Ohne Hilfsmittel ist ein Blick auf die Korona der Sonne nur sehr selten möglich. Man kann sie mit bloßem Auge lediglich bei einer totalen Sonnenfinsternis erkennen – als leuchtenden Kranz um das verdunkelte Tagesgestirn. Diese Korona stellt Astronomen seit Jahrzehnten vor ein Rätsel: Wieso sind ihre äußeren Schichten mit über einer Million Grad Celsius sehr viel heißer als die Sonnenoberfläche, die es nur auf etwa 6000 Grad Celsius bringt? Woher stammt die Energie für diese enorme Aufheizung?
Forscher um Sven Wedemeyer-Böhm gaben im Sommer 2012 eine Entdeckung bekannt, die der Debatte über den Mechanismus der „ Koronaheizung“ buchstäblich zu einem neuen Dreh verhalf: Der Wissenschaftler von der Universität Oslo hatte zusammen mit Kollegen Tornados auf der Sonne erspäht. Die riesigen magnetischen Wirbel reißen elektrisch geladenes Gas von der Sonnenoberfläche in die Korona.
RIESIGE WIRBEL
Wie die Forscher im Wissenschaftsmagazin Nature berichteten, beobachteten sie die Sonne vom Boden und aus dem All, und zwar mit dem schwedischen Sonnenteleskop auf der Kanareninsel La Palma und zeitgleich mit dem NASA- Satelliten SDO (Solar Dynamics Observatory). Dabei fotografierten sie die solare Gashülle in einem weiten Bereich zwischen Infrarot und Ultraviolett. Der breite Wellenlängenbereich erlaubte es ihnen, unterschiedliche Schichten der Gashülle zu untersuchen.
Dabei entdeckten sie riesige Wirbelsysteme, die von der Oberfläche der Sonne bis in die höhere Atmosphäre reichen. Die Wissenschaftler sprechen von „magnetischen Tornados“. Sie sind 1000 Mal so groß wie ihre irdischen Pendants: Ihre Querschnittsfläche kann kontinentale Ausmaße erreichen.
Die Forscher spürten zwar nur 14 dieser Erscheinungen auf, deren Lebensdauer im Schnitt 13 Minuten betrug. Doch die Wissenschaftler vermuten, dass die Tornados ein recht häufiges Phänomen sind. Selbst in ruhigen Zeiten sollen mehr als 10 000 davon auf der Sonne toben. Die Hochrechnung wird durch noch unveröffentlichte Messungen gestützt. „In später untersuchten Datensätzen wurden noch weitere Tornados identifiziert“, erklärte Sven Wedemeyer-Böhm.
WIe in der badewanne
Die Energiequelle dieser Wirbel soll die Konvektionsbewegung der Gasmassen im Inneren der Sonne sein (siehe „Der Plasma-Paternoster“ ab S. 57). Bei den Bewegungen der geladenen Gasströme entsteht das solare Magnetfeld, indem ständig heißeres Plasma zur Oberfläche steigt und kühleres nach unten sinkt. Um die abwärts gerichteten Plasmaströme herum bilden sich auf der Sonnenoberfläche Strudel, ähnlich wie am Abfluss einer Badewanne. Die magnetischen Feldlinien sind dort besonders dicht, die Feldstärke ist also besonders hoch.
Das mitrotierende Magnetfeld überträgt die Drehbewegungen von der Sonnenoberfläche weit in die darüber liegende Gashülle. Die Wissenschaftler maßen in den Sonnen-Tornados Wirbelgeschwindigkeiten von mehr als 10 000 Kilometer pro Stunde. Nach ihren Berechnungen kann dieser Prozess genügend Energie in die Korona pumpen, um die hohen Temperaturen dort zu erklären.
Doch die Debatte geht weiter. Max-Planck-Physiker Hardi Peter, der an der Publikation nicht beteiligt war, würdigt zwar die Arbeit als wichtigen Beitrag zur Erklärung der Korona-Heizung. Weitere Beobachtungen müssten allerdings zeigen, betont Peter, ob die Sonnen-Tornados tatsächlich so häufig sind, wie es die publizierten Hochrechnungen nahelegen.
Außerdem gibt es andere Erklärungsansätze des Phänomens, die nun nicht einfach obsolet sind, sagt Peter. Er vermutet, dass mehrere Prozesse zum Energietransfer beitragen. Das können auch Effekte sein, die sich auf noch größeren räumlichen Skalen als die Tornados abspielen. So untersuchen die Göttinger Physiker um Hardi Peter Induktionsvorgänge in der Korona, die sie „Ohm’sche Heizung“ nennen (bild der wissenschaft 5/2012, „Der höllische Magneteffekt“). Das letzte Wort über die hitzigen Wirbel in der Korona ist also noch nicht gesprochen. b