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Ferrite machen Furore

Allgemein

Ferrite machen Furore
Eine Keramik erobert den Elektromarkt. Sie sind überall, aber kaum einer kennt sie. Doch jetzt kommen Ferrite in zahlreichen Anwendungen groß haraus – vom ersten Serien-Elektroauto bis zu einer völlig neuen Leuchtstoff-Lampe.

Eine Tankstelle in Kalifornien, Ende 1996: Ein roter Sportwagen gleitet heran und stoppt vor einer Zapfsäule. Der Fahrer steigt aus und steckt den Tankstutzen in einen kleinen Schlitz vorn in seinem Wagen. Was er hier tankt, ist kein Benzin – die Zapfsäule versorgt das erste Elektro-Serienauto der Welt, den EV1 (eine Abkürzung für „Electric Vehicle Number 1“) von General Motors, auf völlig neue Art mit elektrischer Energie: ohne direkten elektrischen Kontakt.

Anders als bei einem Staubsauger, der den Strom aus der Steckdose zieht, wird die Energie durch „Induktion“ übertragen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ein zwar alter, aber für neue Zwecke maßgeschneiderter Werkstoff: Ferrit.

Da alle elektrischen Leitungen im Plastikgehäuse des Tankstutzens verborgen sind, muß der Fahrer keinen Stromschlag fürchten. Das Ladesystem kann deshalb auch große Leistungen gefahrlos übertragen: Der EV1 ist schon nach einer Stunde wieder startklar. In Zukunft reichen sogar 10 Minuten, wobei eine Leistung von 120 Kilowatt in den Wagen fließt.

Eine unscheinbare, mattschwarze Scheibe, etwa so groß wie ein Eishockey-Puck, spielt eine entscheidende Rolle in dem neuen Ladesystem. Sie ist mit einer Kupferspule umwickelt und steckt im Plastikgehäuse des Tankstutzens. Das Gegenstück sitzt zu beiden Seiten des Schlitzes in der Schnauze des EV1: zwei rechteckige, 20 Zentimeter lange Bauteile, ebenfalls schwarz und mit Kupferspulen umwickelt. Sie sind so geformt, daß der Puck perfekt in ihre Mitte paßt. Der Puck und seine beiden eckigen Kollegen bestehen aus Ferrit, einem Gemisch aus Eisen, Mangan und Zink.

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Steckt der Fahrer den Tankstutzen in den EV1, nehmen die rechteckigen Ferrite den Puck in ihre Mitte; der Abstand beträgt dabei nur 0,2 Millimeter. Nun schickt die Zapfsäule einen Wechselstrom mit einer Frequenz von 100 Kilohertz durch die Kupferspule im Tankstutzen, die daraufhin ein Magnetfeld aufbaut, abbaut, aufbaut … genau im Rhythmus des Wechselstroms. Das magnetische Wechselfeld überstreicht die beiden Spulen im EV1 und erzeugt in ihnen wieder einen Wechselstrom – das Prinzip, die Induktion, ist die Grundlage jedes Transformators. Es wurde vor rund 160 Jahren von Michael Faraday entdeckt und zum ersten Mal als „Maschine“ realisiert. Heute ist es selbstverständlicher Bestandteil des Physikunterrichts in der Schule.

Bei der modernsten Anwendung des Transformatorprinzips, beim Tanken des Elektroautos, wandert die Energie fast vollständig – nur ein Prozent geht verloren – von der Zapfsäule in den Wagen. Dort wird der induzierte Wechselstrom in Gleichstrom verwandelt und in Batterien gespeichert.

Warum sind die drei Ferrite beim Tanken so wichtig? Ferrite kombinieren zwei Eigenschaften: Sie sind magnetisch, aber praktisch nichtleitend. Die Kupferspulen im Tankstutzen und im EV1 wirken gemeinsam als Transformator und brauchen ein magnetisches Material als Kern, der ihr Magnetfeld verstärkt und bündelt. Ohne diesen Kern wären die Verluste bei der Energieübertragung vom Tankstutzen in den Wagen viel zu groß, als daß diese Methode wirtschaftlich wäre. Auch reines Eisen ist magnetisch – aber im Gegensatz zu den Ferriten leitet es elektrischen Strom. Der hochfrequente Wechselstrom in der Spule würde im Eisen nach dem Transformatorprinzip einen starken Strom erzeugen – an dieser Stelle völlig unerwünscht, ein herber Energieverlust.

Um die Jahrhundertwende wurden Ferrite erstmals untersucht, in den dreißiger Jahren entwickelten Japaner die ersten Anwendungen. Inzwischen haben sie den Elektromarkt erobert, es existieren Tausende verschiedener Ferrite in allen möglichen Formen. In Schaltnetzteilen versorgen sie Notebooks, Energiesparlampen und Halogenscheinwerfer mit elektrischer Energie. Sie helfen bei der Übertragung hochfrequenter Signale von Satelliten und Handys, arbeiten als Antenne in Funkuhren und entstören Fernseher und Computer-Monitore. Bis in die siebziger Jahre speicherten sie im Computer Daten, bevor die Halbleiter sie verdrängten.

„Ferrite führten bislang ein verstecktes Dasein, sie sind überall vorhanden, aber wenig bekannt“, sagt Dr. Gerd Schulz, zuständig für Rohstoffe und Analytik beim deutsch-japanischen Unternehmen Siemens Matsushita Components, das pro Jahr rund 500 Millionen Ferrite im Wert von gut 200 Millionen Mark produziert und damit einer der größten Hersteller der Welt ist. Matsushita ist in Deutschland unter den Markennamen Panasonic, Technics, Aiwa und JVC bekannt.

Jede der zahlreichen Anwendungen erfordert einen Ferrit mit ganz bestimmten magnetischen und elektrischen Eigenschaften. „Wir müssen die Ferrite designen“, erläutert Gerd Schulz. Denn erst die richtige Mischung aus Eisen, Mangan, Zink und sogenannten Additiven macht’s (Kasten „Auf das Design kommt es an“, Seite 35). Außerdem muß sich die Form dem jeweiligen Einsatzzweck anpassen. Handys zum Beispiel verlangen besonders flache Ferrite mit guten Übertragungseigenschaften.

Neue Ferrite entwickeln die Ingenieure im Münchner Werk von Siemens Matsushita. Obwohl sie dabei auf 40 Jahre Erfahrung zurückgreifen konnten, waren die großen Ferrite für das Ladesystem des EV1 eine technische Herausforderung für das Team um Gerd Schulz. Die Entwickler sind stolz darauf, daß sie als weltweit erste und einzige 20 Zentimeter große Ferrite herstellen können. Die bisher käuflichen waren nur wenige Zentimeter klein – bedingt durch die schwierige Herstellung und durch den jeweiligen Bedarf.

Es liegt in der Eigenart des Werkstoffs begründet, daß es so schwierig ist, große Ferrite herzustellen. Ferrit ist eine Keramik. Auch wenn ein keramisches Bauteil mit einer Tonvase auf den ersten Blick nur wenig gemein hat, gibt es Parallelen im Material und in der Herstellung. Wie die Vase, so wird auch der Ferrit zunächst geformt und dann im Ofen gebrannt. Rohstoffe für einen Ferrit sind Eisen-, Mangan- und Zinkoxid.

Die drei Oxide werden zu einem Granulat vermahlen und in eine Form gefüllt. Eine mehrere Meter hohe Presse formt mit einem Gewicht von 400 Tonnen aus dem Granulat einen sogenannten Preßling. Beim anschließenden Brennen, im Fachjargon „Sintern“ genannt, verschmelzen die Metalle bei mehr als 1100 Grad Celsius zu einer Einheit, und der Ferrit schrumpft auf die Hälfte seines ursprünglichen Volumens. „Dabei kann es zu starken Spannungen kommen“, erläutert Schulz, „die großen Ferrite sind daher am Anfang der Entwicklung häufig zerbrochen.“

Wenn die Ferrite den Ofen verlassen, werden sie präzise geschliffen, etwa damit der Puck und die beiden rechteckigen Ferrite eine perfekte Einheit bilden und die Verluste beim Tanken möglichst gering sind. Die fertigen Ferrite sind, genau wie die Tonvase, recht spröde. Für ein Bauteil in einem Auto ist das nicht gerade ideal. „Wir haben einiges an Know-how investiert, damit die Ferrite im EV1 zehn Jahre halten“, sagt Gerd Schulz. Mit den großen Ferriten war das neue Ladesystem für den EV1 einsatzbereit. Noch stehen die leistungsfähigen 120-Kilowatt-Zapfsäulen nur im Labor, doch ihre etwas kleineren Pendants, die den EV1 in einer Stunde betanken, sind bereits im Einsatz.

Während bei bisherigen Elektroautos die Ladeleistung – und damit die Tankdauer – von vornherein festliegen, ist es dem EV1 egal, mit welcher Leistung er aufgeladen wird. Man kann ihn mit einem kleinen Ladegerät (6,6 kW) zu Hause in drei Stunden aufladen, an der Tankstelle (25 kW) in einer Stunde oder eben in Zukunft in 10 Minuten (120 kW). Die kontaktlose Stromübertragung verhindert auch Funkenüberschläge, wie man sie an der Oberleitung bei Straßenbahnen beobachten kann. Außerdem ist der mit Kunststoff überzogene Tankstutzen absolut unempfindlich gegen Wasser und Verschmutzung.

Auch die Konkurrenz von General Motors forscht in dieser Richtung: Peugeot entwickelt ein ähnliches Ladesystem, erste Versuche sollen 1997 starten. Hier steckt der Ferrit-Puck nicht in einem Tankstutzen, sondern sitzt auf einer Rampe im Boden und wird automatisch in den Wagen gefahren. Der französische Stromkonzern EDF fördert dieses Projekt. Er möchte seinen Strom verkaufen, den er zu 80 Prozent in Kernkraftwerken erzeugt.

Nicht nur als neuartiges Tanksystem legen die Ferrite ihr Mauerblümchendasein ab: Roboter sollen in Zukunft von den großen Ferriten profitieren. Bisher liefern Kabel Energie und Steuersignale in jeden Greifarm. Durch die vielen Kabel ist aber die Beweglichkeit der Roboter eingeschränkt. Die kontaktlose Übertragung mit Ferriten könnte den Robotern mehr Spielraum verschaffen.

Eine andere Idee hat die Firma Osram bereits verwirklicht: neue Leuchtstofflampen mit einer rund fünfmal längeren Lebensdauer. Bisher versorgen zwei Metall-Elektroden das Leuchtgas in der Röhre mit der nötigen Energie. Das Gas schlägt aber aus den Elektroden Metallatome heraus, die sich mit dem Gas vermischen – die Lampe beginnt zu flackern. Ferrit-Ringe, die den Glaskörper umschließen, können die Energie per magnetischem Feld von außen einkoppeln. So kommen sie nicht mit dem Gas in Berührung und verschleißen nicht. Erste Pilotversuche dieser neuen Lampen mit dem Namen ENDURA laufen bereits, der Verkauf beginnt 1998.

Moderne Produktdesigner müssen auch die Beseitigung ihrer Schöpfungen mit ins Kalkül ziehen: Was passiert mit einem Ferrit, wenn er ausgedient hat? Ist er erst gesintert, läßt er sich nur mit hohem Energieaufwand wieder in seine Ausgangsstoffe zerlegen. Eine Wiederverwertung ist daher bisher nicht wirtschaftlich. Aus dem gleichen Grund geben Ferrite auf der Deponie aber auch keine Schadstoffe ab. Schulz: „Verpreßt und gesintert bleibt verpreßt und gesintert.“ Also noch eine Gemeinsamkeit mit der Tonvase: Auch sie kann viele Jahrtausende überdauern – und wird dann für Millionen versteigert.

Der EV1 – Premiere der Serien-E-Autos

Nirgendwo sonst sind die Schadstoffgesetze so streng wie in Kalifornien: Ab dem Jahr 2003 müssen dort 10 Prozent aller verkauften Wagen Elektroautos sein – 175000 pro Jahr. Massachusetts, Vermont und New York haben das Gesetz inzwischen übernommen. Unter diesem Druck entwickelte General Motors den EV1.

Kalifornien bietet dem EV1 dank Wasserkraft genügend Strom, und das warme Klima behagt den Batterien. Einen mitteleuropäischen Winter würden sie, genau wie eine ausgelaugte Starterbatterie in einem normalen Auto, nur schlecht vertragen.

Zunächst rechnet General Motors pro Jahr mit einem Verkauf von 10000 Autos, die für 26000 Dollar angeboten werden – ohne Subventionen würde der EV1 etwa 10000 Dollar mehr kosten. Die drei Ferrite – das Schlüsselelement für die Betankung – fallen dabei preislich nicht ins Gewicht, denn sie kosten zusammen nur rund 150 Mark.

Neben dem Preis und dem schnellen Tanken hängt der Erfolg des EV1 auch von seiner Reichweite ab. Deshalb nutzt er seine elektrische Energie möglichst gut aus: Der cw-Wert – ein Maß für den Luftwiderstand – liegt bei diesem tropfenförmig-aerodynamischen Auto mit 0,19 deutlich niedriger als bei jedem anderen Serienwagen, die Bremsenergie lädt die Batterien wieder auf. Die Höchstgeschwindigkeit ist elektronisch auf 130 Kilometer pro Stunde beschränkt. Seine 140 PS spürt man dafür bei der Beschleunigung von 0 auf 100 in gut 9 Sekunden.

Dank Aluminium und Fiberglas wiegt der 4,3 Meter lange Wagen nur 820 Kilogramm – ohne Batterien. Die 27 Bleisäure-Batterien bringen zusätzlich 530 Kilogramm und beschränken die Reichweite auf maximal 150 Kilometer – nicht viel, aber zumindest für einen Zweitwagen durchaus passabel.

Auf das Design kommt es an

Eisen ist mit einem Anteil von 70 Prozent das wichtigste Metall im Ferrit. Die meisten Ferrite enthalten außerdem rund 25 Prozent Mangan und 5 Prozent Zink. Reines Eisen ist ferromagnetisch (vom lateinischen ferrum, Eisen). Jedes einzelne Eisenatom erzeugt sein eigenes kleines Magnetfeld. In einem äußeren Magnetfeld orientieren sich alle Felder in eine Richtung und wirken gemeinsam als starker Magnet.

Ferrite sind – wie ihr Name andeutet – ferrimagnetisch: Auch im Ferrit erzeugt jedes Eisen-Atom, aber auch jedes Mangan-Atom, ein kleines Magnetfeld. Die Felder weisen in einem äußeren Magnetfeld jedoch in verschiedene Richtungen und heben sich teilweise auf. Ein Ferrit ist daher ein schwächerer Magnet als reines Eisen. Außerdem ist er, im Gegensatz zum Eisen, fast nichtleitend. Beides wird verständlich, wenn man den Aufbau eines Ferriten genauer betrachtet.

Ausgangsprodukt für die Ferrit-Herstellung sind nicht reine Metalle, sondern Oxide, also Metall-Sauerstoff-Verbindungen. In einem Ferrit kommen auf drei Metall- ungefähr vier Sauerstoff-Atome. Die Metalle und der Sauerstoff bilden Kristalle, die sich wiederum zu unterschiedlich großen Körnern zusammenfinden. Da ein Korn von seinem Nachbarkorn elektrisch isoliert ist, kann Strom nur innerhalb eines Korns fließen: Der Ferrit ist praktisch nichtleitend. Im Gegensatz zum reinen Eisen induziert daher ein hochfrequentes Magnetfeld nur einen sehr kleinen Strom im Ferrit – die Wechselstromverluste sind gering.

Die Anordnung der Atome in den Kristallen, der Sauerstoff-Gehalt und die Korngröße legen fest, wie sich die kleinen Magnetfelder der Eisen- und Mangan-Atome ausrichten. Wenn man etwas Eisen durch Mangan ersetzt, Nickel statt Zink verwendet oder den Sauerstoff-Anteil erhöht, ändern sich die magnetischen und auch die elektrischen Eigenschaften des Ferriten.

Zusätzlich können sogenannte Additive die Leitfähigkeit gezielt beeinflussen. Der Vorteil: Für fast jeden Zweck kann man einen geeigneten Ferrit-Werkstoff herstellen, dessen Eigenschaften allerdings empfindlich von den Produktionsbedingungen und der Qualität der Rohstoffe abhängen.

Einige sind sehr magnetisch, andere weisen besonders kleine elektrische Verluste auf.

Gero Bieser

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