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Evolution und Provokation

Allgemein

Evolution und Provokation
Woher wir kommen, wohin wir gehen. Über die Entwicklung des Lebens, besonders des Menschen, kursieren verwirrende Mißverständnisse. Neue Bücher klären auf – und provozieren.

Lee Smolin hätte es nicht einfach in Kansas. Die oberste Schulbehörde des US-Bundesstaates hat im August dieses Jahres die Evolutionstheorie und die Urknalltheorie aus dem Lehrplan gestrichen. Christliche Fundamentalisten hatten das durchgesetzt. Smolin, Professor für Physik an der Pennsylvania State University, entwickelt in seinem Buch Warum gibt es die Welt? sogar eine „Evolution des Kosmos“. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen sucht er nicht nach der Weltformel, die Quanten- und Relativitätstheorie vereinigt, sondern stellt viel grundlegendere Fragen: Warum gibt es Sonnen? Warum sind die Massen der Elementarteilchen gerade so groß, daß sie stabile Atome zulassen? Warum ist unser Universum lebensfreundlich, und besteht nicht aus einer gleichförmigen Neutrinowolke? Smolin untersucht diese Fragen aus biologischer Sicht – und kommt zu überraschenden Ergebnissen. Er entwickelt eine Theorie vom „Leben und Sterben“ und von der Weiterentwicklung der Universen. Nur soviel sei hier verraten: Dreh- und Angelpunkt sind die Schwarzen Löcher. Smolins Ideen sind hochgradig provokant und spekulativ. Aber seine Gedankenführung ist brillant und auch für Nichtphysiker gut zu verstehen. Da Smolin immer klar macht, was seine und was allgemein anerkannte Theorie ist, läuft kein Leser Gefahr sich ungesichertes Wissen anzueignen.

Auch an Richard Dawkins Gipfel des Unwahrscheinlichen hätten die Fundamentalisten keine Freude. Es ist die Lebensaufgabe des britischen Biologen und Professors für „Public Understanding of Science“, Darwins Theorie über die Entstehung des Formenreichtums in der Natur unters Volk zu bringen. Dawkins pickt sich dazu weit verbreitete Vorurteile über die Evolutionstheorie heraus und stellt sie richtig. In seinem neuen Buch ist es die Behauptung: Es ist doch extrem unwahrscheinlich, daß so komplizierte Strukturen wie Augen oder Flügel zufällig entstanden sind. Kein Biologe würde behaupten, daß das hochentwickelte Linsenauge des Menschen auf einmal durch Zufall in die Welt kam. In einem eindrucksvollen Kapitel beschreibt Dawkins die Entwicklung der verschiedenen Sehorgane, von den einfachsten Lichtdetektoren bei Napfschnecken bis zum Präzisionsorgan eines Falken. Im Gegensatz zu den Behauptungen christlicher Kreationisten findet man sogar heute noch viele Tiere mit allen Arten einfacher, aber wirkungsvoller Augen, an denen sich sehr gut nachvollziehen läßt, wie sich das Sehorgan über Jahrmillionen entwikkelt hat. Augen und Vogelflügel sind für Dawkins Gipfel der biologischen Unwahrscheinlichkeit: In der Natur klettert keiner sozusagen freiwillig die Eigernordwand herauf, sondern geht hinten herum, den leichten Weg über die Almen. Für zufällig hält Dawkins nur die kleinen Mutationen. Ob sie sich bewähren, darüber sollen nur die Umweltbedingungen entscheiden. „Gipfel des Unwahrscheinlichen“ ist wie alle Bücher von Richard Dawkins hervorragend und leicht verständlich geschrieben.

Auch Franz Wuketits geht es um weitverbreitete Mißverständnisse: Natur ist harmonisch, Natur ist im Gleichgewicht, Natur muß bewahrt werden – wohlvertraute Sätze. Seit Jean-Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert die Parole „Zurück zur Natur!“ ausgab, schwärmen die Deutschen – von den Romantikern bis zur Umweltschutzbewegung – in idealistischen Vorstellungen von der Natur. „Absurder Unsinn“ meint der österreichische Wissenschaftspublizist Wuketits und konfrontiert den Leser mit der zerstörerischen Seite der Natur: Sind Tornados schützenswert? Löwinnen lassen ihre Jungen von fremden Löwenmännchen töten und „geben sich ihnen anschließend hin“ – harmonisch? Auch die Spezies Homo sapiens verdankt ihre Existenz nur einer globalen Katastrophe. Hätte nicht ein Meteorit vor 65 Millionen Jahren das Erdklima drastisch verändert und die hochentwickelten Saurier ausgerottet, dann hätten sich die Säuger und damit auch die Menschen wahrscheinlich nie zu ihrer heutigen Blüte entwickelt. In seinem Buch Die Selbstzerstörung der Natur gibt Wuketits einen knappen, aber informativen Überblick über die Bedeutung von Katastrophen für ökologische und evolutionäre Prozesse und welche Ideen Menschen in den letzten drei Jahrhunderten darüber entwickelt haben. Das Buch ist zwar gut verständlich, allerdings etwas steif geschrieben. Trotz seines Titels ist es kein Plädoyer, mit der vom Menschen zu verantwortenden Umweltzerstörung und der Ausrottung der Arten fortzufahren. Um „die Natur“ macht sich Wuketits wenig Sorgen. Er glaubt nicht, daß der Mensch ihr „die Mittel beraubt, für sich selbst zu sorgen“. Alle Katastrophen auf der Erde hätten gezeigt, wie flexibel das Leben ist. Vielmehr befürchtet er, daß wir dabei sind, eine Natur zu schaffen, in der die Menschheit nicht überleben kann.

Evolution

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Lee Smolin Warum gibt es die Welt? C.H. Beck 1999, DM 58,-

Richard Dawkins Gipfel des Unwahrscheinlichen Rowohlt 1999, DM 49,80

Franz Wuketits Die Selbstzerstörung der Natur Patmos 1999, DM 39,80

Thomas Willke

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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