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Flug zum vergessenen Planeten

Allgemein

Flug zum vergessenen Planeten
Merkur wurde mehr als ein Vierteljahrhundert lang von irdische Raumsonden ignoriert. Jetzt werden gleich zwei Missionen zu dem sonnennächsten Planeten vorbereitet.

„Ich habe ihn nie gesehen“, soll Nikolaus Kopernikus in seinen letzten Lebensjahren geklagt haben. So wie dem Entdecker des Sonnensystems geht es noch heute vielen Menschen. Der Grund ist die Nähe des Planeten Merkur zur Sonne. Bestenfalls eine Stunde vor deren Auf- beziehungsweise Untergang ist der Wandelstern am Horizont zu sehen. Die alten Chinesen nannten ihn deshalb auch den „Stundenplaneten“. Das Hubble-Weltraumteleskop wäre theoretisch zwar in der Lage, nur wenige Kilometer große Details auf der Merkur-Oberfläche zu zeigen, dennoch wird niemand diesen Versuch wagen. Zu groß ist die Gefahr, dass Sonnenstrahlen die empfindlichen Detektoren schädigen. „Die Alternative sind Raumsonden, die Merkur aus der Nähe erforschen“, sagt der Planetengeologe Ralf Jaumann vom Institut für Planetenerkundung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin. Und nach langer Abstinenz rückt dieser Weg nun auch wieder ins Blickfeld der Planetenforscher: Gegenwärtig werden gleich mehrere neue Missionen zum Merkur vorbereitet. Die erste Raumsonde, die zwischen 1974 und 1975 den Merkur inspizierte, war bislang auch die letzte: Mariner 10 flog dreimal an dem Planeten vorbei und lieferte 2700 Schwarz-Weiß-Aufnahmen einer kraterbedeckten Oberfläche. „Manche waren damals enttäuscht über die scheinbare Mondähnlichkeit“, erinnert sich Bruce C. Murray, Professor für Planetenforschung am Caltech in Pasadena und damaliger Leiter des Mariner-10-Forschungsteams. Merkur geriet aus der Schusslinie der Planetenforscher. Das lag auch daran, dass er nur mit relativ hohem Treibstoffverbrauch für Raumsonden erreichbar ist – vergleichbar mit einem Flug zum siebenmal weiter entfernten Jupiter. Denn bei einem Flug in das innere Planetensystem, also in Richtung Sonne, muss die Sonde entgegen der Umlaufrichtung der Erde abgebremst werden. Diese „Energievernichtung“ kostet viel Treibstoff, deutlich mehr als bei einem Flug zum Mars oder auch zur näheren Venus. Der Einschuss in eine Umlaufbahn um den Merkur ist dagegen kein besonderes navigationstechnisches Problem. „ Merkur ist ein noch weitgehend unbearbeitetes Forschungsfeld“, sagt Sean C. Solomon, Leiter der amerikanischen Merkurmission Messenger, deren Start im März 2004 ansteht. Weniger als die Hälfte der Oberfläche konnte die Vorgängersonde erkunden. Die Bodenmineralogie, die Aufschluss über die Entwicklung Merkurs bringen könnte, ist völlig unbekannt. Niemand weiß, ob der ungefähr erdmondgroße Planet vulkanisch noch aktiv ist, und warum er einen ungewöhnlich großen metallischen Kern besitzt. Rätsel geben auch Radardaten auf, die auf Wassereis an den Polen hinweisen. Die Europäische Weltraumorganisation ESA wählte den „ Götterboten“ schon Mitte der neunziger Jahre als Ziel einer Raumfahrtmission. Diese verzögerte sich jedoch wegen finanzieller Umstrukturierungen im ESA-Budget um mehrere Jahre. Geplant ist der Start jetzt für frühestens Sommer 2009. Dann wird die US-Sonde Messenger gerade mit den Messungen aus der Merkur-Umlaufbahn beginnen. Kritiker meinen deshalb, die ESA-Mission BepiColombo – benannt nach dem italienischen Raumfahrtingenieur Giuseppe (Bepi) Colombo – werde nur eine Kopie der US-Mission werden. „Niemand erinnert sich mehr an den Menschen, der als Dritter den Atlantik überflog“, bemerkt der Astronom Gerry Gilmore von der Universität von Cambridge. Doch von einer drittklassigen Mission kann nach Ansicht von Rejean Grard, ESA-Projektstudienleiter für BepiColombo keine Rede sein. „ Ja, es stimmt“, bestätigt er, „die Ergebnisse von Messenger werden wir bei der Konstruktion unserer Instrumente nicht mehr berücksichtigen können.“ Das sei aber nicht tragisch, schließlich gäbe es vorher viele Konferenzen, um die Missionen aufeinander abzustimmen. Die Vorarbeiten der US-Sonde können sogar von Vorteil sein für die sehr ambitionierte ESA-Mission, die zwei Merkur-Satelliten und ein Landeteil vorsieht. „Messenger wird uns dabei helfen, geeignete Landegebiete für das Oberflächenmodul zu finden“, sagt Grard. Das einem Autoreifen ähnelnde Landegerät soll unter anderem einen Bohrer und einen Raupenroboter von der Größe eines Schuhkartons absetzen. Mit dessen Konstruktion beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe um Johannes Brückner am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Eine Herausforderung sind die extremen Temperaturen von teils 430 Grad Celsius in der Sonne. „Bis zu 200 Grad Celsius kann unser Nanokhod-Rover kurzzeitig sicherlich aushalten“, meint Brückner. Im Schatten eines Kraters oder Felsens sollte er Temperaturen unter minus 150 Grad überstehen. Um den Hitzestress für den Roboter in Grenzen zu halten, bevorzugen die Planer ein Landegebiet im hohen Norden oder Süden des Planeten. Die Sonne steht dort tagelang nur flach über dem Horizont. Drei Instrumente sind für das erste Merkur-Fahrzeug vorgesehen: Als „chemische Nase“ ein APXS-Röntgenspektrometer, dessen Gegenstück 1997 an Bord des MarsRovers Sojourner war, außerdem ein mineralogisches Messgerät und eine Mikroskop-Kamera. Die Messungen am Boden sind auch wichtig, um den Datenstrom von den Merkur-Orbitern besser interpretieren zu können. Das ermöglicht eine Eichung der aus der Umlaufbahn gewonnenen spektralen Informationen, die Aufschluss geben über Bodenbeschaffenheit, chemische und mineralogische Zusammensetzung der Gesteine, Wärmefluss aus dem Planeteninneren und andere Eigenschaften. Die Satelliten sollen nicht nur die gesamte Oberfläche stereografisch vermessen, sondern auch das Gravitations- und Magnetfeld sowie die dünne Atmosphäre des Planeten studieren. „Nach einem halben Jahr im Orbit haben wir die erste nahezu vollständige Karte des Planeten“, prognostiziert Messenger-Missionsleiter Solomon. Die folgenden sechs Monate dienen dazu, Stereobilder der kraterübersäten Oberfläche anzufertigen und deren Beschaffenheit zu analysieren. Wegen der Nähe zur Sonne rechnen die Forscher nicht damit, die Raumsonde wesentlich länger als ein Jahr nutzen zu können. „Das ist wenig Zeit – vielleicht zu wenig, um alle Aufgaben zu erfüllen“, befürchtet Jaumann. Da liegt die Chance für BepiColombo, der im Mai 2012 am Merkur eintrifft, um die Detailstudien fortzusetzen. Geplant ist neben dem Absetzen eines Landegerätes ein Tandem-Flug von zwei Satelliten: Einer soll die Planetenoberfläche studieren, der andere das Magnetfeld. Einen der Orbiter wird die japanische Weltraumagentur ISAS bauen, nachdem sie vor einem Jahr Pläne für eine eigene Merkur-Mission wegen finanzieller Probleme zurückstellen musste. An Bord ist unter anderem ein Spiegelteleskop von 20 Zentimeter Durchmesser wie es auch Hobbyastronomen benutzen. Damit wollen die Forscher nach Kleinplaneten suchen, die mit der Erde kollidieren könnten. Brocken, die sich die meiste Zeit innerhalb der Erdbahn bewegen, sind von unserem Planeten aus im Gegenlicht der Sonne nämlich kaum zu beobachten, von Merkur aus muss man dagegen nicht in Richtung Sonne blicken. Niemand weiß, wie viele Brocken es sind und welches Risiko sie für die Erde darstellen.

Uew Seidenfaden

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