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Forschen heißt Zweifeln: „Der Sündenfall“ von Marco Finetti, Armin Himmelrath

Allgemein

Forschen heißt Zweifeln: „Der Sündenfall” von Marco Finetti, Armin Himmelrath
Zahlreiche Betrugsfälle an den Universitäten stellen die Unabhängigkeit der deutschen Wissenschaft in Frage. Dabei gibt es Mittel und Wege, wie sich die Forschung selbst schützen kann.

Um Betrug und Fälschung in der Wissenschaft hat sich in Deutschland eine Diskussion entwickelt, die im Ausland aufmerksam verfolgt wird. Marco Finetti und Armin Himmelrath fassen in ihrem akribisch recherchierten Buch die Geschichte von Fälschungen zusammen, die in den letzten 70 Jahren in Deutschland Aufsehen erregt haben.

Sie belegen im ersten Teil “Spielarten, Fälle und Vorwürfe”, entwerten ihr bedrückendes Material aber teilweise selbst wieder, weil sie allzu häufig mit Andeutungen und Vermutungen arbeiten. Der bloße Bericht über die Fälle belegten Betrugs hätte genügt.

Im zweiten Teil nennen sie die Ursachen für Betrug, Fälschung und Plagiat. Dabei ist es ihr großes Verdienst, daß sie die strukturellen und nicht nur die individuellen Ursachen dingfest machen: den Wettlauf um Drittmittel und die davon angetriebene Publikationssucht, die Auszehrung der Grundausstattung deutscher Universitäten, den gnadenlosen Wettbewerb im System von “publish or perish”, den Mißbrauch, der mit der quantitativen Forschungsmessung getrieben wird, die Aufstiegs- und Berufungsrituale, die prekäre und sich weiter verdüsternde Situation des hoch begabten wissenschaftlichen Nachwuchses und die Undurchschaubarkeit komplexer Forschungsfelder, auf denen nur noch Spezialisten und sehr erfahrene Gutachter Erfolgsaussichten und Ergebniswahrscheinlichkeiten abzuschätzen vermögen.

Im dritten Teil referieren Finetti und Himmelrath fair und sachlich im internationalen Vergleich die Bemühungen der deutschen Wissenschaftsorganisationen um eine “gute wissenschaftliche Praxis”, die Regeln der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft, die Ehrenkodices der Fachgesellschaften und andere Sicherungen, die das System der Forschung und der Wissenschaft, nicht den einzelnen Betrüger meinen.

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Enttäuscht äußern sie sich in einem “Ausblick” über die zögerliche und furchtsame Art, wie all diese Vorschläge umgesetzt werden, und ich kann ihnen nur zustimmen. Insgesamt ist die Tendenz zur Verdrängung übermächtig, dabei läßt sich so der Vertrauensverlust in Forschung und Wissenschaft gewiß nicht auffangen. Die Gefahr, daß der Staat sich genötigt sieht, in das durch Freiheit und Selbstverantwortung ausgezeichnete System einzugreifen, ist nicht gebannt.

Das Buch ist eine Streitschrift, mit leichter Hand geschrieben und durchweg spannend. Manchmal wurde es mir beim Lesen allerdings unbehaglich: Nicht jeder vergessene Zitatnachweis und jedes scheinbare Plagiat sind schon Betrug oder Unredlichkeit. Das moralische Schwarz-Weiß-Muster, das dem Buch zugrunde liegt, ist brauchbar für offenkundigen Betrug, aber nicht für Irrtümer, Versehen und spekulative Schreibgewohnheiten. Es rührt her von der pathetischen Annahme, Wissenschaft habe immer und überall mit der Suche nach “Wahrheit” zu tun.

Wissenschaft hat, meine ich, vor allem mit dem produktiven Zweifel zu tun. Und Betrüger verstoßen gegen das erste Gesetz jeder wissenschaftlichen Arbeit: alles, gerade die eigenen Ergebnisse, immer wieder zu bezweifeln. Nur daraus erwächst neues Wissen.

Marco Finetti, Armin Himmelrath DER SÜNDENFALL Betrug und Fälschung in der deutschen Wissenschaft Raabe Verlag Stuttgart 1999 261 S., DM 34,-

Marco Finetti / Armin Himmelrath / Wolfgang Frühwald

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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