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Eine göttliche Karriere

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Eine göttliche Karriere
Es war ein beispielloser Aufstieg, den Jahwe hinlegte: Vom Lokalgott eines arabischen Wüstenstammes avancierte er zum Staatsgott der beiden Königreiche Israel und Juda. Und er prägt bis heute die drei großen monotheistischen Religionen: das Judentum, das Christentum und den Islam.

Die Israeliten-Judäer haben nahezu ihr gesamtes Lebensumfeld von den geschmähten Kanaanäern übernommen – Keramik, Architektur, Sprache. Nur ihren Gott haben sie selbst „erfunden“ – „Jhwh“ in der vokallosen semitischen Fassung, Jahwe (gesprochen: Jachwe) mit den wissenschaftlich abgesicherten Stimmlauten.

Einen solchen Gott gab es im palästinensischen Pantheon nicht, Jahwe war ein Eigengewächs der judäisch-israelitischen Stämme. Aber er war nicht der einzige Himmlische: Lange Zeit wurde mit ihm seine Gemahlin Aschera angerufen. Und auch andere Gottheiten aus dem reichen altorientalischen Angebot sollten für das Wohlergehen der Menschen in den beiden werdenden Territorialstaaten Israel und Juda im 9. und 8. Jahrhundert vor Christus sorgen. Baal zum Beispiel, dessen Tempel in Israels Hauptstadt Samaria gleich neben Jahwes Kultbau stand, oder Astarte, die hocherotische Fruchtbarkeitsgöttin Vorderasiens. Generell unterschieden sich die beiden Königreiche in himmlischen Dingen nicht von ihren Nachbarn – ein beschränkter Polytheismus war das Übliche.

Der Kieler Bibelforscher Hübner schätzt die Einwohnerschaft des israelitisch-judäischen Pantheons auf sieben Anbetungswürdige. Israel hatte ein paar Götter mehr als der arme Bruderstaat Juda. Jahwe scheint jedoch in Juda fester verwurzelt gewesen zu sein, das Alte Testament erzählt – ziemlich selbstgefällig – vom immer wiederkehrenden Abfall der Israeliten von Jahwe und der prompt folgenden Bestrafung der Abtrünnigen. Im Königreich Juda wird Jahwe oberster Staatsgott, aber die umliegenden Völker kennen ihn vermutlich nicht einmal. Und dieser Lokalgott eines kleinen rückständigen Bergstammes machte eine beispiellose und unaufhaltsame Karriere in der Weltgeschichte – über die drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam.

„Der Erfolg des Monotheismus“, analysiert Ulrich Hübner, „geht von Juda aus, nicht von Israel. Aber auch das Königreich Juda war zunächst nicht monotheistisch – es war erst auf dem Weg dahin.“ Über die Genese des Monotheismus kann man nur spekulieren. Einflüsse des Ein-Gott-Glaubens von Echnaton in Ägypten rund 500 Jahre zuvor lehnt Hübner als zu weit hergeholt ab. Andererseits finden sich Teile von Echnatons lyrischem „Sonnengesang“ in den Psalmen wieder. Und Pharao Ramses II. hat um 1250 v.Chr. den ägyptischen Reichsgott Amun derart stark mit Wesenszügen von anderen, auch fremdländischen Göttern aufgeladen, dass er zu einem alles beherrschenden Gottes-Titanen wurde, der nicht mehr allein für Äygpten zuständig war.

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Hübner interpretiert den Alleinvertretungsanspruch Jahwes pragmatischer: Große Reiche haben viele Götter, arme Gesellschaften weniger, das lässt sich durch die Menschheitsgeschichte verfolgen. Im vielgöttrigen Polytheismus haben die Himmlischen stets mehrere Funktionen. „Wenn man als arme Gemeinschaft die Eigenarten und Aufgaben auf immer weniger Götter konzentrieren muss, hat es eine innere Logik, dass man schließlich zum Monotheismus kommt.“ Dazu bedürfe es keines Anstoßes von außen.

Der Schweizer Bibelforscher Othmar Keel nennt das „kumulativen Monotheismus“. Jahwe übernimmt aus der altorientalischen Tradition so viele Rollen, „dass er sie fast nicht mehr halten kann, er wird ziemlich abstrakt.“ Ein Problem, das sich ins Christentum fortsetzt und mit der Dreieinigkeit und den vielen Heiligen der katholischen Kirche nur mühsam übertünchen lässt. Nur drei Bereiche wurden bei Jahwe nicht integriert: „das Böse“, „ die Unterwelt“ und „das Weibliche“.

Nach Othmar Keel traf Jahwe mit David bei der Eroberung Jerusalems auf einen dort ansässigen Sonnengott, dessen Funktion und Tempel er übernahm. „Wahrscheinlich“, so Keel, „gab es in diesem Tempel einen leeren Thron – also kein Kultbild.“ Das könnte das spätere Gebot der Bildlosigkeit erklären. Palästina lag zudem im Mittelpunkt der damaligen Welt. „Die Überflutung mit Gedanken, Ideen und Kulten“, sagt Keel, „führt fast zwangsläufig zu Vereinfachungen – bei der Schrift und Religion. Der Mensch versucht ja immer, alles auf den Punkt zu bringen.“

Auf alle Fälle ist ein solch einzigartiger Gott bestens dazu geeignet, sich als Minderheit, umgeben von vermeintlichen oder tatsächlichen Feinden en masse, von den anderen abzugrenzen und als etwas Besonderes darzustellen. Das stärkt – soziologische Binsenweisheit – Selbstwertgefühl und Gruppenzusammenhalt.

Die Urheimat des Jahwe ist schwer auszumachen. Nach dem Selbstverständnis des Alten Testaments war er kein israelitischer und kein judäischer Gott. Und im Götterregister der Kanaanäer taucht der Name auch nicht auf. Eine geografische Liste des Pharaos Amenophis III. aus dem 14. Jahrhundert v.Chr. nennt ein „ Land der Schasu von Jahu“. Die Schasu waren eine Nomadengruppe in den weiten Steppengebieten Vorderasiens, Jahu wäre eine Landschaftbezeichnung. Jahu (semitisch: Jhw) ist jedoch auch eine durchaus übliche verkürzte Form von „Jahwe“. Dass Land, Bewohner und Gott den gleichen Namen haben, kommt im alten Orient häufiger vor.

Ulrich Hübner will nicht zu der „kritischen Minderheit“ gehören, die in Jahu nur eine Landschaftsbezeichnung sieht. Er liest die Hieroglyphen mit anderen Wissenschaftlern als „die Schasu, die den Gott Jahwe verehren“. Für ihn ist Jahwe ein Gott der Schasu-Medianiter, die historisch nachweisbar am Roten Meer auf heute saudiarabischem Territorium lebten. Wie Jahwe aus dem Gebiet, nach dem er benannt ist, in die westjordanischen Berge kam, ist den einen ungewiss, den anderen dagegen eindeutig: Hübner – überzeugt, dass die Proto-Israeliten in den Bergen Auswanderer aus Kanaan waren (siehe Betrag „Als Jerusalem ein Kuhdorf war“) – zeichnet („voll hypothetisch!“) ein mögliches Bild: Eine Sippe von Proto-Judäern hat sich ihren Lebensunterhalt in Ägypten verdient und will oder muss von da verschwinden. Ihr Anführer heißt Mose. Der lernt unterwegs auf dem Sinai die Midianiter und ihren Gott Jahwe kennen und bringt ihn mit in die judäischen Berge. Die verwandtschaftlichen Bande halten sich über viele Generationen, so dass die rückgewanderte Sippe sich mit ihrem Jahwe an einen Clan in den Bergen anschließen kann. Wie der importierte Gott dann allerdings zum Staatsgott in Juda aufsteigt, „darüber gibt es keinerlei Nachrichten“, bedauert Hübner. Er sieht in den biblischen Geschichten jedoch einen historischen Kern, eben weil das Alte Testament ausdrücklich festhält, dass Jahwe ein ausländischer, ja arabischer Gott sei. Hübner: „So etwas kann man nicht erfinden!“

Wie auch immer: Der eingemeindete Gott aus der Wüste wurde zur dominierenden Kraft in Juda (mehr) und Israel (weniger). Die politisch wirksame Herrschaft aber ging von anderer Stelle aus: Die aggressiven Assyrer expandierten im 8. Jahrhundert bis an die Mittelmeerküste. Das wirtschaftlich prosperierende Israel wurde zwischen 722 und 718 v.Chr. überrannt und dem assyrischen Imperium einverleibt, die israelitische Elite – nicht das gesamte Volk – wurde verschleppt. Die Bauern blieben im Land, viele „ Intellektuelle“ flohen nach Juda. „Alles was an den biblischen Überlieferungen als israelitisch zu erkennen ist“, so Hübner, „ kam in dieser Zeit nach Juda.“

Das kleinere Reich entging der restlosen Eroberung eher zufällig und unter Ablieferung eines schmerzhaften Tributs. Unter anderem musste der judäische König „seine Töchter, seine Palastfrauen, Sänger und Sängerinnen“ abliefern. Juda wurde erst 586 v.Chr. vom babylonischen König Nebukadnezer II. endgültig erobert, Jerusalem zerstört, König und Teile der Oberschicht deportiert. Die beiden Königreiche in den westjordanischen Bergen hatten aufgehört zu existieren.

Dieses Schicksal, inklusive Deportation der Eliten, teilten die Judäer und Israeliten mit allen anderen Völkern der Levante. Aber dann passierte etwas Seltsames: Sowohl Edomiter als auch Moabiter, Philister und Phönizier, Ammoniter und Aramäer und nicht zuletzt die Israeliten sind nach 200 Jahren historisch nicht mehr als eigenständiges Volk zu fassen. Sie gaben unter dem Druck der assyrischen und der folgenden babylonischen Herrschaft ihre Ethnizität auf – ihre Sprache, Kultur und Religion verschwanden, sie hatten sich vollständig assimiliert. Dadurch gingen die sicher auch bei diesen Völkern vorhandenen Schriften – Hofannalen, Chroniken, literarische Texte – verloren.

Nur die Judäer überlebten als Ethnie – bis heute. Der zentrale Punkt ihres Kultes, der Jerusalemer Tempel, war zwar zerstört, die Monarchie zerschlagen und die ewige, gottgewollte David-Dynastie abgelöst. Dennoch, meint Hübner, gelang es den Judäern, ihre Identität unter Wandlungen beizubehalten: „Aus Judäern wurden Juden. Aber immer blieb klar: Wir kommen aus dem Stamm Juda.“ Solch intensive Ethnizität wird in Krisen- und Konfliktsituationen als besonders dringlich empfunden und entsprechend ideologisch untermauert.

Der entscheidende Punkt für diesen Kraftakt war nach Meinung Hübners die ausdauernde Pflege des schriftlichen Gedächtnisses – vor allem der religiösen Schriften und der alten Erzählungen. Die Sagen und Legenden wurden von gewieften Klerikern im so genannten babylonischen Exil an die politischen Gegebenheiten angepasst und nach eigenem Gutdünken redigiert, „denn in der Vergangenheit liegt der Keim der Hoffnung in einer Befreiung von der Fremdherrschaft, einer Wiedergewinnung von Autonomie und Souveränität, einer neuen Epoche des wahren Glaubens.“ So sinniert der Kieler Bibelforscher Hübner über das Basteln an der judäischen Vorgeschichte – von Abrahams Wanderung über Moses‘ Rückkehr bis zur kriegerischen Landnahme Kanaans, des von Gott verheißenen Landes.

538 v.Chr. – die Perser hatten mittlerweile in Vorderasien die Macht von den Babyloniern übernommen – erlaubte König Kyros den deportierten Judäern, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Doch nach etwa zwei Generationen in der Fremde hatte man sich dort offenbar ganz gut etabliert – die Forscher glauben, dass nur eine Minderheit nach Juda zurückkehrte.

„Aber das war eine radikale Minderheit“, ist Gunnar Lehmann, Archäologe an der Ben-Gurion University of the Negev, sicher. „ Und sie hatte eine eindeutige Botschaft – nämlich: Nur wir wissen, was der rechte Glaube ist!“ Mit den „Augen und dem Bewusstsein dieser Fanatiker“, davon ist Lehmann überzeugt, „ sehen wir die Geschichte Palästinas, wenn wir allein mit der Bibel zurückschauen.“ ■

Michael Zick

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