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Funkwellen mit Reizwirkung

Allgemein

Funkwellen mit Reizwirkung
Der Mobilfunk ist ins Gerede gekommen. Macht die Strahlung von Handys und Sendeanlagen krank? Immer wieder gibt es Meldungen über mögliche Auswirkungen auf den Organismus. Doch die meisten Wissenschaftler beruhigen: Gesicherte Hinweise auf ein Gesundheitsrisiko gibt es nicht.

Das Urteil fiel drakonisch aus: Der Tabak-Konzern Philip Morris soll drei Milliarden Dollar Strafe und sechs Millionen Dollar Schadenersatz an einen an Lungenkrebs erkrankten Raucher zahlen, weil er die Gefahren des Rauchens jahrelang verschwiegen habe. Dieser Spruch eines Gerichts in Los Angeles dürfte auch die Hersteller von Mobiltelefonen aufhorchen lassen. Denn der US-Anwalt Peter Angelos hat eine Klage von an Hirntumoren erkrankten Handy-Benutzern gegen die Mobilfunk-Industrie eingereicht.

Die Aussichten auf Erfolg erscheinen allerdings gering. Denn schlüssige Anhaltspunkte, daß hochfrequente elektromagnetische Wellen, wie sie von Handys und Mobilfunk-Sendeanlagen ausgehen, die Gesundheit beeinträchtigen können, gibt es nicht. Dies jedenfalls versichert die Weltgesundheitsorganisation WHO. Eine britische Expertengruppe aus Biologen, Medizinern, Epidemiologen, Physikern und Nachrichtentechnikern kam im vergangenen Jahr zu demselben Schluß.

Trotzdem ist die Furcht vor der Mobilfunk-Strahlung weit verbreitet. Verbände wie die „Bürgerwelle“ machen mit Protestaktionen und Prozessen vor allem gegen die Errichtung von Sendeanlagen in Wohngebieten mobil. Bis hin zu BSE gibt es kaum eine Krankheit, die auf den Internetseiten der Bürgerwelle nicht mit dem Einfluß des Mobilfunks in Verbindung gebracht wird. Mobilfunk-Kritiker beziehen sich dabei auf wissenschaftliche Befunde, die auf einen Einfluß hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf den Organismus hindeuten.

So berichteten im November letzten Jahres Mediziner um Dr. Peter Achermann, Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich, daß sich die Gehirnströme während des Schlafs durch den Einfluß der Felder von Handys verändern. Forscher des Instituts für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie der Universität Essen veröffentlichten im Januar die Ergebnisse einer Studie, die zeigen, daß der Gebrauch von Handys und Funkgeräten möglicherweise das Risiko verdoppelt, an einem Uvealmelanom zu erkranken – einer seltenen Art von Augenkrebs .

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Die Wissenschaft tut sich angesichts solcher Meldungen schwer, Bedenken gegenüber dem Mobilfunk zu zerstreuen. Ein Problem liegt darin, daß es prinzipiell nicht möglich ist, ein Gesundheitsrisiko völlig auszuschließen. „Die Wissenschaft kann zwar Schädigungen nachweisen, hingegen nie im voraus die Unbedenklichkeit“, sagt Privatdozent Dr. Otto Petrowicz vom Institut für Experimentelle Onkologie und Therapieforschung der Technischen Universität München. So können die Forscher nur nach speziellen Effekten unter kontrollierten Laborbedingungen suchen. Werden sie dabei fündig, ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Befund „wahr“ ist, immer noch gering. Denn ein wissenschaftliches Ergebnis gilt erst als gesichert, wenn es von anderen Forschern nachvollzogen werden kann.

Genau daran krankt es bei der Suche nach biologischen Wirkungen des Mobilfunks. „Bis heute ist es nicht gelungen, schädigende Einflüsse in mehreren voneinander unabhängigen Untersuchungen zu bestätigen“, sagt Prof. Achim Enders, Leiter des Instituts für Elektromagnetische Verträglichkeit an der Technischen Universität Braunschweig. Einzelne Ergebnisse, die auf Effekte der Strahlung schließen lassen, stehen einer weitaus größeren Zahl an negativen Resultaten gegenüber. Enders: „Bei den mir bekannten Arbeiten sind neben dem proklamierten biologischen Effekt immer auch plausible alternative Erklärungen möglich.“

Ein Beispiel sind Experimente des Medizin-Physikers und Leiters des Klinisch-Experimentellen Forschungslabors der Universität Lübeck, Dr. Lebrecht von Klitzing. Er hatte Mitte der neunziger Jahre erstmals über eine Veränderung der Gehirnströme durch gepulste Magnetfelder berichtet – und damit für erheblichen Wirbel gesorgt. Aber alle Versuche anderer Wissenschaftler, die Ergebnisse von Klitzings zu bestätigen, waren erfolglos.

Für Aufregung sorgte 1997 auch der australische Biologe und Physiker Dr. Michael Repacholi vom Royal Adelaide Hospital mit einem Versuch an Mäusen, die durch eine Genmanipulation besonders anfällig für Lymphome gemacht worden waren. Repacholi setzte einige Nager elektromagnetischen Feldern ähnlich denen eines Handys aus und stellte fest, daß diese Tiere häufiger Krebsgeschwüre an den Lymphdrüsen bildeten als ihre unbestrahlten Artgenossen. Dr. Olaf Schulz, Experte für nichtionisierende Strahlung beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Neuherberg, ist jedoch skeptisch: „Die Ergebnisse stehen im Widerspruch zum derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die Resultate von laufenden Wiederholungsstudien sollten abgewartet werden.“

Auch die Essener Forscher Dr. Andreas Stang und Prof. Karl-Heinz Jöckel mahnen zur Vorsicht bei der Beurteilung ihrer Studie zur Bildung von Augenkrebs. Zu lückenhaft sind die Daten. So ist nicht bekannt, wie oft und wie lange die Patienten mit einem Uvealmelanom ihr Handy oder Funkgerät benutzt hatten. „ Deshalb darf man die Ergebnisse nicht überbewerten“, sagt Stang. „ Zudem sind die Essener Forscher einem möglichen Einfluß von UV-Strahlung als bekanntem Auslöser von Melanomen nicht nachgegangen“, fügt Prof. Maria Blettner von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Epidemiologie und Medizinische Statistik der Universität Bielefeld hinzu.

Zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Mainz und des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg sammelt Blettner derzeit Daten für eine von der WHO geförderte Studie, die nach einem möglichen Einfluß von Mobiltelefonen auf Tumoren im Kopf- und Halsbereich sucht. In insgesamt 13 Ländern werden dazu mehr als 6000 Tumor-Patienten und ebenso viele nicht erkrankte Personen zur Nutzung ihres Handys befragt. Die Ergebnisse sollen bis 2003 vorliegen.

Insgesamt fünf epidemiologische Studien zur Bildung von Hirntumoren wurden in den letzten anderthalb Jahren veröffentlicht. „Bei keiner ließ sich ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten Krebsrisiko und der Benutzung von Handys nachweisen“, berichtet Blettner. Für besonders aufschlußreich hält die Statistikerin eine Studie des Dänischen Instituts für Krebs-Epidemiologie, bei der Angaben einer halben Million Handy-Nutzer erfaßt und mit Daten des dänischen Krebsregisters verglichen wurden. Auch hier fanden die Forscher keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen dem Telefonieren mit Handys und Hirntumoren oder anderen Krebsarten.

Trotz der vielen negativen Befunde besteht nach wie vor Unsicherheit. „Ein Hirntumor entwickelt sich meist über Jahrzehnte, Handys aber gibt es erst seit rund zehn Jahren“, gibt Olaf Schulz zu bedenken. „Die Studien können nur zeigen, ob die Krankheit gefördert wird – aber nicht, ob Handys der Auslöser der Krankheit sind.“ Auch fehlt bislang jede Vorstellung, auf welche Weise die schwachen Mobilfunk-Felder Krebs entstehen lassen könnten. Denn die Energie der Strahlung mit Frequenzen von rund 900 und 1800 Megahertz, wie sie bei Handys im D- und E-Netz verwendet werden, reicht bei weitem nicht aus, um chemische Bindungen in Molekülen aufzubrechen und so Körperzellen zu schädigen.

Neben Krebstumoren und möglichen Gen-Schäden wird eine Beeinflussung der Blut-Hirn-Schranke häufig mit der Strahlung von Mobiltelefonen in Verbindung gebracht. Die Blut-Hirn-Schranke verhindert, daß große Moleküle von der Blutbahn ins Gehirn eindringen. Wissenschaftler der schwedischen Universität Lund hatten vor einigen Jahren berichtet, daß die Strahlung von Handys die Wirksamkeit des natürlichen Molekülfilters beeinträchtigen kann. Olaf Schulz rät jedoch, diese Resultate mit Vorsicht zu betrachten, zeigen sie doch für schwächere Felder einen größeren Effekt als für stärkere. „Das klingt seltsam“, meint Schulz.

Die einzige sicher nachgewiesene Wirkung der Strahlung von Mobiltelefonen auf den Organismus ist eine leichte Erwärmung. Maximal ein Grad gilt als unschädlich, da die Blutzirkulation dies rasch ausgleicht. An der thermischen Wirkung orientieren sich auch die Grenzwerte, die von der Internationalen Strahlenschutz-Kommission für nichtionisierende Strahlen empfohlen wurden und ein Fünfzigstel des Wertes betragen, der Gewebe um ein Grad erwärmen kann.

Ernsthafte Hinweise, daß schwache elektromagnetische Strahlung mit einer Intensität weit unter den Grenzwerten auch andere Einflüsse auf den menschlichen Organismus haben kann, sehen die Wissenschaftler der britischen Independent Expert Group on Mobile Phones bei einer möglichen Beeinflussung von Gehirnfunktionen. So stellte man Veränderungen im EEG bei Testpersonen fest, die bestrahlt wurden, während sie Aufgaben zur Aufmerksamkeit lösen sollten – etwa einen Knopf drücken, wenn ein bewegter Zeiger eine bestimmte Markierung überstrich. Zwar könne ein Gesundheitsrisiko aus solchen Effekten nicht abgeleitet werden, schreiben die britischen Experten in ihrem Bericht. Doch klaffe hier noch „eine erhebliche Lücke in der wissenschaftlichen Erkenntnis.“

Die Wissenschaftler raten, daß Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, bei denen das Handy-Fieber am heftigsten grassiert, vorsorglich nur in wichtigen Fällen mit dem Handy telefonieren sollten. Und auch das Bundesamt für Strahlenschutz setzt auf Vorsorge. „Solange immer wieder einzelne Ergebnisse darauf hindeuten, daß es einen Einfluß von Mobiltelefonen auf biologische Vorgänge geben könnte, muß dafür gesorgt werden, daß die Felder, denen Menschen ausgesetzt sind, so gering wie möglich sind“, fordert BfS-Präsident Wolfram König. Deshalb sollten die Betreiber ihre Netzplanung so gestalten, daß Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser von der Strahlung möglichst wenig betroffen sind, fordert die zuständige Behörde.

Als Maß für die vom Körper aufgenommene Strahlungsmenge dient die spezifische Absorptionsrate (SAR). Sie darf bei Handys nach einer Empfehlung der Strahlenschutzkommission 2 Watt pro Kilogramm Körpermasse nicht überschreiten. „Moderne Handys halten diesen Grenzwert ein“, betont Olaf Schulz. Demnächst wollen alle großen Handy-Hersteller darüber informieren, wie stark ihr Mobiltelefon maximal strahlt. Die SAR-Werte sollen künftig in der Gebrauchsanleitung angegeben werden – zunächst jedoch nur für neue Handy-Modelle, heißt es bei Siemens. „Meist liegt die Feldemission deutlich unter dem angegebenen maximalen SAR-Wert“, erklärt Dr. Uwe Kullnick, der für Siemens die Forschung nach biologischen Effekten des Mobilfunks beobachtet. Denn bei gutem Empfang fährt ein Handy die Sendeleistung automatisch herunter.

Die Felder von Mobilfunk-Sendeanlagen sind dort, wo sich Menschen aufhalten, rund 1000 bis 10000mal schwächer als die Strahlung der Handys. „Die Stärke der elektromagnetischen Felder in der Umgebung von Sendeanlagen wird in der Öffentlichkeit oft deutlich überschätzt“, sagt der Elektroingenieur Prof. Matthias Wuschek von der Fachhochschule Deggendorf. Daß Mobilfunkfelder die Ursache für Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schlafstörungen sein könnten, läßt sich wissenschaftlich ohnehin nicht belegen. „Weltweit gibt es keinen einzigen wissenschaftlich dokumentierten Fall, bei dem es gelungen ist, eine Sensibilität von Menschen gegenüber schwachen elektromagnetischen Feldern nachzuweisen“, sagt Andreas Wojtysiak vom Institut für normale und pathologische Physiologie an der Universität Witten-Herdecke.

Die Indizien sprechen also dafür, daß übertriebene Furcht vor einer Gesundheitsgefahr durch den Mobilfunk nicht angebracht ist. „Falls es tatsächlich Effekte geben sollte, werden sie nur klein sein, sonst hätten wir bisher zumindest einen Trend erkennen müssen“, meint Maria Blettner. „Trotzdem muß man auch mögliche kleine Effekte aufspüren, da in Zukunft immer mehr Menschen mit Handys telefonieren werden.“ Kompakt • Forschungsergebnisse, die einen Einfluß der Mobilfunk-Strahlung auf Zellen, Gewebe oder Versuchstiere zeigen,

lassen sich meist nicht reproduzieren.

• In einer internationalen Studie sucht die Weltgesundheitsorganisation WHO nach einem Zusammenhang zwischen Handy-Nutzung und Hirntumoren.

• Vorsorglicher Experten-Rat: Kinder und Jugendliche sollten nur in wichtigen Fällen mit dem Handy telefonieren. bdw-Community INTERNET

Beiträge im Themenforum und Newsletter der Forschungsgemeinschaft Funk

www.fgf.de

Infos der Weltgesundheitsorganisation

www.who.int/peh-emf/publications/

facts_press/gfact/gfs193.htm

Bericht der britischen Expertenkommission

www.www.iegmp.org.uk/IEGMPtxt.htm

Übersichtsartikel in der Zeitschrift „c’t“

www.heise.de/ct/00/14/218/

Umfassende Fachartikel-Datenbank des Forschungszentrums für Elektromagnetische Umweltverträglichkeit der TU Aachen

wbldb.femu.rwth-aachen.de/

index.php3?l=g

Antworten des Bundesamts für Strahlenschutz auf häufig gestellte Fragen www.bfs.de/service/faq/

Ralf Butscher

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