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Fliegende Augen, findige Laser

Allgemein

Fliegende Augen, findige Laser
Der Zusammenschluss unterschiedlicher Experten für Energie, Verkehr, Luft- und Raumfahrt am DLR hilft, Katastrophen zu verhindern und im Ernstfall schnell Hilfe zu leisten.

Es war ein gewaltiger Schlag. Die Munitions-Container hatten viele Monate in der prallen Sonne gestanden, doch niemand hatte mit so etwas gerechnet: Am 11. Juli 2011 explodierte frühmorgens einer der Behälter und löste eine Kettenreaktion aus. Fast 100 Container flogen in die Luft. Die Detonation war so stark, dass sie das 250 Meter entfernte Vasilikos-Kraftwerk, die wichtigste Stromquelle Zyperns, mit voller Wucht traf. Die Druckwelle durchlöcherte Öltanks, zerstörte Turbinenhallen und die Steuerzentrale. In vielen Regionen des Landes fiel der Strom aus. Die Anlagen zur Meerwasserentsalzung wurden heruntergefahren – und all das mitten in der Hochsaison.

Kurze Zeit später ging in der Katastrophenzentrale der Europäischen Union, dem Monitoring and Information Centre (MIC), eine Eilmeldung ein: „Zypern braucht dringend Hilfe.“ Eilends wurde ein internationales Expertenteam zusammengestellt. Angefordert wurden auch Michael Angermann und seine Kollegen vom Institut für Kommunikation und Navigation des DLR in Oberpfaffenhofen. Angermann ist Experte für „Kooperative Systeme“ , genauer: intelligente, autonome Erkundungsroboter.

Nach Zypern brachte Angermann ferngesteuerte Minihubschrauber mit, sogenannte Multicopter, die sich mit mehreren kleinen Propellern in die Luft schrauben. Seine Aufgabe war es, die Multicopter in die Kraftwerksruine zu steuern und die Stahlkonstruktion mit einer Kamera zu filmen. Es wäre zu gefährlich gewesen, Menschen in die Trümmer zu schicken. „Die Ingenieure vor Ort wollten wissen, wie groß die Schäden waren und ob sich das Kraftwerk überhaupt wieder aufbauen ließ“, sagt Angermann. „Der Blick durch die Multicopter-Kamera war dabei eine große Hilfe.“

Der Einsatz auf Zypern ist ein Beispiel dafür, wie wichtig ein gut abgestimmter Katastropheneinsatz ist. Dabei geht es nicht nur um die Beseitigung von Schäden, sondern auch um die Vorbeugung. Das Thema „Sicherheit“ ist ein vorrangiges Ziel der Hightech-Strategie der Bundesregierung. Sicherheit und wirkungsvoller Katastrophenschutz brauchen eine gute Technik. Das DLR hat Expertise auf den Gebieten Energie, Verkehr und natürlich Luft- und Raumfahrt. Und viele Technologien, die dort entwickelt werden, eignen sich sehr gut für den Katastrophenschutz.

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Kamera zeigt Tsunami-Risiko

Zum Beispiel das am Institut für Optische Informationssysteme in Berlin entwickelte Luftbildkamerasystem MACS, das in Flugzeugen eingesetzt wird: Eines seiner Spezialitäten ist es, hoch aufgelöste Bilder vom Boden aufzunehmen. Die Kamera erfasst dabei – anders, als man es von Google Earth kennt – nicht nur die Länge und Breite eines Gebäudes, sondern auch die Tiefe einer Bodenstruktur zentimetergenau. Denn die Rettungskräfte, die einen Einsatz in unbekanntem Gelände planen, müssen wissen, wie tief ein Graben oder wie steil ein Hang ist. Das MACS-System liefert entsprechende dreidimensionale Karten.

In Indonesien wurde mit der Kamera eine ganze Stadt aufgenommen, die durch Tsunamis gefährdet ist. Die Behörden vor Ort haben jetzt ein genaues Bild vom Relief ihrer Stadt. Kombiniert man diese Höhenkarte mit der Simulation von Tsunamiwellen, lässt sich deutlich erkennen, welche Gebiete besonders gefährdet sind.

Satelliten-Duo stöbert Piraten auf

Um die im DLR an vielen Stellen vorhandene Sicherheitsexpertise effektiv zu bündeln, wurde vor drei Jahren der Schwerpunkt „Sicherheit“ gegründet. „Wir bringen das Wissen aus der Luft- und Raumfahrt zusammen und auf den Boden, um den Menschen zu helfen“, sagt Manager Dennis Göge, der Verantwortliche für Sicherheitsforschung im DLR. So werden die Daten des Radar-Satelliten-Tandems „TerraSAR-X“ für die Sicherheit auf See eingesetzt – unter anderem, um Schiffe aufzuspüren, die illegal Öl ablassen, oder um Piraten zu finden. Das aus zwei identischen und im Formationsflug um die Erde kreisenden Satelliten bestehende System kann selbst kleine Motorboote erkennen. Ende 2008 wurde dank des scharfen Blicks aus dem All das von somalischen Piraten gekaperte und entführte Schiff „Sirius Star“ vor Afrika wiedergefunden.

Bei einer Katastrophe kommt es vor allem auf Schnelligkeit an. Die Sicherheitskräfte vor Ort müssen rasch einen Überblick über die Situation bekommen. Auch Multicopter oder Satellitenbild-Daten sollten schnell zur Verfügung stehen. So wurde Anfang Juni beim Hochwasser in Bayern in wenigen Stunden aus TerraSAR-X-Daten eine detaillierte Karte generiert, die die überschwemmten Stadtgebiete von Passau zeigte.

Dass es heute so schnell geht, ist unter anderem dem Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) am DLR-Standort Oberpfaffenhofen zu verdanken. Das ZKI ist rund um die Uhr mit Fachleuten besetzt, die im Krisenfall Satelliten- oder Luftbildaufnahmen auswerten können. In Deutschland wird das ZKI in der Regel durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn alarmiert.

Schneller Datenaustausch

Nicht immer stehen die Daten sofort zur Verfügung, denn nicht jeder Punkt der Erde wird permanent von hochauflösenden Satelliten aufgenommen. Und nicht immer sind die Kamerasysteme auf den Satelliten aktiv. Wenn nicht, müssen die ZKI-Experten einen Befehl an ihren Satelliten senden, damit dieser beim nächsten Überflug Bilder aus dem Katastrophengebiet aufnimmt. Zudem ist das ZKI über die „International Charter Space & Major Disasters“ – einen Zusammenschluss von Raumfahrtagenturen und Satellitenbetreibern – mit Kontrollzentren in anderen Ländern verbunden, wodurch Daten schnell und unbürokratisch bereitgestellt werden.

„Auch zwischen den Spezialisten am ZKI und den Wissenschaftlern in den verschiedenen Bereichen des DLR besteht enger Kontakt“, sagt der stellvertretende ZKI-Leiter Tobias Schneiderhahn. Das Personal des ZKI rekrutiert sich aus Forschern, die für einen Teil ihrer Arbeitszeit Aufgaben in dem Zentrum übernehmen. „Anforderungen, die sich aus dem Praxiseinsatz ergeben, können damit direkt in die Forschung zurückgespielt werden“, betont Schneiderhahn. „Außerdem helfen die Erfahrungen im ZKI, die Methoden zur Auswertung der Daten zu verbessern und die Abläufe im Zentrum zu optimieren.“

Mitten in der Entwicklung befindet sich eine Sicherheitstechnologie ganz anderer Art: ein laserbasiertes Detektionssystem, mit dem giftige Chemikalien oder gefährliche Krankheitserreger sicher aus der Ferne aufgespürt werden sollen. Terroristische Anschläge wie der 1995 in der U-Bahn von Tokio, bei dem Verbrecher das Nervengift Sarin freisetzten, haben gezeigt, wie wichtig solche Geräte sind. Damals starben zwölf Menschen. Zwar gibt es Infrarot-Messgeräte, die chemische Giftstoffe aus der Ferne detektieren, doch sie arbeiten nur bei Tageslicht einwandfrei – also bei hinreichender Hintergrundbeleuchtung.

Giftstoffe im Laserblick

Laser wären dagegen ideal, denn sie sind kaum von den Umgebungsbedingungen abhängig. Doch es gibt bislang keinen alltagstauglichen Laser, der Krankheitserreger und chemische Giftstoffe gleichermaßen gut erkennen kann. Die Forscher um Jürgen Handke vom DLR-Institut für Technische Physik in Lampoldshausen bei Heilbronn arbeiten an einem solchen robusten Laser-Detektionsverfahren der Zukunft. Vielversprechend ist die laserinduzierte Fluoreszenz (LIF): Dabei wird der gesuchte Stoff durch das Laserlicht energetisch angeregt. Die Elektronen springen kurzfristig auf ein höheres Energieniveau. Hüpfen sie wieder zurück, geben sie Energie in Form von Fluoreszenzlicht ab. Das LIF-System nimmt diese Fluoreszenz wahr.

Das Problem: Das Fluoreszenzsignal ist etwas unscharf, wodurch sich die Stoffe nicht immer ganz sicher bestimmen lassen. Deshalb regt man den Stoff mit einem zweiten Laser und einer zweiten Wellenlänge an, sodass sich das Fluoreszenzsignal leicht verändert. Durch eine solche Kombination mehrerer Signale lässt sich der Stoff zuverlässig nachweisen. Handke und seine Mitarbeiter arbeiten daran, für verschiedene Stoffe charakteristische Fluoreszenzmuster und ideale Laserwellenlängen zu bestimmen. Derzeit bauen sie eine Datenbank auf. „An sich stören dabei Partikel in der Luft wie Löwenzahnpollen oder Spuren von Diesel ganz enorm“, sagt Handke. Doch genau hier liegt der Vorteil der Freiluftanlage in Lampoldshausen, der sogenannten Laserfreistrahlstrecke, draußen auf dem Institutsgelände: Man erfährt, wie stark die Umgebung die Signale verzerrt und kann das System entsprechend anpassen.

Handkes Team testet verschiedene Verfahren, darunter die sogenannte Raman-Streuung. Sie ist für jeden Stoff charakteristisch, aber so schwach, dass sich der Streueffekt nur aus der Nähe erkennen lässt. Handke versucht, ein stärkeres System zu entwickeln. „Wichtig ist“, sagt er, „dass die Laser Menschen nicht verletzen. Vor allem die Augen sind gefährdet. Insofern sind wir in der Auswahl der Laserverfahren beschränkt.“

Das LIBS-Verfahren beispielsweise, bei dem Gefahrstoffe durch Laserlicht in energiereiche Ionen-Plasmen verwandelt werden, scheidet aus Sicherheitsgründen aus, sobald Menschen in der Nähe sind. Handke ist überzeugt, dass in etwa drei Jahren ein erstes LIF-Versuchsgerät zur Verfügung stehen wird. „Das wird zwar nicht so handlich sein wie ein Kofferradio, aber klein genug für den Einsatz in einem Transporter oder Hubschrauber.“ Giftwolken in einem Stadion oder über einer Straße wird man damit analysieren können.

Hilfe vom Multicopter-Schwarm

Die Beobachtung aus der Luft ist auch der Schwerpunkt von Michael Angermann. Sein Ziel: ein Ensemble von zehn oder gar hundert Multicoptern autonom fliegen zu lassen. Die Geräte sollen sich selbstständig miteinander abstimmen, ohne dass ein Pilot steuert. Einen zentralen Computer gibt es bei Angermanns Technik nicht. Die Bewegung so vieler Fluggeräte zu koordinieren, würde jede zentrale Software überfordern.

Dem Forscher aus Oberpfaffenhofen schwebt vor, dass die Multicopter in wenigen Jahren Katastrophengebiete absuchen. Die Apparate sollen die Arbeit selbstständig unter sich aufteilen. Ein Flieger, der eine Wiese in seinem Sektor flott gescannt hat, könnte dann einem anderen zu Hilfe eilen, der eine komplexe Ruinenlandschaft inspiziert.

Darüber hinaus arbeiten Angermann und sein Team an Konzepten für autonome Unterwasserroboter, die nach versenkter Munition fahnden. Doch zunächst wollen die Forscher Ende 2013 zehn Multicopter gleichzeitig ein Testgebiet erkunden lassen. Der erste reale Einsatz ihrer schlauen Flotte wird sicher nicht lange auf sich warten lassen. (

von Tim Schröder

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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