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Fesseln trainiert das Gehirn

Allgemein

Fesseln trainiert das Gehirn

Lähmungen nach Schlaganfällen sind kein unabänderliches Schicksal. „Jeder zweite Patient könnte sie mit unserem Bewegungsprogramm überwinden – selbst dann, wenn der Schlaganfall schon Jahre zurückliegt“, betont Wolfgang Miltner, Psychologieprofessor an der Universität Jena. Seine Arbeitsgruppe hat zusammen mit Prof. Edward Taub aus Birmingham, Alabama, ein Übungskonzept entwickelt, mit dem sich Hirnareale reaktivieren lassen. Statistisch erleiden in Deutschland fast 700 Menschen täglich einen Schlaganfall. Ursachen sind Gefäßverstopfungen durch Arteriosklerose oder geplatzte Blutgefäße im Gehirn. Die Folge: Nervenzellen werden von der Blutversorgung abgeschnitten und sterben ohne Behandlung nach wenigen Minuten ab. Jeder fünfte Patient überlebt dies nicht. Bei vielen anderen treten je nach Größe des ausgefallenen Hirnareals einseitige Lähmungen der Gliedmaßen oder Sprachstörungen auf. Allerdings sind die Lähmungen nach einem Schlaganfall nicht allein auf abgestorbene Hirnzellen zurückzuführen. Von großer Bedeutung ist das Phänomen des „erlernten Nichtgebrauchs“. Sobald Schlaganfallopfer merken, dass sie beispielsweise ihren linken Arm schlechter bewegen können als früher, nutzen sie vermehrt ihren rechten Arm, um den Verlust auszugleichen. Als Folge verlieren in der Großhirnrinde auch die für den linken Arm zuständigen Areale ihre Funktion, die vom Schlaganfall verschont geblieben waren. Wolfgang Miltner vergleicht das Reaktivieren dieser ausgefallenen Hirnareale mit dem Erlernen eines Musikinstruments: „Ein Geiger hat für seine Griffhand ein relativ großes Gehirnareal zur Verfügung. Diese neuronale Ausstattung hat er aber nicht von Geburt an, sondern im Laufe eines jahrelangen mühsamen Trainings erworben.“ Deshalb heißt es auch für die Patienten: Üben, üben, üben, sechs Stunden am Stück, zwölf Tage hintereinander. Dabei – aber auch in der übrigen Tageszeit – tragen die Patienten den gesunden Arm in einer Schlinge fixiert auf dem Rücken. Alle Übungen müssen sie mit dem behinderten Arm machen: Drehverschlüsse öffnen, das Hemd zuknöpfen oder Schrauben in Gewinde drehen. Bisher haben die Jenaer Psychologen etwa 100 Kranke mit der „ Constraint-Induced-Movement-Therapy“ (Bewegungstherapie durch Einschränkung) behandelt. Miltner:„Unsere beste Patientin war 84 Jahre alt und kam erst 17 Jahre nach dem Anfall zu uns. Nach der Therapie konnte sie ihren Arm, den sie vorher überhaupt nicht benutzte, wieder fast normal bewegen.“

In mehreren Studien wiesen die Jenaer Wissenschaftler den Therapie-Erfolg mit neurologischen Verfahren nach. Tomografien zeigen, dass sich durch das Training in der Großhirnrinde das Areal vergrößert, das für den trainierten Arm zuständig ist. Die größten Unterschiede zur herkömmlichen Krankengymnastik sieht Wolfgang Miltner in der Länge und Intensität der Übungseinheiten und darin, dass weniger Wert auf die Ästhetik der Bewegungen gelegt werde. Bei allen Verbesserungen – eine gewisse Behinderung bleibe immer. Aber die Patienten können wieder mit Messer und Gabel essen oder eine Tasse Kaffee zum Mund führen. Grundvoraussetzung für einen Trainingserfolg ist allerdings, dass sich Finger und Arm zumindest noch leicht bewegen lassen.

Lesen

Heike Bauder, Edward Taub, Wolfgang H. R. Miltner Behandlung motorischer Störungen nach Schlaganfall Hogrefe-Verlag 2001, € 32,95

Internet

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Informationen zur Constraint-Induced-Movement-Therapy: www.health.uab.edu/show.asp?durki=30488

Kontakt

Universität Jena Institut für Psychologie Dr. Wolfgang H. R. Miltner Am Steiger 3/Haus 1 07743 Jena www.biopsy.uni-jena.de/german/research/training.html

Dr. Ulrich Fricke / Thomas Wilke

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