260339420224. Die Personenkennzahl (PKZ) aus DDR-Zeiten kenne ich noch auswendig. Bis heute weiß ich nicht, ob sie nur eine Indexnummer war, oder ob sie außer den ersten 6 Ziffern (meinem Geburtsdatum) noch andere Informationen über mich verschlüsselte. Ich mußte an die PKZ und an ihre im Überwachungssinne begrenzte Wirkung denken, als ich das Mediengetöse um Manfred Kanthers Gendatei verfolgte. Statt einer sachlichen Diskussion gab es wieder den Orwell-Psycho-Gen-Überwachungs-Quark zu hören, wonach ein Genabdruck ein gläsernes Persönlichkeitsprofil mit sexueller Orientierung, psychischen Erbkrankheiten und Verbrechergenen liefern könne. Ich staune immer wieder, wie die Gegner von rassistischen Theorien und biologischem Reduktionsmus zu den leichtgläubigsten Opfern solchen blühenden Unsinns werden.
Magere Informationen
Ein einigermaßen vollständiges individuelles Profil der Gene eines Menschen zu ermitteln, ist gegenwärtig unmöglich. Wenn es in 10 oder 20 Jahren machbar sein wird, dann wird es die Information nicht liefern, die man von ihm erwartet. Denn die Identifizierung eines Individuums aus Gewebsproben ist aus den Funktionsgenen, die wir Menschen weitgehend gemeinsam haben, gerade nicht möglich, sondern nur aus den vielen Abschnitten des Genoms, die keine Funktion haben und daher wie ein Kaleidoskopbild variieren. Es ist der Witz des teuren Verfahrens, daß man sich gerade auf die unzähligen sinnleeren Orte des Genoms beschränken muß, an denen die zufällig entstandene, aber verfolgbar vererbte Anzahl wiederholter Buchstaben wie ein Strichcode eine Person zu identifizieren gestattet, falls sie am Tatort Sperma, ein Haar, einen Speichel- oder Blutstropfen hinterlassen hat. Allerdings darf kein Abdruck unbeteiligter Personen dazugeraten oder absichtlich eingemengt werden. Beides passiert sehr leicht. Die Teilnehmer eines Geheimdiensttreffens aus den Speichelspuren an den Zigarettenkippen zu identifizieren, klappt nur, wenn nicht ein Joint die Runde macht, an dem auch die unbeteiligten Bardamen ziehen und der die ganze Genetik zu einem Gruppen-Potpourri vermengt.
Gesetzliche Sicherheit
Daraus folgt, daß die breitgestreute Abdruckspeicherung keine Routinesache ist. Sie wirft personenschutz- und ermittlungsrechtliche Probleme auf, die nach meiner Meinung nicht durch verstreute Anordnungen, sondern durch ein gut formuliertes Gesetz abgesichert sein sollten, in dem auch die Fehler- und Störmöglichkeit eines Indizes abgewogen und seine gerichtliche Geltung definiert ist. Gespeichert werden darf nur der Strich- oder Zahlencode des zur Identifizierung notwendigen Erbgutabschnittes, aber keine funktionscodierende genetische Information und schon gar nicht die DNA des Probanden selbst. Da der Identitätsnachweis nicht vollkommen fehlerfrei und zudem statistischer Natur ist, sinkt die Aussagekraft bei Ausweitung auf große Probandenkollektive erheblich. Um die Methode dort, wo sie wichtige Dienste leisten kann – nämlich bei Wiederholungstätern sexueller Gewaltdelikte – nicht in Mißkredit zu bringen, sollte eine Speicherung des genetischen Fingerabdrucks ganzer Bevölkerungen unterbleiben.
Gendatei als Allzweckwaffe?
Im Windschatten von Herrn Kanther treten nun auch die fanatischen Datensammler auf den Plan. Es wäre doch eine tolle Sache, von jedem Neugeborenen gleich eine Blutprobe abzunehmen, die Sammlung bei älteren Personen – etwa bei Rekruten – zu vervollständigen und die Daten bei Bedarf hervorzuholen: Vorhandensein von Erbdefekten, Täternachweis bei Gewalttaten, Gewebeverträglichkeit bei Organspende, Arzneimitteltoleranz bei Erkrankungen, Neigung zu Erbdefekten bei Kinderzeugung, ein genetisches Profil, der IQ im Alter von 14 Jahren – und das Ganze als Input bei Musterung, Einstellungsverhandlungen, Versicherungsverträgen, Bewerbung auf die höhere Schule und als Ehetauglichkeitszeugnis. Die Staatssicherheit hatte ähnliche Visionen. Sie verfehlte sie aus technischen Gründen. Immerhin sammelte sie Geruchsproben aus den Unterhosen mutmaßlicher Störenfriede. Wer sich mit solchem Datenwust behängen möchte, soll das für sich selber betreiben und bezahlen, er soll aber die Bevölkerung verschonen. Einige Ziele sind achtbar, können aber auf einfachere Weise erreicht werden (Blutgruppen und Gewebstypen auf freiwilliger Basis), andere sind unerreichbar und liefern nur Gelegenheit für Mißbrauch und Fehldeutung (Genprofile). Der gläserne Mensch bleibt eine unerreichbare negative Utopie.
Jens Reich