retten.

bild der wissenschaft: Ist ein gentechnisch manipuliertes Schwein nicht schon ein Verstoß gegen das artgerechte Halten?

Reich: Ein gentechnisch verändertes Schwein, ist für mich immer noch ein Schwein. Die Artgrenze liegt nach meiner Überzeugung nicht auf dem Niveau des Buchstaben-Codes einzelner Gene, sondern ist im ganzen Entwicklungsprogramm des Organismus begründet.

bild der wissenschaft: Hätte Dolly also auch in Deutschland das Licht der Welt erblicken können.

Reich: Ich denke ja. Mit klonierten Zellen und Geweben von Pfanzen und Tieren beschäftigen sich weltweit bereits Tausende von Forschern.

bild der wissenschaft: Wenn sich so viele Forscher damit beschäftigen, ist kriminelle Energie nicht auszuschließen. Sollte sich in der Tat herausstellen, daß auch aus den ausdifferenzierten Zellen eines Menschen ein Klon zustande kommt, wären besonders schöne, sportive oder geniale Menschen nirgends mehr davor sicher, daß man ihnen zu Leibe rückt und ein paar Zellen abnimmt, um einen späten Zwilling zu klonen. Radikale Systeme könnten diese Art von Zucht sogar zum Regierungsprogramm erheben.

Reich: Der Beweis, ob die Klonierung von erwachsenen Menschen gelingt, ist nicht zu erbringen, weil die dazu notwendigen Experimente aus Gründen der Menschenwürde nicht stattfinden dürfen. Im übrigen ist die Klonierung von Menschen auch aus einem anderen Grund unsinnig: Die genetische Ausstattung ist nur ein Teil dessen, was einen Menschen ausmacht. Erziehung, Bildung, Umwelt prägen uns ähnlich stark wie das Erbgut. Ein menschlicher Klon wäre rein äußerlich zwar mit seinem Vorgänger identisch – nicht aber als Mensch. Die Einmaligkeit des Menschen greift tiefer als die Einmaligkeit seines durch Genroulette entstandenen DNA-Textes. Der Mensch ist seinem Entwurf nach ein autonomes Subjekt, selbstverständlich eingebunden in biologische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Dies ist nun allerdings meine weltanschauliche Überzeugung und nicht etwa ein Expertenurteil.

Wolfgang Hess / Jürgen Nakott / Jens Reich

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