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Flitzer auf der Miniautobahn

Allgemein

Flitzer auf der Miniautobahn
Ein Uhrwerkmotor von genialer Einfachheit. Ein Trick im Uhrwerk hat ein längst totgesagtes Spielzeugauto zu neuem Leben erweckt. Die flinken darda-Autos lassen sich durch Vor- und Rückschieben „auf der Stelle“ aufziehen und bewältigen im Spurt Loopings und Sprünge

Drei, zwei, eins, los!“ Die fünf kleinen Autos gewinnen rasend schnell an Geschwindigkeit, jagen hintereinander her durch einen Looping, wenden im „Stop-Drom“ und fliegen über die Sprungschanze ins Nichts. Alles geht blitzschnell, die Augen können kaum folgen. „Der Polizei-Porsche springt besser als der rote Mercedes“, sagt Hanno. „Der ist eben zu schwer“, meint Martin dazu.

Spielzeug-Artistik: Die Jungs haben aus bunten Schienen, Kurvenelementen, Kupplungen, Weichen, einem „Riesenloop“ und einer Überkopfschiene eine viele Meter lange farbenfrohe Autobahn mit überhöhten Kurven, gewagten Loopings und einer Sprungschanze aufgebaut. Sechzigfach vergrößert – in den Originalmaßstab der „großen“ Welt übersetzt – wäre das eine atemberaubende Rennstrecke wie eine Achterbahn aus einer Science-fiction-Erzählung. Kein Rennfahrer könnte sie bewältigen, höchstens einer der Hell Drivers. Auch der TÜV hätte vermutlich ungewöhnliche Probleme bei der Sicherheitsprüfung.

Eine Besonderheit der kleinen flotten Autos ist ihr Stoppmotor. Bei arretiertem Stoppmechanismus bleiben aufgezogene darda-Autos an jeder beliebigen Stelle startbereit stehen. Die Jungs machen davon vielfältigen Gebrauch: Was ein einzelnes Auto nicht schafft, das kann die Autostaffel. Dazu stellen die Jungs eine Reihe Autos mit aufgezogenem Stoppmotor an strategisch günstigen Stellen der Bahn auf und starten das erste Auto, das nach Durchlaufen einer Bahnschleife mit zwei Loopings bei fast abgelaufenem Motor das zweite anstößt und so fort. Im Grunde sind beliebig viele Wechsel möglich, wenn immer wieder aufgezogene Stoppautos in die Startpositionen gebracht werden. Mit 100 Autos und der entsprechenden Schienenlänge käme man glatt einen Kilometer weit – und vielleicht ins Guinness-Buch der Rekorde.

Der Anlauf: Dreimal vor- und zurückschieben (insgesamt etwa 80 Zentimeter weit auf der Bahn) – und das darda-Auto ist startfertig. Ein unüberhörbares Knakken der Rutschkupplung im Federwerk zeigt an, daß die Feder ganz aufgezogen ist. Überdrehen des Uhrwerkmotors ist unmöglich. Starten! Die kleinen Flitzer laufen rasant los, wie vom Katapult gestartet.

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In der Tat ist die Antriebsart der darda-Autos am besten einem Katapultstart vergleichbar, obwohl der Antrieb im Auto liegt. Über sechs Meter fährt das kleine Auto, bis der Motor ganz abgelaufen ist – und danach mit der gewonnenen Bewegungsenergie im Freilauf noch viele Meter weiter. Die Jungs haben bald heraus, daß man ein Fahrzeug nicht zu kurz vor einem Looping starten darf. Es braucht Anlauf, wenn es nicht abstürzen soll. Erst nach einem Meter Weg hat es etwa die halbe Höchstgeschwindigkeit erreicht. Im Bild (Seite 99) sind die berechneten Geschwindigkeiten v eines darda-Autos, das mit voll aufgezogenem Motor startet, über den Wegstrecken x aufgetragen, außerdem die um den Maßstabsfaktor 60 vergrößerten Werte.

Denkt man sich die Liliput-Welt der darda-Autos und ihre Geschwindigkeiten 60fach vergrößert und in unsere Welt hineingestellt, würden die Pkws in weniger als einer hundertstel Sekunde von 0 auf 100 km/h beschleunigen und mit ihrem Uhrwerkmotor geradezu phantastische Geschwindigkeiten von weit über 1000 km/h erreichen. Doch die Spielzeugwelt läßt sich nur in der Phantasie so stark vergrößern, die Physik gehorcht anderen Gesetzen. Ein 60fach vergrößertes Uhrwerkauto wäre plump und schwer und könnte nicht einmal mit unseren Benzinautos konkurrieren. Das ist ebenso unmöglich wie Gullivers Heldentaten im Land der Riesen und im Reich der Zwerge. Jonathan Swift war eben kein Physiker.

Gutes altes Uhrwerk: Herkömmliche Uhrwerkautos lassen sich durch Vorwärtsschieben nicht aufziehen, und beim Rückwärtsfahren spannt sich ihre Feder ebenso langsam, wie sie sich bei der anschließenden Vorwärtsfahrt wieder entspannt. Es würde den Spaß am Spiel verderben, müßte man Spielzeugautos vor jedem Start zum Aufziehen mehrere Meter zurückfahren. Deshalb gehört zu alten Uhrwerkautos ein Schlüssel, mit dem sie direkt an der Uhrfederwelle aufgezogen werden können, wozu wenige Umdrehungen des Schlüssels genügen. In der Skizze rechts ist ein solches Uhrwerk älterer Bauart schematisch dargestellt.

Die Uhrfeder ist mit ihrem äußeren Ende am Fahrgestell und mit ihrem inneren Ende an der Uhrfederwelle befestigt, von der ein Getriebe mit großer Übersetzung (zum Beispiel 32fach), meist in zwei Stufen, zur Antriebswelle führt, die sich also in diesem Fall 32mal so schnell wie die Uhrfederwelle dreht. Allerdings – das sei zur Ehrenrettung der alten Uhrwerkspielzeuge gesagt – hatten die älteren Konstruktionen ein anderes Ziel: Das Auto oder die Eisenbahn sollten ihren großen Vorbildern ähneln und längere Zeit möglichst die gleiche Geschwindigkeit einhalten, was durch einen Geschwindigkeitsregler, meist einen schnell umlaufenden Windflügelregler, erreicht wurde. Solche Uhrwerke, die mit fast gleichbleibender Geschwindigkeit ablaufen, gibt es nach wie vor, zum Beispiel in Spieldosen, die Melodien im Gleichmaß spielen sollen.

Der neue Uhrwerkmotor: Wie hat der Konstrukteur der darda-Autos erreicht, daß der Uhrwerkmotor eines Spielzeugautos sich ebenso durch Vorwärts- wie durch Rückwärtsschieben aufziehen läßt, und zwar etwa achtmal so schnell, wie das Uhrwerk bei der Vorwärtsfahrt wieder abläuft? Das ist nicht nur getriebetechnisch bemerkenswert, sondern auch rein logisch erstaunlich. Keine technische Erfindung der letzten Jahre hat mich so begeistert wie der darda-Motor.

Helmut Darda selbst berichtet, daß ihm die Idee kam, kleinste Modellautos durch Motorkraft antreiben zu lassen, als seine Kinder mit Matchbox-Autos zu spielen begannen. Er schaute sich die Nachteile herkömmlicher Spielzeugmotoren an: überdrehte Uhrwerke und verlorene Schlüssel oder schwere und teure Batterien, die viel zu schnell leer sind. Alle diese Mängel sollte es bei seinem Motor nicht geben. Fünf Jahre des Grübelns und Experimentierens vergingen, bis er sein Ziel erreicht hatte. Viele Enttäuschungen und Mißerfolge waren zu überwinden, bis die Erfindung patentiert werden konnte, die auch Fachleuten Anerkennung abnötigt.

Etwas Getriebetechnik: Ich will versuchen, das Wesentliche der kunstreichen Konstruktion (Bild rechts) an zwei der fünf verschiedenen Bewegungsarten plausibel zu machen: der Vorwärtsfahrt mit Motorantrieb und dem Vorwärts-Schnellaufzug des Motors. Anders als beim alten Uhrwerkmotor ist im darda-Motor die Spiralfeder mit ihrem äußeren Ende in ein drehbares Federhaus (Zahnrad Z1) eingespannt, das innere Ende wirkt auf ein gegenüberliegendes Zahnrad (Z2) Beide drehen sich um dieselbe Achse. Das Geheimnis des darda-Motors liegt in den beiden Ritzeln Z3 und Z4, die gegensinnige „Richtgesperre“ (und entsprechende Freiläufe) haben, und zwar kann sich Z3 nicht schneller, Z4 nicht langsamer als die Antriebswelle drehen.

Bei der Vorwärtsfahrt mit Federantrieb drücken die gegensinnigen Drehmomente von Z1 und Z2 beide Ritzel in ihre Sperren, Z3 und Z4 bilden mit der Antriebswelle eine starre Einheit. Beide Enden der Feder wirken dabei über Getriebe auf die Antriebswelle. Woher weiß die Antriebswelle, daß sie das Auto vorwärts schieben soll? Z1 und Z2 greifen mit unterschiedlich großen Übersetzungen (Z1 : Z3 = 3 beziehungsweise Z2 : Z4 ~ 3,85) an der Antriebswelle an. Je größer die Übersetzung, desto kleiner das Drehmoment an der Antriebswelle – das ist jedem Radfahrer bekannt, der eine Gangschaltung am Rad hat. Das vorwärtstreibende Drehmoment überwiegt das rücktreibende; ihre Differenz, das Antriebsmoment, macht nur das (Z3/Z1 – Z4/Z2) ~ 0,073fache des Federmoments aus, was einer 13,7fachen Übersetzung (1 : 0,073) gleichkommt. Da man die Feder eines darda-Motors etwa 9,5 Umdrehungen weit aufziehen kann, ehe die Rutschkupplung wirksam wird, ergibt sich bei einem Radumfang von 5 cm daraus eine Fahrstrecke von etwa 9,5Ÿ 13,7Ÿ 0,05 m = 6,50 m.

Danach ist der Motor ganz abgelaufen, und das Fahrzeug fährt ohne Antrieb weiter, bis die Reibung es zur Ruhe bringt. Was pauschal „Reibung“ genannt wird, setzt sich aus dem Widerstand der Luft, der Reibung im Getriebe und dem Rollwiderstand auf der Bahn zusammen. Dazu kommt der „Wellenwiderstand“ durch Verbiegung des Bahngerüsts, der ebenfalls einen bedeutenden Energieverlust verursacht.

Durch Druck aufs Gehäuse wird der Schnellaufzug in Tätigkeit gesetzt – eine patentierte Stahlfeder drückt das Ritzel Z5 (das mit dem Ritzel Z6 auf derselben Welle sitzt) auf das Ritzel Z3. Schiebt man das Auto mit Gehäusedruck vorwärts, im Vorwärts-Schnellaufzug, wird Z4 von der Antriebswelle mitgenommen und treibt alle übrigen Zahnräder Z2, Z6, Z5, Z3 und Z1 an. Man überzeugt sich leicht, daß bei den gegebenen Übersetzungsverhältnissen Z3 langsamer als die Antriebswelle läuft, seine Freilaufbedingung also erfüllt ist. Und man kann rasch ausrechnen, daß die Übersetzung zwischen Federhaus und Antrieb nur 1,72fach ist, die Aufziehstrecke also nur 9,5Ÿ 1,72Ÿ 0,05 = 0,82 Meter beträgt, etwa ein Achtel der Strecke, die der Federmotor im „Vorwärtsgang“ abläuft.

Beim Rückwärts-Schnellaufzug, bei dem Z3 von der Antriebswelle mitgenommen wird und Z4 im Freilauf läuft, ist die Übersetzung sogar nur 1,67fach und damit die Aufziehstrecke noch ein bißchen kleiner. Rückwärts aufziehen ist deshalb noch etwas wirkungsvoller als vorwärts aufziehen. darda-Autos lassen sich außerdem bei abgelaufenem Motor im Freilauf vorwärts schieben, wobei das Federhaus sich einmal dreht, während die Antriebswelle 3,85 Umdrehungen ausführt. Schiebt man sie umgekehrt ohne Druck aufs Gehäuse rückwärts, zieht sich ihre Feder wie bei herkömmlichen Uhrwerkautos langsam auf – ebenso langsam, wie sie sich beim Vorwärtslauf wieder abspult. Die darda-Autos leisten alles, was man von einem Spielzeugauto erwartet – ein Präzisionsspielzeug, das kaum Wünsche offenläßt.

Forschung mit Spielzeug: Gibt es die? Ich könnte von den Experimenten der zwei Jungs berichten, den Luftwiderstand der Autos durch einen Windschild drastisch zu erhöhen, oder von ihrem Versuch, ein darda-Auto zum Fliegen zu bringen. Mit Tragflügeln aus gewölbter Pappe und ohne Höhenruder gelang ihnen nur ein flacher Gleitflug, weil die Räder auf der Startbahn durchdrehten. Sie hätten ein regelbares Höhenruder gebraucht, um ihr Flugauto während des Anlaufs an den Boden zu drücken und das Ruder erst bei hinreichend großer Geschwindigkeit auf „Steigen“ zu stellen. Aber das war eine Nummer zu kompliziert. darda-Autos waren sogar schon im Weltraum, nämlich 1992 mit der Raumfähre Discovery im Rahmen des Programms „Toys in Space“. Alle diese kleinen Versuche zähle ich zum Spiel. Gibt es echte Forschung mit darda?

In der Tat haben darda-Autos eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei den Experimenten zum Nachweis der Quanten der „Schwachen Wechselwirkung“ gespielt, für die Carlo Rubbia vom CERN 1984 den Physik-Nobelpreis erhielt. Eine Arbeitsgruppe an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen unter der Leitung von Prof. Helmut Faissner steuerte zu diesem Experiment eine „Driftkammer“ bei, deren bis zu acht Meter lange Driftrohre vom rechteckigen Querschnitt 5 mal 15 Zentimeter verkabelt werden mußten. Zu diesem Zweck wurden durch die Driftrohre darda-Autos mit angehängten dünnen Nylonfäden geschickt, an denen danach die Kabel eingezogen werden konnten. Die kleinen Flitzer aus Blumberg haben also sogar ein kleines Stückchen vom Nobelpreis verdient.

Wolfgang Bürger

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