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„Fatalismus wäre die falsche Reaktion“

Allgemein

„Fatalismus wäre die falsche Reaktion“
Nach den Berechnungen von Ottmar Edenhofer muss die globale Staatengemeinschaft ein Prozent ihres jährlichen Bruttosozialprodukts für Emissionsvermeidung aufbringen, wenn sie sich vor einem drastischen Klimawandel schützen will.

bild der wissenschaft: Wie bewerten Sie den Medienhype, der durch den UN-Klimabericht Anfang Februar ausgelöst wurde, Herr Dr. Edenhofer? Danach erwärmt sich die Erde bis Ende des 21. Jahrhunderts im Bereich von 1,8 bis 4,0 Grad Celsius, und der Meeresspiegel steigt um 18 bis 59 Zentimeter.

Edenhofer: In der Öffentlichkeit gibt es eine bemerkenswerte Entwicklung von Verleugnung über Apokalypse bis hin zu Fatalismus. Die Medien stürzen sich auf die Apokalypse. Das war auch so, als im Oktober vergangenen Jah-res der Stern-Report – benannt nach Nicholas Stern, dem früheren Chefökonomen der Weltbank – veröffentlicht wurde. Danach liegen die ökonomischen Schäden eines gefährlichen Klimawandels in einer ähnlichen Höhe wie die Kosten der Rezession in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Medien haben sich hauptsächlich auf den apokalyptischen Teil des Berichts gestützt. Dabei bestand dieser Report zu fünf Sechsteln aus der Diskussion von Lösungsvorschlägen. Meine Befürchtung ist, dass das Ganze in Fatalismus endet, weil man glaubt, das Problem sei so groß, dass man ihm überhaupt nicht mehr beikommen kann.

bdw: Die mediale Aufregung ist um so erstaunlicher, als sich die jetzt bekannt gemachten Entwicklungen kaum von dem unterscheiden, was 2001 oder sogar schon zu Beginn der Neunzigerjahre offenkundig wurde.

Edenhofer: Das grundlegende Bild hat sich nicht verändert. Doch mit dem UN-Report wurde eindrucksvoll untermauert, dass der Mensch Verursacher des Klimawandels ist. Durch die jüngsten Extremwetter-Ereignisse schenkt die Öffentlichkeit dem Klimawandel mehr Aufmerksamkeit. Der Hurrikan Katrina, die dahinschmelzenden Gletscher, das Abbröckeln der Eiger-Nordwand und der verheerende Tsunami am zweiten Weihnachtstag 2004 – alle diese Ereignisse führen den Menschen ihre Abhängigkeit von der Natur vor Augen.

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bdw: Wie reagieren Sie auf den Begriff „Klimakatastrophe“ ?

Edenhofer: Der Hurrikan Katrina war zweifellos eine Katastrophe, die wahrscheinlich etwas mit dem Klimawandel zu tun hat. Dennoch: Der Begriff Klimakatastrophe gefällt mir nicht, weil dadurch ein falsches Bild vermittelt wird, nämlich: dass es einen Punkt gibt, ab dem die totale Katastrophe über uns hereinbricht. Wir sind ja schon mitten im Klimawandel: Die Gletscher verschwinden, die Korallenriffe sterben ab, nach und nach versauern die Ozeane. Aber wir sollten darüber reden, wie wir einen gefährlichen Klimawandel vermeiden können. Statt immer wieder die Katastrophe zu bemühen, wäre es besser, man würde die Chancen aufzeigen, wie man einen gefährlichen Klimawandel vermeiden kann.

bdw: Zwischen Betroffenheit und Handeln klafft eine Lücke. Obwohl das Kohlendioxidproblem klar ist, wollen viele ein Auto mit mehr PS, vielleicht einen spritfressenden Geländewagen, den bei uns kaum jemand braucht.

Edenhofer: Aufklärung, Bewusstseinsbildung – das ist das Eine. Aber man muss den Leuten auch zielführende Wege zeigen. Viele meinen ja, es nützt nichts, im Kleinen etwas zu verändern. Unter den jetzigen Gegebenheiten ist das auch der Fall. Seit drei Jahrzehnten verbessern wir unsere Energieeffizienz. Tatsächlich sinkt die Kohlenstoffintensität des Energieverbrauchs kontinuierlich. Dennoch nahm die globale Kohlendioxid-Produktion von 1990 bis 2005 von 25 auf 29 Milliarden Tonnen zu. Warum? Weil das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum die Effizienzgewinne überkompensieren: Zwar verbrauchen Autos heute weniger Kraftstoff als früher, dafür haben viele Haushalte zwei, drei oder vier Autos.

bdw: Was ist zu tun?

Edenhofer: Jeder kann heute die Atmosphäre für den Kohlendioxid-Abfall kostenlos nutzen. Kein Wunder, dass wir sie übernutzen. Mit CO2 braucht kein Mensch haushälterisch umzugehen. Solange es für Kohlendioxid keinen Preis gibt, darf niemand erwarten, dass es zu großen Verhaltensänderungen kommt.

bdw: Angeschoben durch das Kyoto-Protokoll haben wir in der EU den Zertifikate-Handel von CO2-Emissionsrechten. Damit gibt es ja einen Preis für CO2.

Edenhofer: Das ist ein Startpunkt, wenn auch ein unvollkommener. Die zwei Fehler des europäischen Emissionshandels sind: Die bisherigen Minderungsziele sind zu lax. Gravierender aber ist der zweite Fehler: Man hat die Emissions-Zertifikate verschenkt. Das führt dazu, dass sich CO2-arme fossile Kraftwerke oder auch regenerative Energien gegenüber konventionellen CO2-produzierenden Kraftwerken nicht behaupten können. Hätte man dagegen die Zertifikate versteigert, müsste sich heute schon jeder Investor überlegen, ob er mit den alten Kohlekraftwerken aus dem Markt ausscheidet und ob er in die Kohlenstoffabscheidung investiert.

bdw: Was zahlt man denn für ein Zertifikat einer Tonne CO2 derzeit?

Edenhofer: Zwei Euro auf dem Spotmarkt und 15 Euro auf dem Zukunftsmarkt. CO2-freie Kraftweke werden sich dann rechnen, wenn der Preis auf 30 Euro steigt.

bdw: 40 Prozent der menschgemachten CO2-Emissionen produzieren die USA und China – beides Länder, die das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet haben. Was nützen Anstrengungen in Europa, wenn diese beiden Giganten nicht am selben Strang ziehen?

Edenhofer: In den USA bröckelt die Front der Ablehnung. Die Neuengland-Staaten sowie Kalifornien überlegen, ob sie am europäischen Emissionshandel teilnehmen. China und Indien haben ein großes Wachstumspotenzial. Doch wir müssen zugeben, dass wir Europäer die Atmosphäre schon seit der Industrialisierung nutzen – wir haben inzwischen eine beträchtliche Kohlenstoffschuld aufgebaut. China und Indien wollen sich wirtschaftlich entwickeln – ihre Kohlenstoffschuld ist noch relativ gering. Beide Länder besitzen große Kohlevorkommen, die sie auch nutzen werden. Dennoch werden beide Länder vom Klimawandel betroffen sein. Dieses Bewusstsein wächst, und daher werden beide Länder zur Verminderung der Emissionen ihren Beitrag leisten. Dennoch: Beide Länder betrachten das Kyoto-Protokoll als imperiale Zumutung des reichen Nordens. Europa muss deshalb zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum auch dann möglich ist, wenn man die Emissionen senkt.

bdw: Europa hat es also in der Hand, weltweit den Energieverbrauch zu senken?

Edenhofer: Das ist ein großes Missverständnis. Im 21. Jahrhundert wird es nicht gelingen, das Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch zu entkoppeln. In unserem Jahrhundert wird sich der globale Primär-Energieverbrauch gegenüber dem heutigen vervier- oder sogar verfünffachen. Was wir allerdings schaffen können, ist, trotz steigenden Energieverbrauchs die Emissionen zu reduzieren.

bdw: Ihr Ansatz zielt darauf hin, die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu beschränken. Wieso gerade 2 Grad?

EdenhofeR: Eine solche Beschränkung würde bedeuteten, dass wir einen gefährlichen Klimawandel vermeiden können. Wir könnten dann verhindern, dass der Regenwald austrocknet oder sich der Monsun verändert. Auch die Zunahme von Dürren und Überschwemmungen könnte einigermaßen in den bisherigen Proportionen gehalten werden. Die Störung der biologischen Pumpe des Ozeans könnte ebenfalls verhindert werden. Der Ozean bindet ja immerhin ein Drittel der von Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen.

bdw: Steigender Energiebedarf bei abnehmender CO2-Produktion kann durch vier Pfade erreicht werden: Zunehmende Ressourcenproduktivität, erneuerbare Energiequellen, Kernenergie und kohlendioxidarme oder -freie fossilbefeuerte Kraftwerke.

Edenhofer: Für jede Klimapolitik unverzichtbar ist die Effizienzsteigerung. Kurzfristig ist das der wichtigste Beitrag. Allerdings wird man das 2-Grad-Ziel oder die Begrenzung des Kohlendioxid-Anteils von 0,045 Prozent an der Luft nicht erreichen – derzeit sind es 0,038 Prozent.

bdw: Damit widersprechen Sie anderen Wissenschaftlern – etwa Forschern am Wuppertal Institut.

EdenhofeR: Ihnen widerspreche ich in der Tat. Der Energieverbrauch in Europa kann sicher stabilisiert werden, aber der Energieverbrauch vor allem in China und Indien wird erheblich zunehmen. Dem muss jede Klimapolitik Rechnung tragen.

bdw: Der zweite Block sind die erneuerbaren Energieträger.

Edenhofer: Da herrscht gar kein Streit. In allen großen Studien, die ich verglichen oder selbst gemacht habe, besteht ein Konsens, dass nach 2030 die Erneuerbaren ihr Nischendasein verlassen haben. Wind, Biomasse, Geothermie und Solar werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Selbst Nuklearenergie freundliche Szenarien geben den erneuerbaren Energien dann einen hohen Anteil. 2050 rechne ich mit 30 Prozent Anteil an der globalen Stromversorgung.

bdw: Und wie sehen Sie die CO2-Entfernung bei Kohle-, Gas- und Öl-Kraftwerken?

Edenhofer: Das größte Problem ist, ob die Einlagerung im Untergrund funktioniert. Unklar ist auch, zu welchen Kosten die Abscheidung von CO2 und der Transport möglich ist. Deshalb brauchen wir europaweit mindestens zwölf Pilotprojekte, die das mit ganz verschiedenen Verfahren untersuchen. Für die Einlagerung von CO2 lautet mein Vorschlag: Wer CO2 einlagert, muss Geld hinterlegen. Wenn das CO2 auch nach längerer Zeit in der Kaverne bleibt, wird die Summe ausbezahlt. Wenn aber ein Leck auftritt, wird der hinterlegte Betrag abgewertet. Die Firmen hätten also einen hohen Anreiz, nur sichere Lagerstätten auszuwählen.

bdw: Damit wären wir bei der Endlagerung. Just daran scheitert die Kernenergie weltweit.

Edenhofer: Darum kann man der Industrie nur raten, für das Einlagern von CO2 glaubwürdige Vorschläge zu unterbreiten. Auch die Kohlenstoff-Deponierung ist keine risikolose Option. Wir sollten alles daran setzen, um das Risiko in einem vernünftigen Rahmen zu halten. Das wird auch nötig sein, wenn wir bis zum Ende des Jahrhunderts eine bis zwei Billionen Tonnen Kohlendioxid unter Tage ablagern sollen, um den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf 2 Grad Celsius zu begrenzen.

bdw: Kernenergie erwähnen Sie nicht?

Edenhofer: Gegenwärtig stellt die Kernenergie mit ihren 435 Kraftwerken 17 Prozent des Stroms bereit, der weltweit gebraucht wird. Bis 2030 wird sich der globale Stromverbrauch mindestens verdoppeln. Wenn der Anteil der Kernenergie konstant gehalten werden soll, brauchen wir also mehr als 400 neue Kernkraftwerke. Ernsthaft geplant sind derzeit weltweit 28!

bdw: Was kostet uns die Emissionsvermeidung?

Edenhofer: Unser Team hat 2006 eine große Studie zu den Kosten der Emissionsvermeidung abgeschlossen. Dabei kamen wir zum Ergebnis, dass wir jährlich ein Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes aufbringen müssten, um die berühmten 2 Grad nicht zu überschreiten. Voraussetzung ist dabei, dass alle Staaten mitmachen, die in nennenswerten Mengen CO2 emittieren – also auch die USA, China, Indien, Australien.

bdw: Hans von Storch geht davon aus, dass es mehr Sinn hätte, sich an den Klimawandel anzupassen.

Edenhofer: Natürlich werden wir uns an den unvermeidbaren Restklimawandel anpassen müssen, den es auch bei 2 Grad geben wird. Aber die Entwicklungsländer werden sich bei 5 Grad zu moralisch und ökonomisch akzeptablen Kosten kaum noch anpassen können, weil das die Märkte überfordert. Man denke nur an große Migrationsströme, die die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaften schnell überstrapazieren. Das Problem zeigt sich auch am Versagen der Versicherungsmärkte, mit Extremereignissen fertig zu werden. Wir können belegen, dass die Emissionsvermeidung zu handhabbaren Kosten möglich ist. Wir müssen nicht zwischen Skylla und Charybdis wählen – Gott sein Dank.

bdw: Haben Sie als Ökonom die Hoffnung, in der Politik mehr Gehör zu finden als Naturwissenschaftler?

Edenhofer: Ich habe den Eindruck, Gehör zu finden. Natürlich ist es eine enorme Herausforderung, einen globalen Emissionshandel zu installieren. Und natürlich gibt es Menschen, die lächeln, wenn ich fordere, dass ein solcher in den nächsten 20 Jahren entstehen muss. Doch auch wer vor 20 Jahren gesagt hätte, dass eine gemeinsame europäische Währung kommt, die dem Dollar als Weltwährung Paroli bietet, wäre ausgelacht worden. Die globalen Kohlenstoffmärkte haben das Potenzial, eine dritte industrielle Revolution auszulösen. Wir haben gelernt, mit den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sparsam umzugehen. Jetzt müssen wir eben auch lernen, mit den Produktionsfaktoren Energie und Atmosphäre hauszuhalten. Manager möge es nie, wenn sie etwas bezahlen müssen. Aber die Marktwirtschaft funktioniert nur dann, wenn die Preise die Wahrheit sagen. Dabei geht es um die ökonomische, die soziale und die ökologische Wahrheit.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

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