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Embryonen sind nicht mehr tabu

Allgemein

Embryonen sind nicht mehr tabu
Die biomedizinische Forschung eröffnet neue Möglichkeiten, Erbkrankheiten zu heilen – vorausgesetzt, man wirft Tabus über Bord. Der Theologe Prof. Trutz Rendtorff plädiert dafür, Gesetze zu ändern, die Forschung an Embryonen begrenzt freizugeben und Eingriffe in die Keimbahn des Menschen zuzulassen.

bild der wissenschaft: Herr Prof. Rendtorff, das Institut „Technik – Theologie – Naturwissenschaften“ moniert, daß in Deutschland aus überholten ethischen Erwägungen die Grenzen der Forschung auf dem Gebiet der Gentherapie und der Eingriffe an menschlichen Embryonen zu eng gesteckt sind. Fordern Sie, die Ethik dem Möglichen anzupassen?

Rendtorff: Ich würde lieber sagen, es geht um einen Dialog über unsere Grundsätze mit Blick auf die aktuelle Forschung. Unsere heutigen ethischen Antworten beziehen sich ja auf einen früheren Wissensstand. Inzwischen werden wir vor neue Probleme gestellt, und wir müssen uns fragen, wie unsere bisherigen ethischen Standards dazu passen.

bild der wissenschaft: Man unterscheidet zwei Arten von Gentherapie: Bei der somatischen Therapie wird in das Erbgut der Körperzellen eines einzelnen Menschen eingegriffen, um ihn von einer Krankheit zu heilen. Bei dieser Form sind sich die Mitglieder des TTN – Biologen, Theologen, Philosophen – einig, daß sie ethisch unproblematisch ist.

Rendtorff: So ist es.

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bild der wissenschaft: Das Erbgut ist also nichts Gottgegebenes, nichts, was man nicht antasten dürfte? Die Gentherapie ist nicht, wie manche religiöse Menschen sagen, „wider die Natur“?

Rendtorff: Dieser Standpunkt würde unseren Erkenntnissen über die Evolution widersprechen. Nein, das Besondere am Menschen ist ja – auch aus theologischer und ethischer Sicht -, daß er mit der ihm anvertrauten Natur verantwortlich gestaltend umgehen kann. Das bedeutet immer auch Eingreifen und Verändern – auch beim Menschen. Sollte man auf Transplantationen verzichten? Deshalb ist es unwahrhaftig zu fordern, in das Erbgut dürfe der Mensch nicht medizinisch korrigierend eingreifen.

bild der wissenschaft: Nun ist aber nicht nur der einzelne Mensch Teil der Natur, sondern auch die Art Mensch. Während Sie den Eingriff am Erbut eines einzelnen als unproblematisch einordnen, geben Sie keine eindeutige Antwort bei der zweiten Art der Gentherapie, bei Eingriffen in die Keimbahn. Dabei wird das Erbgut von Samen- und Eizellen verändert, repariert, ergänzt. Das wirkt sich auf alle Nachkommen des behandelten Menschen aus – und ist bisher verboten. Sie sprechen sich aber nicht grundsätzlich dagegen aus.

Rendtorff: Es ist doch schwer einsehbar, warum ein therapeutisch begründbarer Eingriff in das Erbgut nur einem einzelnen kranken Menschen zugute kommen darf, und warum er nicht – durch die Korrektur eines Defektes in der Keimbahn – auch für alle Nachkommen zu rechtfertigen sein sollte.

bild der wissenschaft: Wer entscheidet denn, wann eine Krankheit vorliegt? Es könnte ja auch der Wunsch sein, eine Erbanlage für rote Haare oder geringe Körpergröße zu korrigieren.

Rendtorff: Darüber, ob ein Eingriff in das Erbgut medizinisch notwendig ist, muß der Arzt entscheiden. Da können weder Biologen noch Juristen noch Ethiker Vorgaben machen. Wir können aber auch nicht sagen: Wir lassen die Ärzte allein, die sollen sehen, was sie machen.

bild der wissenschaft: Woran also soll sich der Arzt orientieren?

Rendtorff: Zum ersten muß er natürlich immer als verantwortlicher Teil der Arzt-Patient-Beziehung handeln: Er darf nichts tun, was sein Patient nicht will, aber er darf auch nicht alles tun, was der Patient von ihm fordert. Zweitens sollte der Arzt ständig auf dem neuesten Stand der medizinischen Forschung sein, was ihm neue Möglichkeiten der Behandlung eröffnet. Drittens – ganz wichtig – muß ständig alles, was medizinisch geschehen kann oder soll, öffentlich gemacht werden. Auch die Ethik ist keine Geheimwissenschaft, sondern ein Prozeß der öffentlichen und politischen Diskussion. Das mußten die Mediziner und die Genetiker erst einmal lernen, aber gerade die Genforscher haben das früh begriffen.

bild der wissenschaft: Die Keimbahntherapie befürworten Sie unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen, sie ist aber in Deutschland verboten. Müssen also die Gesetze geändert werden?

Rendtorff: Gegen eine Keimbahntherapie, die gezielt auf die Heilung genetisch verursachter Krankheiten gerichtet ist, können im Prinzip keine tragenden ethischen Argumente genannt werden. Um das klar zu sagen: Ich spreche nicht von Versuchen, die Menschheit klüger oder schöner zu machen. In diesem Sinne vertreten wir die Auffassung, daß man kein generelles Nein zur Keimbahntherapie sagen kann. Wohl aber ein bedingtes Nein, mit Blick auf den aktuellen Stand der Forschung. Denn es ist ja noch völlig unklar, ob wir alle Risiken und Folgen, die mit den Eingriffen in die Keimbahn verbunden sein könnten, schon kennen.

bild der wissenschaft: Um die Folgen einer Keimbahntherapie beurteilen zu können, muß man an Embryonen forschen. Embryonenforschung ist bei uns auch verboten. Sie stellen nun die Gewissensfrage: Kann es richtig sein, andere Nationen, die mit der Forschung liberaler umgehen, die Arbeit machen zu lassen, um dann deren Erkenntnisse zu nutzen? So bräuchte man sich selbst nicht mit dem wissenschaftlichen Ge- und Verbrauch von Embryonen zu belasten.

Rendtorff: Wir haben auf das Dilemma hingewiesen, in das uns die gesetzliche Lage in Deutschland bringen könnte. Wir hatten das schon einmal: bei der künstlichen Befruchtung. Die Grundlagenforschung haben andere gemacht. Die Anwendung aber wird heute auch bei uns nicht mehr in Frage gestellt. Bei der Keimbahntherapie verhalten wir uns wieder so. Das führt zu einer Doppelmoral nach dem Motto: Sollen doch die Amerikaner und die Australier forschen, und wenn die durch sind, dann nutzen wir gerne, was sie an Erkenntnissen gewonnen haben. Hier müssen sich unsere Wissenschaftler, aber auch die deutsche Öffentlichkeit, fragen, ob wir uns noch einmal in diese moralisch zwielichtige Situation bringen wollen.

bild der wissenschaft: Genforschung an Embryonen zur Heilung von Herzinfarkt und Krebs könnte heute durchsetzbar sein. Was aber, wenn morgen genetisch bedingte Fettleibigkeit und abstehende Ohren als Krankheit angesehen werden?

Rendtorff: Ich meine, wir sind als Gesellschaft fähig, in einer öffentlichen Diskussion die Grenzen zu stecken, was wir wollen sollen und was nicht. Die Vorstellung, daß wir als Menschen uns mit den Mitteln der Gentechnik zum Subjekt unserer eigenen Evolution machen, ist doch auch phantastisch. Aber das genau ist die Debatte, die wir brauchen.

bild der wissenschaft: Voraussetzung für eine Keimbahntherapie wäre zunächst die Präimplantationsdiagnostik – PID -, die genetische Untersuchung eines Embryos, der aus einer künstlichen Befruchtung hervorgegangen ist, bevor man ihn einer Frau einpflanzt. Auch die ist, ebenso wie Embryonenforschung und Keimbahntherapie, bei uns nicht ausdrücklich verboten, aber sie wird nicht gemacht.

Rendtorff: Weil man noch diskutiert, ob die PID schon durch das Verbot der Embryonenforschung abgedeckt wird, oder ob man eine Lücke darin findet.

bild der wissenschaft: Das Paradoxe bei der PID ist ja, daß man vor der Einpflanzung in den Mutterleib nicht schauen darf, ob der Embryo vielleicht einen ernsthaften genetischen Defekt hat. Man darf ihn aber wohl in den Leib der Mutter bringen, ihn heranwachsen lassen, und dann die Schwangerschaft abbrechen, wenn sich ein Erbschaden herausstellt.

Rendtorff: Das Embryonenschutzgesetz wurde eben zu einer Zeit verfaßt, als man noch nicht auf dem heutigen Stand des Wissens und Könnens war. Deshalb müssen wir heute noch einmal neu Rechenschaft darüber ablegen, welche Bedeutung das ethische Prinzip der Menschenwürde hat. Ich plädiere dafür, den Handlungsspielraum für die wissenschaftliche Forschung zu erweitern.

bild der wissenschaft: Die Bilanz ist also ein dreifaches Ja: zur Embryonenforschung, zur Keimbahntherapie, zur Präimplantationsdiagnostik – immer unter der Bedingung, daß damit vorher verantwortlich diskutierte medizinisch-therapeutische Ziele verfolgt werden.

Rendtorff: Das ist die zugespitzte Herausforderung an die Öffentlichkeit, ein Beitrag zu einer Diskussion, die geführt werden muß, die ich persönlich auch vertrete. Wenn wir uns der nicht stellen, rückt uns das wieder in eine moralische Zweideutigkeit hinein. Wir können uns nicht darum herumdrücken.

Trutz Rendtorff, Jahrgang 1931, ist Theologie-Professor und Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Arbeitsschwerpunkt Ethik. Seit 1998 ist er Vorsitzender des 1993 gegründeten Instituts „Technik – Theologie – Naturwissenschaften“. Hier diskutieren Biologen, Philosophen, Theologen und Ökonomen über Fachgrenzen hinweg die Folgen und Verantwortlichkeiten der neuen Möglichkeiten, die Biomedizin und Technik dem Menschen eröffnen.

Jürgen Nakott / Trutz Rendtorff

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