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Eis-Zeit

Allgemein

Eis-Zeit
Eis ist einer der phantastischsten Stoffe der Erde. Zehn Prozent des Festlandes sind von Eis bedeckt. Das scheinbar Normalste der Welt entpuppt sich als Stoff, der die Wissenschaftler vor immer neue Rätsel stellt. Mit den eigenwilligen Kristallen formt die Natur bizarre Kunstwerke.

Der Anstoß kam von Winston Churchill. Der Brite wollte während des Zweiten Weltkriegs Eisberge und die Meereisdecke vor Grönland als Kriegsstützpunkte nutzen. Darauf sollten die Alliierten mit ihren Flugzeugen zwischenlanden, auftanken und so die weite Strecke von den USA nach Europa ins Gebiet des deutschen Feindes überwinden.

Aus der Idee wurde nie Realität. Die Eisberge waren nicht groß genug für die Start- und Landebahn, und die nur wenige Meter dicke Meereisdecke erwies sich als zu brüchig. Auch der Plan, einen Flug-zeugträger aus dem reichlich vorhandenen und billigen Roh-stoff Eis im arktischen Meer zu bauen und durch ein Gefriersystem haltbar zu machen, wurde nie verwirklicht. Doch seither befassen sich Wissenschaftler und Ingenieure mit den kristallchemischen und -physikalischen Eigenschaften der gefrorenen Wassermasse.

Eis gehört zu den erstaunlichsten Substanzen, die es auf der Erde gibt: Es kann fließen, obwohl es fest ist, und es ist leichter als sein Ausgangsstoff, das Wasser. Damit widersetzt es sich der normalen Regel der Natur, nach der jede Substanz fest schwerer ist als flüssig. Wäre das beim Eis ebenso, dann würden Eisberge nicht schwimmen und niemand könnte im Winter auf einem blitzblanken See Schlittschuh laufen.

Was Eis so exzentrisch macht, ist sein hexagonales Kristallgitter, zu dem sich die kleinsten Bausteine des Eises – die Wassermoleküle – unter Luftdruck und Temperaturen unter Null Grad Celsius zusammenschließen. Sechs Was-sermoleküle bilden einen Ring, der nach den Seiten wieder mit Sechserringen verknüpft ist. Das Kristallgitter des Eises gleicht einer geschichteten, weiträumigen Wabenstruktur. Im Labor ließen sich unter extremen Drucken und Temperaturen noch zwölf weitere Kristallformen erzeugen, und sogar zwei amorphe Formen, also Eis ohne Kristallstruktur. Solche Experimente dienen der Grundlagenforschung. Unter natürlichen Druck- und Temperaturbedingungen ist das Eis auf der Erde stets hexagonal. Da die Wassermoleküle im Eisgitter eine größere Distanz zueinander haben als im flüssigen Zustand, vergrößert sich beim Gefrieren das Volumen. Eis ist also weniger dicht und deshalb leichter als Wasser.

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Mit welcher Macht die Wassermoleküle auf ihre Plätze im Kristallgitter drängen, zeigt sich im Fels der Gebirge. Drucke von 2000 Kilogramm pro Quadratzentimeter können sich in Rissen und Spalten des Gesteins aufbauen. Bei Tau und Frostwechsel wird das vereiste Gestein zerrüttet, einzelne Felsblöcke können sogar auf einen Schlag zerspringen.

Die hexagonale Anordnung der Wassermoleküle im Eis spiegelt sich auch in den sternförmigen Kristallen der Schneeflocken wider, ebenso in Reifnadeln und -plättchen, die an kalten Wintertagen Bäume und Gräser glitzern lassen. Die Wassermoleküle dieser Kristalle schlagen sich direkt aus der Feuchtigkeit der klaren Luft nieder.

Dicke Rauhreifschichten brauchen Nebel zum Entstehen. In langen Kälteperioden legt sich eine Eisschicht über die andere. Fächerförmige Reif-kristalle, die dicht nebeneinander bei feuchter Luft an kalten Tagen auf einer Schneefläche wachsen, können verheerend wirken, wenn sich eine neue Schneeschicht darüberlegt. Denn sie können Lawinen auslösen – genauso wie becherförmige Eiskristalle, die sich durch wiederholtes Tauen und Gefrieren schichtweise innerhalb von Schneedecken bilden. Die Eiskristalle sind in solchen Schneehängen nur lokker miteinander verbunden. Bei Neigungen zwischen 28 und 50 Grad genügt eine geringe Erschütterung, um die weiße Masse ins Rutschen zu bringen. Bis zu 140 Stundenkilometer schnell können Fließ-lawinen werden. Mit 300 Stundenkilometern rasen Staublawinen zu Tal, in denen die Eiskristalle zu Wolken aufgewirbelt werden.

Die sternförmigen Eiskristalle der Schneeflocken altern, sobald sie auf der Erde liegen. Sie verschmelzen allmählich zu kleinen Körnern. In den Hochgebirgen oberhalb der Schneegrenzen wird daraus Firn und schließlich – unter der Last von Neuschnee – Gletschereis. Je tiefer die Temperatur sinkt, desto härter wird das Eis. Bei Null Grad Celsius ist es noch so weich wie Talk oder Gips, bei minus 25 Grad Celsius wird es stahlhart.

Die hexagonale Kristallgitterform ist der großen gefrorenen Eismasse der Gletscher zwar nicht anzusehen, aber sie ist die Ursache dafür, daß die Gletscher kriechen. Die Sechserring-Ebenen der Eiskristalle liegen im Gletschereis quasi wie Spielkarten in einem Stapel übereinander. In Schräglage gleiten sie auseinander, und auch flach liegend verrutschen sie unter Druck. Im Gletschereis spielen sich diese Verschiebungen im Bereich von zehnmillionstel Millimeter ab. Die Fachleute sprechen von „Trans-lation“ – einem Gleiten auf den Netzebenen des Kristallgitters:Sie macht das plastische Fließen von Gletschern möglich. Dabei setzt das Eigengewicht des Gletschers das Eis in Bewegung.

Die Geschwindigkeit, mit der ein Gletscher fließt, variiert je nach Neigung des Geländes, Eisdicke und Klima zwischen wenigen Zentimetern und rund 1000 Metern im Jahr. Der schnellste Gletscher der Erde, der Jakobshavn-Gletscher an der Westküste Grönlands, schiebt seine Eiszunge jährlich mehr als 4000 Meter weit ins Wasser eines Fjords hinein.

Je schneller ein Gletscher kriecht, desto stärker zerreißt seine Oberfläche. In den Eiskolossen der gemäßigten Klimazonen klaffen bis zu 30 Meter tiefe Spalten; in der spröderen gefrorenen Masse der kalten Polarregionen sind sie manchmal 50 Meter tief. Darunter ist das Eis bruchlos verformbar.

Beschleunigt wird das Fließen von Gletschern durch Schmelzwasser unter dem Eis. Denn der Druck durch das Eigengewicht der Eismasse setzt den Taupunkt von Null Grad Celsius herab: um 0,7 Grad pro 1000 Meter Eislast. Am Grund der gefrorenen Masse, im Felsbett des Gletschers, baut sich an Unebenheiten des Bodens ein hoher Druck auf. Das Schmelzwasser dort „schmiert“ den Gletscher. Hinter der Erhebung gefriert es wieder.

Dieser Effekt – von den Experten „Regelation“ genannt – mußte bis vor kurzem auch als Erklärung dafür herhalten, warum man auf Eis Schlittschuh laufen kann. Das Körpergewicht, so die Lehrbuchweisheit, bringe genügend Druck auf die schmalen Kufen, um das Eis darunter zu schmelzen. Vor kurzem haben Wissenschaftler herausgefunden, daß Eis von vornherein schlüpfrig ist: Es ist stets von einer Art Wasserfilm bedeckt. Offenbar sind die einzelnen Moleküle an der Oberfläche einer Eisdecke weniger fest ans Kristallgitter gebunden als im Innern.

Die Fließfähigkeit des Eises macht es Ingenieuren schwer, in Permafrostgebiete zu bauen, wo der Boden fast das ganze Jahr über viele Meter tief gefroren ist. Sogar im Sommer schafft die Sonne es nur, die Oberfläche aufzuweichen. Wissenschaftler experimentieren seit Jahren mit Eis und Schnee als Baustoff für den Untergrund von Straßen und Flugzeug-Landebahnen sowie für Fundamente von Gebäuden.

Um die kriechenden Eismassen in den Griff zu bekommen und die Tragfähigkeit und Festigkeit zu erhöhen, mischen sie Holzmehl, Kunststoffgranulat oder Glasfasern unters Eis. Mit nur sechs bis zwölf Prozent Holzfasern konnten die Ingenieure die Festigkeit des Eises bereits um 300 Prozent steigern – wenn auch bislang nur im Labor. Sie hoffen, daß ihr Baustoff in den Dauerfrostgebieten eines Tages die Rolle von Beton übernehmen kann.

Angelika Jung-Hüttl

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