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Forschung ’96: Die Höhepunkte

Allgemein

Forschung ’96: Die Höhepunkte
Die Highlights eines spannenden Jahres aus Forschung und Technik. Keltenfürst und Mars-Mikroben, Anti-Wasserstoff und Brennstoffzellen-Auto: bild der wissenschaft hat für Sie zusammengestellt, was die Redaktion im abgelaufenen Jahr am meisten in Atem hielt.

GEOWISSENSCHAFTEN Lebensspuren vom Mars

Im August meldeten Wissenschaftler von der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA, erstmals Spuren außerirdischen Lebens gefunden zu haben. In einem faustgroßen Meteoriten, der vor rund 15 Millionen Jahren aus der Mars-Oberfläche herausgeschlagen wurde und aufs Antarktis-Eis fiel, hatten sie winzige fadenförmige Gebilde entdeckt – ein Hundertstel so klein wie ein menschliches Haar („Der Stein vom Mars“, bild der wissenschaft 10/1996).

Die „Mikrowürmchen“ ähneln in ihrer Form versteinerten Bakterien, wie sie in uraltem irdischen Gestein vorkommen. Auch ihr Alter von überschlägig 3,6 Milliarden Jahren entspricht dem der ältesten irdischen Mikrofossilien.

Zwei weitere Indizien veranlaßten die NASA-Forscher, ihren Fund als Sensation zu feiern. Zum einen konnten sie in dem Mars-Brocken polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe nachweisen – organische Substanzen, die unter anderem bei der Zersetzung von Mikroben entstehen. Zudem sind die aus Karbonat bestehenden „Würmchen“ von Magnetit und Eisensulfid umgeben. Das sind Minerale, die auch beim Stoffwechsel irdischer Mikroorganismen ausgeschieden werden.

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Dennoch zweifeln manche Experten, daß es sich bei den Winzlingen tatsächlich um Lebensspuren handelt. Vielleicht sind die Strukturen nur eine Laune der unbelebten Natur. Denn jede der gefundenen Substanzen könnte auch auf nicht-biologischem Weg entstanden sein. Die NASA-Forscher stützen ihre These allein auf das Zusammentreffen aller genannten Indizien.

Wenn sie recht behalten, würde das bedeuten: Auf Erde und Mars ist zeitgleich Leben entstanden – knapp eine Milliarde Jahre nach der Geburt der Geschwisterplaneten. Während jedoch auf der Erde Flora und Fauna aufblühten, wurde die Marsoberfläche immer lebensfeindlicher. Die wärmende Gashülle mitsamt dem Wasser verschwand fast vollständig im Weltraum, und die Temperaturen auf dem Roten Planeten fielen weit unter den Gefrierpunkt, bis auf minus 120 Grad Celsius.

Ob das frühe Leben – wenn es denn existierte – in dieser unwirtlichen Umgebung bis heute durchhielt, ist fraglich. Mars-Sonden, die 1976 bei den „Viking“-Missionen weich niedergingen, suchten jedenfalls vergeblich. Möglicherweise sammelten sie ihre Proben an völlig falscher Stelle. Tief unter der Oberfläche des Planeten, so spekulieren jedenfalls Optimisten, könnten Lebewesen vielleicht eine Zuflucht gefunden haben. (Klaus Jacob)

PHYSIK Anti-Wasserstoff: Rummel zur rechten Zeit

Seit Jahren war klar, daß es passieren würde – doch als es schließlich geschah, waren alle überrascht: Ende 1995 erschufen Physiker am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf das erste Anti-Wasserstoff-Atom („Schlüssel zur Spiegelwelt“, bild der wissenschaft 2/1996). Das Ereignis sorgte im Januar 1996 für Schlagzeilen – der „Spiegel“ beschwor gar die herannahende Antiwelt.

Walter Oelert vom Forschungszentrum Jülich und ein Team von CERN-Physikern hatten in einem relativ simplen Experiment Antiprotonen und Positronen zu insgesamt neun Anti-Wasserstoff-Atomen verschmolzen. Doch die Handvoll Teilchen sind nicht mehr als das Ergebnis einer geglückten Fingerübung – für die Wissenschaft sind sie wertlos. Selbst Walter Oelert gibt zu, daß sein Team mit den paar Atomen keinerlei Messungen machen konnte. Ein CERN-Forscher verrät hinter vorgehaltener Hand: „Die meisten Experimente am CERN sind wissenschaftlich interessanter als der Anti-Wasserstoff.“

Dennoch könnte sich der Rummel auszahlen. Das gelungene Experiment kommt gerade zu einer Zeit, in der die Teilchenforschung am CERN im Umbruch ist. Viele kleinere Forschungsvorhaben – darunter die Antimaterie-Versuche – sind Ende 1996 zugunsten des geplanten, knapp vier Milliarden Mark teuren Beschleunigers „Large Hadron Collider“ eingestellt worden. „Das Anti-Wasserstoff-Experiment hat soviel Publicity gebracht, daß das CERN gezwungen ist, die Forschung weiterzuführen“, sagt Klaus Röhrig aus Jülich, der an dem Genfer Großforschungszentrum ebenfalls mit Antiteilchen arbeitet. Wenn alles so klappt, wie Walter Oelert und sein Team es sich vorstellen, wird in zwei Jahren am CERN eine neue Antiprotonen-Bremse samt Antiprotonen-Sammler startklar sein. Damit sollen Antiprotonen und Positronen im Flug zusammengebracht und auf Herz und Nieren untersucht werden.

Doch die Kollegen am Fermilab in Chicago könnten schneller sein:Sie meldeten Mitte November, daß es ihnen in einem ähnlichen Experiment gelungen sei, Anti-Wasserstoff-Atome mit höherer Ausbeute herzustellen. (Bernd Müller)

BIOWISSENSCHAFTEN Gentechnik: Die Ohrfeige aus Dänemark

Es war ein Schlag für die Hoechst-Tochter AgrEvo und eine Ohrfeige für das Berliner Robert-Koch-Institut: Im März 1996 berichteten dänische Biologen des Risö-Nationallabors in Roskilde über ihre Versuche mit Raps, der gegen das Totalherbizid „Basta“ gentechnisch resistent gemacht worden war. Die Dänen hatten nachgewiesen, daß die Resistenz sich problemlos auf eine verwandte Pflanze – die als Unkraut geltende Rübse – übertragen ließ.

Damit waren zwei lange bestrittene Argumente der Gentechnik-Kritiker bestätigt worden: Die Verbreitung gentechnischer Veränderungen von Pflanzen läßt sich in der Natur nicht kontrollieren. Der Versuch, eine Nutzpflanze gegen ein Unkrautvernichtungsmittel immun zu machen, führt dazu, daß auch verwandte Unkräuter resistent werden und diese Resistenz weiterverbreiten.

Ein Totalherbizid ist ein Mittel, das alle Pflanzen umbringt – es sei denn, sie werden durch einen gentechnischen Kniff gegen die Wirkung immun gemacht. Gegen „Basta“ (Handelsname für die Verbindung Glufosinat) schleust man in das Erbgut von Mais, Rüben und Raps eine Kombination von schützenden Bakterien- und Pilzgenen ein. Wenn der Bauer jetzt Basta sprüht, gehen alle Pflanzen ein – mit Ausnahme der gentechnisch veränderten.

Die Hersteller von Basta werben vor allem mit dem Umwelt-Argument: Auf diese Weise bräuchte nur sehr gezielt und sparsam gespritzt zu werden. Ihre wirtschaftliche Absicht ist, dem Landmann einen Doppelpack zu verkaufen: Will er Basta verwenden, muß er die widerstandsfähigen Pflanzensamen von der gleichen Firma dazunehmen.

Die dänische Studie hat weitreichende Folgen. Zwar hat sie zunächst nur nachgewiesen, daß die Herbizid- Resistenz auf andere Pflanzen übertragen werden kann – die Immunitätsgene werden durch Pollenflug, Insekten und Bakterien weiterverbreitet. Nach ein paar Einsätzen würde das teure Spritzmittel wirkungslos.

Schwerwiegender sind indes die ökologischen Folgen. Darin besteht die Ohrfeige für das Robert-Koch-Institut: Das RKI hat als Genehmigungsbehörde den Einsatz von Basta als „gefahrlos für die Umwelt“ eingestuft. Aber wenn sich die Gene für Basta-Resistenz auf andere Pflanzen übertragen lassen, so gilt das auch für Gene, die Nutzpflanzen künstlich widerstandsfähig machen sollen – gegen Dürre, Frost oder Schädlinge. Diese Eigenschaften verwandeln bislang noch kontrollierbare Wildpflanzen im schlimmsten Falle in kaum mehr auszurottende Superunkräuter.

Auf der Strecke blieben diejenigen Arten, die die Immunitätsgene nicht in ihr Erbgut einbauen. Mit ihnen wäre das ganze ökologische Netz aus Insekten und Vögeln bedroht, die von diesen Pflanzen leben.

Die AgrEvo geriet in die Defensive. So meinte ihr Sprecher, Dr. Gerhardt Waitz, man müsse „vielleicht die geplante Zeitachse der Anwendung verkürzen“ – weil Basta zu schnell wirkungslos werden könnte („Unkraut vergeht nicht“, bild der wissenschaft 5/1996). Mehr noch: In der „Frankfurter Rundschau“ empfahl Waitz den Landwirten ein „umfassendes Unkrautmanagement“ mit mechanischen und konventionellen Methoden. Im Klartext: Trotz Basta bliebe ihnen über kurz oder lang das Jäten oder Abflammen von Unkraut auf ihren Feldern nicht erspart.

Ob sich mit solchen Argumenten die Bauern für dumm verkaufen lassen? (Jürgen Nakott)

Blaues Laserlicht sendet eine Halbleiter-Diode aus, die in den Labors der japanischen Firma Nichia Chemical Industries hergestellt wurde. Damit ging 1996 ein neuer Wettbewerber ins Rennen um die erste serientaugliche Blaulicht-Laserdiode. Die Elektronik-Industrie setzt hohe Erwartungen in ein solches Bauelement.

Die Nichia-Diode, deren Basis das halbleitende Material Galliumnitrid ist, laboriert allerdings noch an kleinen Geburtsfehlern: Beispielsweise erzeugt der Festkörperlaser kein kontinuierliches, sondern nur gepulstes Licht.

Rinderwahnsinn könnte auf Menschen übertragbar sein: Dies, so gab die britische Regierung im März 1996 erstmals zu, sei „nicht mehr völlig auszuschließen“. Bis dahin wurde amtlicherseits jahrelang jeglicher Zusammenhang bestritten. Im Wissenschaftsmagazin „Nature“ vom 23. Oktober berichtete schließlich eine Londoner Forschergruppe um John Collinge von ersten direkten Hinweisen, daß die Rinderkrankheit BSE auf Menschen übergesprungen sei.

Das Blau der Mayas hat sein Geheimnis preisgegeben. Forscher der Universität von Mexiko City deckten auf, warum diese Farbe auf Keramiken und in Wandmalereien seit Jahrhunderten nichts von ihrer intensiven Leuchtkraft eingebüßt hat: Der Farbstoff Indigo ist ins Kristallgitter des Tonminerals Palygorskit eingelagert. Ohne diese Schutzhülle wäre das Blau ähnlich rasch verblichen wie eine Jeanshose.

ARCHÄOLOGIE Micky Maus am Glauberg

Die Archäologen jubelten „Jahrhundertfund“: Am Fuße des hessischen Glaubergs kam die Sandsteinfigur eines keltischen Fürsten aus dem fünften Jahrhundert vor Christus ans Licht. Die Stele mit ihrem Kopfschmuck, der fatal an überdimensionale Ohren erinnert, ist in dieser Form einmalig. Freigelegt wurde sie am Rande eines Grab-Areals, das sich zu einem Keltenzentrum auswächst: Der fürstliche Grabhügel – 1994 entdeckt – umfaßte einst einen Hügel mit fast 50 Meter Durchmesser, einen Kreisgraben (10 Meter breit, 3 Meter tief) und eine 350 Meter lange und 10 Meter breite Prozessionsstraße.

Das Grabmal selbst wurde als Ganzes in die Museumswerkstätten geschafft und wird seitdem millimeterweise „ausgegraben“. Die dabei zutage kommenden Grabbeigaben sind vom Feinsten, mit deutlichen Anleihen bei griechischen und etruskisch-italischen Künstler; sie weisen den Beerdigten als hochstehende Persönlichkeit aus.

Die Stele scheint ein Abbild des dort begrabenen Fürsten zu sein. Sie ist vollplastisch gearbeitet, bis auf die abgebrochenen Füße unbeschädigt, wiegt 230 Kilogramm und mißt 1,86 Meter. Bekleidet ist der steinerne Fürst mit einem griechisch-neumodischen Schuppenpanzer und bewaffnet mit Schwert und Schild. Sein befremdlicher Kopfschmuck entspricht einer Blätterkrone, die ansonsten keltischen Götterdarstellungen vorbehalten war.

Der Keltenfürst vom Glauberg ist, zusammen mit der Gesamtanlage, ein weiterer Mosaikstein für die Geschichte der uns immer noch fremden Kelten, die für rund ein Jahrtausend in Mitteleuropa präsent waren.

Von weitgehend unbekannter Herkunft, zogen sie mordend und plündernd bis zum griechischen Heiligtum Delphi, nach Kleinasien, bis vor die Tore Roms, nach Frankreich und Spanien, schließlich auch nach Britannien und Irland, wo sie sich am längsten als eigenständige Kultur halten konnten.

Neben dem finsteren Gemälde als Barbaren gibt es noch ein ganz anderes: Die Kelten kultivierten Feldbau und Kunst, vor allem ihre Goldarbeiten erregten damals Bewunderung und todbringenden Neid. Sie hatten eine arbeitsteilige und hierarchisch strukturierte Gesellschaft, bauten veritable Städte (Oppidum) und verfügten über ein gut ausgebautes Fernhandelsnetz. Damit besaßen sie alles Nötige für eine Staatenbildung – wenn nicht die siegreichen Römer gewesen wären.

Heute leben die Kelten hauptsächlich in esoterischen Druiden-Kulten weiter, in gallischer Nationalfindung und putzigen Comics – und eben in der Archäologie. Das Museum des Keltenfürsten von Hochdorf in Baden-Württemberg, jüngst gefundene alte Keltensiedlungen in Wales und frühkeltische Statuen in der Bretagne, die Arbeiten am Glauberg und andere Funde signalisieren: Die Kelten kommen! (Michael Zick)

Schluckimpfung gegen Magenkrebs heißt die verlockende Perspektive, die sich aus Arbeiten des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen ableiten läßt. Der experimentelle Impfstoff bewirkt im Blut die Massenproduktion von Antikörpern gegen den Säureschutzmantel des Bakteriums Helicobacter pylori.

Dieser Erreger nistet in der Magenschleimhaut und kann Geschwüre sowie Magenkrebs auslösen. Seines Schutzes beraubt, stirbt Helicobacter den Säuretod.

Vom Computer erstmals geschlagen: Am 10. Februar 1996 unterlag zum ersten Mal ein amtierender Schachweltmeister einer Maschine. Der von Dr. Feng-Hsiung Hsu gebaute Supercomputer „Deep Blue“ besiegte in Philadelphia den konsternierten Garry Kasparov. Deep Blue bewertet pro Spielsekunde 100 Millionen Stellungen.

In Rauch aufgegangen sind zwei große Raumfahrt-Hoffnungen. „Ariane 5“, die neue europäische Trägerrakete, stürzte bei ihrem Jungfernflug am 4. Juni durch einen Software-Fehler ab. Der Grund: Ein von „Ariane 4“ ungetestet übernommenes Kontrollprogramm lief Amok. Auch über der russischen Sonde „Mars 96“ stand ein Unstern: Beim Start der „Proton“-Trägerrakete am 17. November versagte die vierte Stufe. Die Sonde, mitsamt 190 Millionen Mark teurem deutschem Gerät, stürzte in den Pazifik.

ASTRONOMIE Sensationen und kleine Schritte

Das Jahr brachte einen Paukenschlag, eine spektakuläre Erscheinung und viele kleine Erfolge, die für Schlagzeilen nicht ausreichen, aber im Endeffekt den Fortschritt ausmachen.

Für den Paukenschlag sorgten – wieder einmal – die „Grünen Männchen“ vom Mars: In einem seiner Meteoriten fand man Spuren, die mögliche Überreste biogener Aktivität sein könnten (siehe Seite 74, „Lebensspuren vom Mars“). Von einem Beweis kann allerdings vorläufig noch keine Rede sein.

Der NASA hat die Meldung jedenfalls Auftrieb gegeben: Um die Finanzierung ihrer nächsten Mars-Missionen, die auch nach Lebensspuren suchen sollen, muß sie jetzt nicht mehr kämpfen.

Spektakulär war im Frühjahr 1996 die Erscheinung von Hyakutake. Für die Amateur-Astronomen war der Komet eine wahre Wonne: Hell und hoch stand er am Himmel, mit prächtigem Schweif. Es gibt ungezählte Bilder von ihm, aufgenommen von einfachen Kameras bis zu großen Spiegelteleskopen („Der Prachtkerl“, bild der wissenschaft 8/1996).

Für die professionellen Astronomen hat er ein neues himmlisches Fragezeichen gesetzt: Erstmals wurde bei einem Kometen Röntgenstrahlung entdeckt. Auskunft über deren Quelle erhoffen sich die Forscher von dem Kometen Hale-Bopp, der gerade im Anflug auf die Erde ist und im nächsten Frühjahr noch heller werden soll als Hyakutake.

Weniger spektakulär, aber nicht minder wichtig war die Entdeckung von Planeten bei anderen Sonnen. Aus dem winzigen Hin- und Herschwingen einiger Sterne schlossen die Astronomen auf die Existenz von Planeten, von denen sie Umlaufzeit, Abstand und Masse berechneten („Aufbruch zu fremden Planeten“, bild der wissenschaft 5/1996). Auch wenn bisher erst acht fremde Sterne als planetenbestückt identifiziert sind: Sie stützen die Hypothese, daß Planetensysteme keine Ausnahme, sondern eher die Regel sind.

Darüber hinaus prägten viele kleine Forschungsschritte vorwärts die Astronomie in diesem Jahr – von unserer kosmischen Heimat bis in die Tiefen des Alls: Die Sonde Galileo erreichte ihr Ziel – Jupiter und seine Monde. Insbesondere von Ganymed und Europa funkte sie Bilder zur Erde, die von den Planetologen noch ausgewertet werden müssen. Ende des Jahres soll die Sonde wieder an Europa vorbeifliegen und Nahaufnahmen machen. SOHO startete Ende 1995 und wird in diesem Jahr die ersten Bilder von der Sonne liefern. Das Raumschiff hat den Feuerball Tag und Nacht in verschiedenen Spektralbereichen im Visier und tastet die Temperaturen in der Sonnenatmosphäre ab. Steckbrieflich gesucht wird nach wie vor der Große Attraktor – eine Massenansammlung, die in ihrem Schwerkraftsog Hunderte von Galaxien durchs All reißt, auch unsere Milchstraße. Nun scheinen die Astronomen diesem Giganten auf der Fährte zu sein: Der Galaxienhaufen Abell 3627 in 300 Millionen Lichtjahren Entfernung könnte das Zentrum des geheimnisvollen Großen Attraktors sein (Astronomie heute, bild der wissenschaft 6/1996).

Auch 1996 ging die Diskussion um Urknall und dunkle Materie weiter. Eine neue Variante hat sich hinzugesellt: die „kosmologische Konstante“, die Einstein zunächst in seine Gleichungen einführte und später wieder verwarf. Jetzt feiert diese Konstante ein Comeback („Streit um Einsteins Konstante“, bild der wissenschaft 10/1996). Sie könnte das Alter der Welt auf über 30 Milliarden Jahre dehnen – weit mehr, als die Astronomen brauchen, um selbst die ältesten Sternhaufen des Alls unterzubringen. (Wolfram Knapp)

Eine rotierende Wolke aus Wasserstoffgas am Rand des sichtbaren Universums entdeckten holländische Astronomen der Universität Leiden mit dem 3,5-Meter-Spiegel des New-Technology-Teleskops in Chile. Bislang war die Existenz solcher „Kokons“, in denen sich neue Galaxien bilden, lediglich theoretisch vorausgesagt worden. Die Wolke im Sternbild Jagdhunde ist 12 bis 15 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt.

Wendelstein 7-X wird gebaut. Am 24. Mai gab Bundesforschungsminister Dr. Jürgen Rüttgers die Entscheidung zugunsten des 320 Millionen Mark teueren Fusions-Experiments in Greifswald bekannt. 45 Prozent der Baukosten sowie 25 Prozent der späteren Betriebskosten trägt die Europäische Union. Mit „Wendelstein 7-X“ , Nachfolger des „Wendelstein 7-AS“ im bayerischen Garching, verfolgt Deutschland das Stellarator-Konzept: Bizarr gewundene Spulen erzeugen ein Magnetfeld, das einen ringförmigen Plasmaschlauch einschließt.

Lemminge stürzen sich alle paar Jahre in einem rätselhaften Selbstmord-Kommando ins Meer – stimmt’s? Nein. Diese Legende haben jetzt die Landschaftsökologen um Dr. Benoöt Sittler von der Universität Freiburg entlarvt. Es ist der Hauptfeind Hermelin, der die Zahl der Nager in manchen Jahren erheblich sinken läßt. Für massenhaften Suizid durch Ertrinken fanden die Forscher keinerlei Indizien.

Ozon-Abbau über Nordeuropa in noch nie beobachtetem Ausmaß registrierten Atmosphärenchemiker Anfang 1996. Über Grönland und Nordeuropa öffnete sich MItte Februar für mehrere Tage ein regelrechtes Ozonloch, wie es bislang alljährlich nur über der Antarktis beobachtet wurde. Der Rand eines stabilen Kaltluftwirbels erreichte unsere Breiten. Noch über Berlin registrierten Forscher polare Stratosphärenwolken, die sich nur bei extremer Kälte bilden – ein Begleiter des Ozon-Abbaus.

Eine künstliche Leber entwickelten Dr. Jörg Gerlach und Prof. Peter Neuhaus, Intensivmediziner am Berliner Universitätsklinikum Rudolf Virchow. Der mit Erfolg getestete Apparat enthält einen Brei aus 300 Gramm Schweine-Leberzellen.

Das Internet hat sich 1996 erneut explosionsartig ausgeweitet. Mehr als neun Millionen Rechner hängen jetzt nach Insider-Schätzungen im weltweiten Datennetz. Seit dem 2. Oktober ist bild der wissenschaft im Internet vertreten. Der Besucher findet dort weit mehr als nur Inhalte des Heftes: beispielsweise topaktuelle Nachrichten und den persönlichen Wissenschafts-Agenten.

TECHNIK Das Jahr der Brennstoffzelle

Mehr als ein Jahrhundert hatte sie im Dornröschenschlaf zugebracht. Bereits 1839 vom schottischen Physiker William Grove erfunden, kam die Stromgewinnung aus Brennstoffzellen 120 Jahre lang über den Status einer Labor-Kuriosität nicht hinaus. Die sechziger Jahre brachten zwar erste technische Anwendungen für Raumfahrt und Militär – für Marktnischen also, wo damals keiner nach Kosten fragte. Im zivilen Bereich hingegen blieben die „Gasbatterien“ als kapriziöse Luxusgeschöpfe ohne Chance: Korrosion und andere Werkstoffprobleme begrenzten Lebensdauer und Verläßlichkeit.

Doch 1996 wurde zum Jahr der Brennstoffzelle – mit markanten technischen Meilensteinen auf gleich zwei Schauplätzen. Fortschritt beim mobilen Einsatz: Im Mai stellte die Daimler-Benz AG eine mit Wasserstoff betriebene Großraumlimousine vor („Das Rennen der Motoren“, bild der wissenschaft 6/1996). Unter dem Bodenblech des „NeCar II“ speist ein PEMFC-Aggregat (Pro- tonenleitende Membran-Brennstoffzelle) einen 50-Kilowatt-Elektromotor. Am beeindruckendsten: Gegenüber dem 1994 präsentierten Vorläufer wurde das Aggregat, bei gleicher Leistung, um den Faktor 5 verkleinert. Außer Wasserdampf gibt das Fahrzeug keine Emissionen ab. Im Oktober beeilte sich Toyota, mit einem in Japan entwickelten Fahrzeug mit 20-Kilowatt-PEMFC-Aggregat nachzuziehen. Fortschritt auch beim stationären Einsatz: Im November 1996 stellte eine deutsch-dänische Arbeitsgemeinschaft unter Federführung der MTU Friedrichshafen GmbH ihr Brennstoffzellen-Kraftwerk „Hot Module“ vor („Das Öko-Kraftwerk“, nachzulesen in bild der wissenschaft 11/1996).

Die Ingenieure schufen eine gegenüber bisherigen Anlagen radikal vereinfachte und dadurch kostensparende „Eintopf“-Konstruktion, mit zirka 270 Schmelzkarbonat-Brennstoffzellen und 300 Kilowatt Leistung je Baueinheit. Das Hot Module verdaut beliebige kohlenwasserstoffhaltige Brenngase: Erdgas, Kohlegas, Bio- und Deponiegas.

Innerhalb von fünf Jahren will das Konsortium damit im Markt für Blockheizkraftwerke Fuß gefaßt haben, als Konkurrent für Gasmotor, Gasturbine und Dieselmotor. Bislang nur zu Liebhaberpreisen erhältlich, verspricht die Brennstoffzelle im Kraftwerksmarkt flügge zu werden.

Bei beiden Meilensteinen stand die (Teil-)Lösung gewaltiger Werkstoffprobleme Pate. Erfreulich: Forschung und Entwicklung in Deutschland haben bei dieser Zukunftstechnologie zu den bislang führenden Nationen USA und Japan aufgeschlossen. (Thorwald Ewe)

Ein neuer Dinosaurier kam bei Grabungen eines international besetzten Forscherteams unter der Leitung von Paul Sereno, University of Chicago, in Marokko ans Tageslicht. „Carcharodontosaurus saharicus“ taufte man den Fund. Der 1,60 Meter lange, zähnestarrende Schädel zeigt, daß Tyrannosaurus rex nicht der einzige Riese unter den urzeitlichen Fleischfressern war.

Keime von Galaxien entdeckten britische Astrophysiker mit dem Cosmic Anisotropy Telescope (CAT). Vier Jahre ist es her, daß der Satellit COBE ein schwaches Flimmern in der kosmischen Hintergrundstrahlung fand. Die Deutung, es könne sich um erste Kondensationskeime neuer Galaxien handeln, war zunächst umstritten. Doch 1996 sorgte der COBE-Nachfolger CAT mit seiner höheren Auflösung für den Nachweis. Die Aufnahme stammt aus einer Himmelsregion beim Großen Bären.

Element 112 kam in Darmstadt im Beschleuniger der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) zur Welt. Ein Blei- und ein Zink-Atom verschmolzen für weniger als eine Millisekunde zu einem neuen chemischen Element. Damit gelang der Großforschungseinrichtung zum sechsten Mal hintereinander – erstmals 1982 mit dem Element 107 – die Erschaffung eines Neulings im Periodensystem. Die Physiker spekulieren auf eine „Insel der Stabilität“ bei Element 114.

Klaus Jacob; Bernd Müller; Jürgen Nakott; Michael Zick; Wolfram Knapp; Thorwald Ewe

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