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Ein Spaziergang mit … Eberhard Brandes

Interview zu 50 Jahre WWF

Ein Spaziergang mit … Eberhard Brandes
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Jan Berndorff und Eberhard Brandes
Diesen Sommer wird der WWF Deutschland 50 Jahre alt. Zum Jubiläum traf natur-Chefredakteur Jan Berndorff den Chef der Umweltstiftung am östlich von Hamburg gelegenen Schaalsee. Ein Gespräch über Erfolge und Rückschläge, umstrittene Firmenkooperationen, majestätische Seeadler und wild gewordene Bisons.

Es summt und duftet am Schaalsee. Nach einem kühlen Frühjahr stehen Ende Mai die Pflanzen endlich in vollem Saft; Bienen, Hummeln und jede Menge Mücken schwirren über die weiten Wiesen und Weiden an den Ufern des Sees und seiner Nebengewässer. Und über allem schwebt gaukelnd eine Rohrweihe, um sich plötzlich auf ihre Beute im Schilf des Salemer Moors zu stürzen. Eberhard Brandes schaut ihr mit offenem Mund zu: „Wow!“ Dann wandert er strammen Schrittes weiter, ein durchtrainierter Mann in festen Schuhen, Jeans und Outdoorjacke. Er würde auch als Dressman durchgehen, ist aber einer der wichtigsten Akteure des Naturschutzes in Deutschland.

Die Schaalsee-Landschaft liegt ihm am Herzen. Nicht nur, weil das hiesige, länderübergreifende Großschutzgebiet als Modellprojekt für modernen Naturschutz dient. Sondern auch, weil hier, wo einst der Eiserne Vorhang zwischen West und Ost verlief, ein historischer Erfolg in Deutschland seinen Anfang nahm: die Rettung der Seeadler.

Brandes: Und wie! Ich war mit meiner Familie im Urlaub auf dem Darß an der Ostsee. Wir lagen am Strand, als plötzlich mein Sohn rief: „Papi, da ist ein riesengroßer Vogel!“ Ich stand auf, splitterfasernackt, denn es war ein FKK-Strand, und sah 30 Meter entfernt einen Seeadler über dem Schilf schweben, der nach Enten jagte. Und dann ist er direkt über uns hinweggeflogen, vielleicht drei Meter hoch. Wahnsinn! Außerdem habe ich einmal zusammen mit meiner Tochter hier am Schaalsee eine ganze Woche lang einen Horst bewacht. Seeadler zeigen, dass auch bei uns in Deutschland Wildnis noch möglich ist; sie sind für uns das, was für Asien die Tiger sind. Eine absolute Flagship-Art.

Flagship?

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So nennen Artenschützer Spezies, die besonders beliebt sind und mit denen als „Flaggschiff“ eine Kampagne viel für die Natur bewirken kann. Dieser königliche Vogel, Deutschlands Wappenvogel, beeindruckt einfach jeden – Spender genauso wie Politiker. Wir haben bei diesem Projekt zusammen mit den Landkreisen und unterstützt von Bund und Ländern 4500 Hektar Land gekauft, um sie für den Naturschutz zu sichern, und wir hatten dabei auch deshalb so viel Hilfe, weil es darum ging, den Seeadler zu retten.

Gab es keine Interessenkonflikte mit den Anwohnern?

Das ist das Besondere: Das Projekt entwickelte sich im Konsens, weil wir von Anfang an eng mit den Kreisen und Gemeinden zusammengearbeitet haben. Der WWF selbst besitzt von 4500 Hektar, die wir rund um den Schaalsee erworben haben, nur rund 100 Hektar. Die meisten Flächen gehören einem Zweckverband, den wir mit den Landkreisen gegründet haben. Teile werden als traditionelle Kulturlandschaft unterhalten, etwa als offene, artenreiche Weiden, auf denen Galloway-Rinder grasen. Die Pflege unserer Wiesen und Weiden haben die Bauern der Umgebung übernommen. Wenn man die Adler in solchen Gebieten gut schützt, breiten sie sich auch anderswo wieder aus. Und mit ihnen Schwarzspechte, Fledermäuse und andere Arten. Es gibt viele Nutznießer bei einem solchen Artenschutzprojekt.

Auch die Menschen vor Ort?

Natürlich. Der Tourismus bringt heute viel Geld in die Region. Und die Überwachung des Ökosystems dient als Frühwarnsystem: Eine chemische Belastung wird erkannt, bevor sie den Menschen treffen könnte.

Ist es notwendig, dass die Menschen durch solche Projekte Geld verdienen?

Ich halte das für einen zentralen Anreiz, der in vielen Fällen unerlässlich ist, damit ein Projekt langfristig Erfolg hat.

Aber gilt das auch, wenn sie dieses Geld mit der Jagd eben jener Tiere verdienen, die eigentlich geschützt werden sollen? Eines der internationalen Großprojekte des WWF, das grenzüberschreitende Kavango-Zambezi-Schutzgebiet im südlichen Afrika, kurz KAZA, wurde dafür kritisiert, dass der WWF dort in einem der Teilgebiete Jagd auf Elefanten zulässt, auch Trophäenjagd.

Ich erzähle Ihnen mal, wie ich das vor Ort erlebt habe: Eine Dorfgemeinschaft in Namibia zeigte uns an einer Tafel, wie sich ihre Situation entwickelt. Sie zählten die Einnahmen auf, und da standen dann zwei Elefanten à 40 000 Euro; mir drehte sich der Magen um. Als ich jedoch die Rahmenbedingungen genauer kennenlernte, habe ich es verstanden. Dieses Inwertsetzen der Tiere hat dazu geführt, dass in Namibia die Bestände vieler Wildtierarten, auch der Elefanten, stark zugenommen haben.

Das heißt, man opfert quasi zwei Elefanten, damit die Menschen nicht mehr auf die Wilderei angewiesen sind – und damit geht es auch der Elefantenpopulation besser.

Genau, das ist ethisch und emotional wahnsinnig schwierig, aber rational sinnvoll. Denn wenn man sieht, wie sehr die Menschen dort um ihre Existenz kämpfen müssen, dann ist das für sie ganz wichtig, einen unmittelbaren Benefit von der Natur zu haben, die sie schützen sollen. Wir setzen da natürlich lieber auf Foto-Tourismus – um das ganz klar zu sagen. Aber wir prangern die Jagd nicht direkt an, solange sich die Population der Tiere insgesamt deutlich erholt. Der WWF vertritt die Position, dass Jagd einen Beitrag zum Naturschutz leisten kann – unter bestimmten Bedingungen: 1. nur Arten, die nicht bedroht sind. 2. verträgliche Quoten mit strengen Kontrollen. 3. Die Einnahmen müssen direkt dem Naturschutz und den Menschen vor Ort zugutekommen. KAZA insgesamt ist ein großer Erfolg, der Park erstreckt sich über die Grenzen von fünf Staaten; Völker, die sich früher bekriegt haben, bauen jetzt gemeinsam ein Schutzgebiet auf und verwalten es. Das ist auch ein Friedensprojekt ( siehe natur, Heft 8/12, S. 52). Und mit der Zeit erkennen die Menschen, dass sie langfristig mit lebenden Tieren durch den Tourismus mehr Geld verdienen können, als durch Jagd.

Tourismus ist allerdings auch nicht ganz ohne. Gerade bei Safaris in Afrika sieht man oft Massenaufläufe von knipsenden Europäern, die die Savanne platt fahren und sich verzückt um einen Löwenriss scharen…

Das ist natürlich grenzwertig. Aber viele Länder haben das inzwischen erkannt und stellen schärfere Regeln für die Naturbeobachtung auf. Wobei man auf der anderen Seite sehen muss, dass solche Reisen, vernünftig organisiert, neben  dem Verdienst für die Menschen noch einen ganz wichtigen zweiten Gewinn bringen: das Erlebnis für die Reisenden. Solche unmittelbaren Naturerfahrungen sind unersetzlich, um für den Wert und Schutz der Natur zu sensibilisieren. Wenn man zum Beispiel Gast eines Pygmäendorfs im Kongo ist und einer Gorilla-Familie aus gebührender Entfernung einfach nur zuschaut, spürt man, dass die Natur Teil unserer Seele ist und wir ein Teil der Natur. Man darf Mensch und Natur nicht trennen, sie gehören zusammen.

Schauen Sie mal, wie wunderschön das hier ist! Für mich sind das magische Momente, die ich immer suche, wenn ich raus in die Natur gehe.

Was war Ihre unmittelbarste Naturerfahrung?

Am spannendsten finde ich es, wenn man wilden Tieren nahe kommt, ohne dass sie einen bemerken. Ich war zum Beispiel mal in South Dakota in den USA. Ganz allein, und es verschlug mich zufällig auf die Triple U-Ranch, auf der Jahre zuvor „Der mit dem Wolf tanzt“ gedreht wurde. Ich verstand mich mit den Besitzern gut, und sie erlaubten mir, einen Tag bei ihrer Bisonherde zu verbringen, die in der weiten Prärie graste.

Wie groß war die?

Ungefähr 1200 Tiere. Es war eine riesige Wolke aus dunklen Leibern, die ich da am Horizont entdeckte. Ich pirschte mich heran, um sie heimlich zu beobachten. Hinter einem kleinen Hügel stellte ich mich langsam auf – doch dann entdeckten mich 30 oder 40 Jungbullen. Sie galoppierten auf mich zu und erst rund 20 Meter vor mir stemmten sie schnaubend die Vorderbeine in den staubigen Boden und hielten abrupt. Ich dachte nur: Ich bin zu jung zum Sterben!

Sie sind nicht weggelaufen?

Bloß nicht wegrennen! – das hatten mir die Rancher vorher mit auf den Weg gegeben. Wer das tut, verliert. Wer aber stehen bleibt, verunsichert die Bisons, das sind sie nicht gewohnt. Und fragen Sie mich bitte nicht, wie ich das durchhielt, aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Und als ich merkte, dass sie unschlüssig waren, begann ich leise auf sie einzureden und vorsichtig den Rückzug anzutreten. Das war so ein Erlebnis, das vergisst Du nie! Es macht Dich ehrfürchtig, berührt Dich in Deinem tiefsten Innern. Mich treiben solche Augenblicke bei meiner Arbeit unheimlich an. Und ich bin überzeugt, dass so etwas keinen Menschen der Erde unbewegt lässt.

Wir lassen uns am Ufer des Garrensees nieder und schauen auf die ruhige, schimmernde Wasserfläche – am gegenüberliegenden Ufer spiegelt sich das satte Grün der Bäume.

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Schauen sie mal, wie wunderschön das hier ist! Für mich sind das magische Momente, die ich immer suche, wenn ich raus in die Natur gehe. Für so etwas braucht man ja überhaupt nicht nach Afrika oder Amerika zu fahren.

Wie viel kostet das eigentlich, so einen See zu kaufen?

Wir haben für die umliegenden Flächen 15.000 Mark pro Hektar bezahlt. Heute würde das wohl 30.000 Euro kosten, in anderen Regionen Deutschlands noch mehr.

Könnten Sie mit dem gleichen Geld in Afrika nicht viel mehr bewirken?

Ja, das könnten wir. Und wir geben auch 80 Prozent unserer Mittel für Projekte im Ausland aus. Aber wir halten es für wichtig zu zeigen, dass sich selbst in einem hochindustrialisierten Land wie unserem die Natur entfalten kann. Und wir sehen immer wieder, dass nur der Besitz solcher Flächen dies langfristig garantieren kann. Selbst Nationalparks können durch politische Veränderungen schnell wieder angegriffen werden. Deshalb versuchen wir immer, strategisch wichtige Schlüsselgebiete zu erwerben, um das für alle Zeit zu verhindern.

Streiten sich die Naturschutzverbände da eigentlich auch mal um bestimmte Gebiete? Die anderen wie BUND und NABU kaufen ja auch.

Alle Verbände zusammen sind immer noch viel zu klein im Verhältnis zu den Aufgaben, die wir bewältigen wollen. Daher kommen wir uns so gut wie nie ins Gehege. Es gibt noch so viel zu tun! Wissen Sie, der WWF hat 435.000 Förderer in Deutschland. Aber Deutschland zählt 82 Millionen Einwohner. Und in den Niederlanden, die nur 17 Millionen Einwohner haben, hat allein der WWF 900.000 Mitglieder. Schon diese Zahlen zeigen: Wir können noch viel mehr Menschen für die Natur begeistern und sie einbinden. Und das schaffen wir nur, indem wir hier bei uns zeigen, wie es geht. Mit diesem Vorbild können wir dann auch anderswo in der Welt viel erreichen. Irgendwo einzufliegen und zu sagen „Ihr müsst Euch ändern“, ist völlig falsch. Darum ist es übrigens auch so wichtig, dass wir in Deutschland die Energiewende hinbekommen. Und da sehe ich einen weiteren Erfolg des WWF: Gemeinsam mit anderen haben wir da große Vorarbeit geleistet, in Studien haben wir demonstriert, wie unser Land von einer CO 2-intensiven auf eine CO 2-arme Lebensweise umstellen kann, politisch, gesellschaftlich, technologisch. Der Schock von Fukushima und die Berichte des Weltklimarats konnte in Deutschland nur deshalb diese Wende herbeiführen, weil sie gut vorbereitet war.

Was waren insgesamt die größten Erfolge des WWF in den 50 Jahren seines Bestehens?

Einer war sicherlich, dass wir mitgeholfen haben, am Amazonas insgesamt 32 Millionen Hektar Schutzgebiete auszuweisen, 60 Millionen sollen es insgesamt werden – ein Gebiet so groß wie Deutschland und Großbritannien zusammen. Auch auf Borneo haben wir große Gebiete sichern können. Oder die Amurtiger in Sibirien: Da haben wir es geschafft, die Population von 50 auf 500 Tiere zu steigern und zu stabilisieren, indem wir riesige Waldgebiete vor der Abholzung bewahrten und Anti-Wilderer-Einheiten ausbildeten. Was übrigens äußersten Einsatz erfordert: Die Wildhüter dort riskieren ihr Leben – genauso in Afrika, bei den Elefanten- und Nashornprojekten. Inzwischen treten sie gegen internationale, schwer bewaffnete Verbrecherbanden mit mafiösen Strukturen an ( siehe natur, Heft 7/12, S. 76 und Heft 3/12, S. 30).

Und wo lagen die Misserfolge?

Ein großer Flop war die Klimakonferenz in Kopenhagen vor vier Jahren. Trotz zweier Jahre intensivster Vorbereitung ist uns dort kein Durchbruch gelungen. Wir haben es nicht geschafft, das Misstrauen der Länder untereinander abzubauen. Seither fährt der WWF eine andere Strategie und arbeitet dual. Wir halten die internationalen Bemühungen nach wie vor für wichtig, treiben nun aber verstärkt bilaterale Abkommen voran; es lassen sich leichter Vereinbarungen erzielen, wenn weniger Partner am Tisch sitzen.

Warum lässt man diese riesigen Weltgipfel nicht einfach bleiben? Werden bei solchen Events mit tausenden Teilnehmern nicht nur unnötig Treibhausgase in die Luft geblasen?

In der Tat erweist es sich als unheimlich schwierig, auf solchen Gipfeln substanzielle Fortschritte zu erzielen. Aber wir brauchen sie trotzdem. Die Beteiligten lernen viel von- und übereinander, tauschen sich aus. Und das ist enorm wichtig, um dann eben an anderer Stelle die wirklichen Prozesse in Gang zu bringen.

Der WWF setzt zudem auf Kooperationen mit Firmen, wofür er oft kritisiert wird. Besonders letztes Jahr, als der deutsche Journalist Wilfried Huismann einen Film und ein Buch über die Arbeit des WWF veröffentlicht hat. Er wirft dem WWF vor, er diene großen Konzernen als „Grünwaschanlage“ und öffne ihnen Tür und Tor für die Abholzung des Regenwalds und die Verbreitung von Gentechnik. Nach einem juristischen Scharmützel hat man sich außergerichtlich geeinigt, dass Huismann manche Behauptungen zurücknehmen muss. Er bleibt aber bei seiner Grundthese, dass der WWF sich quasi verkauft. Hat es da beim WWF nochmal eine Diskussion gegeben, ob man den Umgang mit Unternehmen nicht verändern müsste?

_AWA5646_low1.jpgWir stellen uns diese Frage eigentlich permanent, weil wir natürlich laufend mit hochkomplexen Projekten und Interessenkonstellationen zu tun haben. Da brauchen wir keinen Film. Wobei dessen Kernthesen falsch sind, das kann man in unserem Faktencheck online nachlesen. Unabhängig davon haben wir bei dieser Auseinandersetzung zwei Dinge gelernt: Zum einen, dass die Menschen am Ende doch auf die besseren Argumente hören, denn unser Zulauf an Spendern ist ungebrochen. Und zum anderen, dass wir die Komplexität der Herausforderung noch besser darstellen müssen. Wir müssen die Menschen noch mehr mitnehmen und ganz transparent schildern, warum wir auch mal Kompromisse machen, zum Beispiel bei der Jagd.

Aber sind diese Kompromisse nicht manchmal faul? Beim Soja vergibt der WWF über den von ihm mit gegründeten Runden Tisch für Verantwortungsbewusstes Soja (RTRS), an dem auch Agrarkonzerne wie Monsanto sitzen, Zertifikate für Gensoja aus Plantagenwirtschaft. Sie verleihen doch damit Ihren Namen an Produkte, die Sie unmöglich für nachhaltig halten können! Auch andere deutsche Umweltverbände haben protestiert.

Das wird falsch dargestellt. Das RTRS-Siegel ist kein Nachhaltigkeitssiegel, sondern ein Mindeststandard, der alles andere als optimal, aber besser als nichts ist. Und wir sind an diesem Runden Tisch die Herausforderer, die versuchen, mit der Zeit immer mehr für Natur und Menschen herauszuholen. In Ländern wie den USA, Argentinien oder Brasilien allerdings, wo zu 90 oder 95 Prozent genmanipuliertes Soja angebaut wird, kommt man um Gentechnik kaum herum, wenn man nicht jeden Kontakt mit der Industrie ablehnt. Da sehen wir unsere Aufgabe darin, wenigstens zu verhindern, dass weitere Wälder abgeholzt werden. Wenn wir uns da heraushalten, weil uns Gensoja nicht schmeckt, läuft die Naturzerstörung im dreifachen Tempo ab. Damit wäre nichts gewonnen.

Würde der WWF eine Kooperation mit Monsanto eingehen?

Auf keinen Fall! Die Teilnahme am Runden Tisch ist ja auch keine Kooperation. Wir sitzen da mit vielen anderen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen zusammen, nicht zuletzt um auch gewisse soziale Standards bei der Sojaproduktion zu gewährleisten, das darf man nicht vergessen. Im Übrigen hat der WWF immerhin durchgesetzt, dass es jetzt eine Gentechnik-freie Sojalinie gibt, die wir verstärkt promoten. Und sie kommt selbst in Brasilien ganz gut an. Diesen Weg verfolgen wir natürlich weiter.

Andere Natur- und Tierschutzorganisationen gehen andere Wege, Sie kooperieren nicht mit Unternehmen, sondern konfrontieren Sie, hauen ihnen mit Kampagnen immer wieder auf die Finger. Manche, wie die Tierschützer von PETA, setzen sogar auf Schockwirkung und vergleichen etwa unsere Tierhaltung mit dem Holocaust. Wie stehen Sie dazu?

Ich glaube, dass zu extreme Forderungen und Anklagen uns nicht weiterbringen. Wir müssen Botschaften vermitteln, Menschen integrieren. Jeder sollte in seinem Umfeld das tun, was möglich und nötig ist, um Tiere, Pflanzen und das Klima zu schützen. Wenn ich immer nur kritisiere und Maximalforderungen stelle, erreiche ich das Gegenteil, eine Spaltung der Gesellschaft. Forderungen wie etwa die, jetzt alle Banken abzuschaffen, sind unsinnig. Stattdessen müssen wir doch vielmehr die Banken auf einen ethisch sauberen Konsens einschwören, Nachhaltigkeitsstandards bei der Kreditvergabe zum Beispiel. Wenn kein Kredit mehr vergeben werden dürfte, der gewisse Standards nicht erfüllt, hätte das eine unglaubliche Hebelwirkung! Auch Boni-Zahlungen könnte man übrigens an Nachhaltigkeitskriterien binden, dann hätten sie eine ganz andere Wirkung und Akzeptanz. Solche Standards zu etablieren, geht jedoch nur mit den Unternehmen zusammen. Und zwar weniger gut mit Druck. Denn da sitzen auch Menschen, und die wollen nicht gezwungen werden, sondern müssen am Ende überzeugt sein, sonst ist kein Erfolg langfristig und nachhaltig.

Indem wir einen Großteil der Waren von Edeka nachhaltiger gestalten, fordern wir andere Einzelhandelsketten heraus, dem Beispiel zu folgen.

Wie schützt sich der WWF vor Greenwashing? Dass sich Unternehmen Ihren guten Namen samt Panda-Logo wie einen grünen Deckmantel umhängen, sich im Kern aber nicht verändern?

Es ist in dem Zusammenhang vielleicht wichtig zu wissen, dass der WWF auch aus seiner Historie heraus mit Unternehmen kooperiert. Der WWF ist ja ursprünglich von Wissenschaftlern, Politikern und Geschäftsleuten gegründet worden, und im Stiftungsrat saßen viele führende Wirtschaftspersönlichkeiten. Zu Anfang ging es nur darum, Noteinsätze zur Rettung gefährdeter Tierarten zu finanzieren. Erst später kam zu dieser Form des Artenschutzes der eher ganzheitliche Ansatz, auch längerfristige Projekte zu machen, Umweltbildung und politische Lobbyarbeit. Mit Firmen arbeiten wir also seit jeher zusammen. Und wir haben sehr klare, internationale Regeln, wie wir uns ihnen nähern, mit welchen Branchen wir uns beschäftigen – Öl-, Gas- und Atomindustrie sowie Waffen, Tabak und jugendgefährdende Inhalte sind zum Beispiel ausgeschlossen. Es gibt immer eine externe Prüfung des Unternehmens, aus der hervorgeht, ob dieses aufrichtig gewillt ist, etwas zu verändern. Und dann legen wir ganz klare, messbare Ziele fest und halten sie in aufwändigen Verträgen fest. Neun von zehn Kooperationsanfragen lehnen wir ab.

Aber warum kooperieren Sie mit der Supermarktkette Edeka, die bislang nicht gerade als nachhaltig galt, statt etwa mit der Biomarktkette basic?

Weil man gerade dort am meisten bewirken kann. Bei basic brauchen Sie niemanden mehr zu überzeugen. Aber bei Edeka können wir neue Verbündete gewinnen, und zwar sehr viele. In so einem großen Unternehmen lässt sich schon mit leichten Verbesserungen eine Menge erreichen. Bedenken Sie: Edeka hat über 20 Prozent Marktanteil am gesamten Lebensmittelhandel in Deutschland; in 11 700 Geschäften werden jeden Tag bis zu zwölf Millionen Menschen bedient. Und wenn man sieht, wo Edeka selbst weltweit einkauft – das ist ein riesiger, internationaler Multiplikator!

Was können Sie bei einem solchen Giganten erreichen?

Viel. Indem wir einen Großteil der Waren von Edeka nachhaltiger gestalten, wollen wir die anderen Einzelhandelsketten herausfordern, dem Beispiel zu folgen. Als erstes haben wir binnen drei Jahren drei Viertel des firmeneigenen Wildfischsortiments auf MSC umgestellt, und bis 2015 sollen es hundert Prozent werden. Das MSC-Siegel, das der WWF mit gegründet hat, aber unabhängig von uns vergeben wird, ist das einzige verlässliche Nachhaltigkeitszertifikat auf dem internationalen Markt, kein anderes hat so hohe Ansprüche. In den kommenden Jahren weiten wir das auf einen Großteil des Warenangebots aus. Zudem entwickeln wir mit Edeka eine Klimaschutzstrategie und stellen die gesamte Konzernzentrale auf Recycling- und FSC-Papier um. Es gibt also massenweise Ansatzpunkte. Und wenn das bei Edeka gut funktioniert, werden andere nachziehen. Das ist ein großer Türöffner.

Dennoch, in manchen Fällen wirken die Kooperationen eher wie willkommenes Marketing für die Firmen.

Aber das ist doch nicht verwerflich, dass die damit werben. Entscheidend ist, was am Ende dabei für die Natur herauskommt. Schauen Sie doch nur mal, was aus dem Krombacher-Projekt geworden ist …

… Günter Jauch hat TV-Werbung dafür gemacht: Von jedem verkauften Kasten Bier ging ein fester Betrag an ein Regenwaldprojekt in Zentralafrika. Das Projekt wurde auch bekannt unter „Saufen für den Regenwald“…

Die Aktion wurde belächelt, sogar gerichtlich _AWA5301_low2.jpgbekämpft und schrieb ein Stück Werbegeschichte. Gestartet ist sie als reine Marketingmaßnahme für das klare Wasser, das Krombacher zum Bierbrauen braucht. Geworden ist daraus Klimaschutz vom Feinsten, allein in den letzten beiden Jahren flossen je ein siebenstelliger Betrag in große Projekte, vornehmlich die Wiedervernässung von Regenwaldmooren, die weltweit das meiste CO 2 speichern. Der Nationalpark Dzanga Sangha in Zentralafrika wird nicht zuletzt aus der gegründeten Stiftung finanziert. Und das Projekt hat in den zehn Jahren, die es schon läuft, auch in die Firma hineingewirkt: Die haben jetzt einen Nachhaltigkeitsrat, weitere Umweltprogramme, das Unternehmen hat sich verändert.

Und das war von Beginn an das Ziel?

In diesem Fall, im Gegensatz zu Edeka, nicht, zumindest war das im Vertrag nicht so vorgesehen. Die Entwicklung ist aus der reifenden Überzeugung der Mitarbeiter entstanden. Und das ist der Idealfall.

Entwickeln heute viele Politiker und Unternehmen ein grünes Bewusstsein?

Wir stellen immer wieder fest, auch jetzt vor der anstehenden Bundestagswahl, dass wir in allen Lagern – auch dort, wo man es eher nicht vermutet – enge Verbündete finden. Insgesamt ist es aber leider so, dass sich zwar ein gewisser Konsens bildet, was den Schutz von Natur und Umwelt angeht, dass es aber noch enorm an der Umsetzung hapert. Weltweit auf katastrophale Weise, aber auch in Deutschland ist das nach wie vor festzustellen. Ich hielt neulich einen Vortrag vor dem Bund der Deutschen Industrie, in dem ich erklärte, dass Naturschutz keine Sache sein darf, die man sich dann leistet, wenn alles andere abgesichert ist. Er ist vielmehr die wichtigste Aufgabe der Menschheit, für jeden muss Nachhaltigkeit zur Normalität werden, denn es geht um unsere Lebensfähigkeit. Wenn die Natur kaputt ist, gibt es auch keinen Raum mehr für Wirtschaft und Soziales. Sie ist das Fundament. Ich erntete viel Applaus.

Und doch werden zur Rettung von Banken Billionen bereitgestellt, während der Naturschutz mit ein paar Milliönchen auskommen muss…

Genau so ist es. Das drückt die Wertigkeiten aus, die diese Themen im Vergleich bei der Politik genießen. Daran muss unsere Gesellschaft arbeiten.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Haltung der Politik mit der kommenden Wahl verändern könnte?

Naja, schauen Sie mal in die Zeitung, welche Rolle Natur- und Umweltschutz im Wahlkampf spielen. Und dabei belasse ich es mal.

 

Fotos: Angelika Warmuth

 

_AWA5478_low2.jpgZur Person

Der Hamburger Eberhard Brandes, Jahrgang 1962, ist geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland. Eigentlich wollte er Verhaltensforscher werden, entschied sich dann aber doch für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften und arbeitete in verschiedenen Unternehmen. Zuletzt für eine Medizintechnik-Firma, bei der er einen umweltfreundlichen geschlossenen Kreislauf für tragbare Medizingeräte entwickelte, der mit dem Innovationspreis der Stadt Hamburg ausgezeichnet wurde. Schon damals engagierte er sich privat für den WWF, etwa durch eine Tiger-Patenschaft. 2006 schließlich folgte der Ruf in den Vorstand der Umweltstiftung. Brandes ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

 

Die Rettung der Seeadler 

In den 60er Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland gerade noch sechs Seeadler-Paare. Viele Horstbäume waren gefällt worden, Eiersammler trieben ihr Unwesen, vor allem aber verzeichneten die Adler kaum Bruterfolge, weil das Umweltgift DDT dem Nachwuchs heftig zusetzte. Der WWF sorgte dafür, dass die Adlerhorste bewacht und ihre Umgebung unter Schutz gestellt wurden. Außerdem initiierte er eine große Aufklärungskampagne in allen Medien, die den Menschen klar machte, dass das Gift letztlich auch in der Muttermilch landet. Mitte der 70er Jahre wurde das Insektizid DDT in Deutschland verboten. Binnen von nur zwei bis drei Jahren hatten dieselben Adler wieder Erfolg bei der Brut. Die Vögel vermischten sich mit Seeadlern aus angrenzenden Ländern, wo ähnliche Schutzprojekte gestartet waren. Die Geburtenrate stieg auf rund 1,3 Junge pro Jahr und Paar; 0,8 sind nötig zum Erhalt einer Population. Heute leben in Deutschland wieder 750 Seeadler-Brutpaare, die Hälfte von ihnen in Schutzgebieten.

 

Erfolgsgeschichte WWF

Der WWF Deutschland wurde 1963 gegründet – zwei Jahre nach dem WWF International, der seinen Sitz im schweizerischen Gland hat. „Weltweit für bedrohte Tiere zu sammeln und mutige Naturschützer in die ‚Gefahrenzonen der Erde‘ zu entsenden“, das war das Ziel der Gründerväter, zu denen Gründungspräsident Prinz Bernhard der Niederlande, der britische Ornithologe James Markham Scott (Sohn des berühmten Polarforschers Robert Falcon Scott und Zeichner des ersten Panda-Logos) und der Schweizer Zoologe Luc Hoffmann gehörten. Zu den Gründern der deutschen Sektion, die in Berlin sitzt, gehörten Bernhard Grzimek und der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier. Heute hat das internationale Netzwerk rund 2500 Mitarbeiter in über 80 Ländern. Mehr als fünf Millionen Förderer unterstützen den WWF mit insgesamt rund 525 Millionen Euro. Der WWF Deutschland hat 435.000 Unterstützer und ein Budget von ca. 56 Millionen Euro.

 

Spende

Spendenkonto WWF: Bank für Sozialwirtschaft, Kto. 2000, BLZ 55020500; für das Schaalseeprojekt: gleiches Konto, Stichwort „Schaalsee“ 

Buchtipp

Alexis Schwarzenbach: WWF – die Biographie. 50 Jahre Naturschutz im Zeichen des Pandabären. Collection Rolf Heyne, 400 Seiten. 8,85 Euro.

© natur.de – Jan Berndorff
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Röt|ling  〈m. 1; Bot.〉 Angehöriger einer Gattung der Blätterpilze mit festverwachsenem Hut– u. Stielfleisch: Entoloma

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