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Gammastrahlen von Galaxien

Allgemein

Gammastrahlen von Galaxien
Ferne Ansammlungen von Milchstraßen sind für einen Teil der energiereichsten Strahlung im Universum verantwortlich.

Schrill heulten Polizeisirenen durch den mit Stuck und allerhand Antik-Imitaten verzierten Vortragssaal. Es klang wie ein akustisches Fanal für Sergio Colafrancesco – obwohl der italienische Astrophysiker die Streifenwagen, die um das noble Kongreßhotel in der Downtown von Baltimore, Maryland, kurvten, garantiert nicht bestellt hatte. Aber auch ohne Sirenen-Serenade hätten die Zuhörer auf der „Gamma 2001″-Konferenz bei dem aufgehorcht, was der Wissenschaftler vom Astronomischen Observatorium in Rom zu sagen hatte: Ein Teil der energiereichsten Strahlung im Universum stammt von Millionen Lichtjahre entfernten Galaxienhaufen – Ansammlungen aus Hunderten von Milchstraßen.

Das Universum im Licht der Gammastrahlen ist ein noch weitgehend unerschlossenes Terrain: 170 der 271 katalogisierten Gammaquellen im EGRET-Katalog sind unbekannter Herkunft. Der EGRET-Katalog ist zur Zeit der umfassendste Himmelskatalog für Gammaquellen. Er stammt vom EGRET-Instrument an Bord des Compton-Observatoriums, eines amerikanisch-europäischen Forschungssatelliten.

Colafrancesco verglich zunächst die Himmelskoordinaten vieler Gammaquellen mit jenen von nahen Galaxienhaufen – und stieß auf einen klaren Zusammenhang: 50 dieser Quellen befinden sich höchstens – als Beobachtungswinkel ausgedrückt – ein Grad von einem Haufen entfernt. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine solche räumliche Korrelation Zufall ist, beziffert Colafrancesco auf weniger als 50 Prozent. In mühsamer Detektivarbeit gelang es ihm, einen Teil dieser Quellen mit bekannten Strukturen zu assoziieren, die Gammastrahlen aussenden: Aktive Galaxien, Supernova-Überreste und Pulsare. „Schließlich blieben 18 EGRET-Quellen übrig, die höchstens ein Grad von einem oder zwei Galaxienhaufen entfernt sind.“

Doch damit nicht genug: Gemeinsam mit seinem Kollegen Paolo Giommi hat Colafrancesco die EGRET-Daten auch mit Messungen der Röntgensatelliten Rosat und BeppoSAX sowie mit optischen und Radiobeobachtungen verglichen. Dabei stießen die Forscher auf weitere Zusammenhänge. Insbesondere das Ausmaß der Röntgenstrahlung aus den Haufen korreliert mit ihrer Helligkeit im Gammabereich.

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„Es muß dort also eine Menge hochenergetischer Teilchen geben“ , lautet Colafrancescos Schlußfolgerung. „Das ist eine wichtige Erkenntnis für das Verständnis der mehrere Millionen Lichtjahre großen Radio-Halos um Galaxienhaufen, deren Ursprung uns Rätsel aufgibt.“

Auch die Entstehung der Gammastrahlen bringt die Forscher ins Grübeln. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, und wahrscheinlich spielen sie alle eine Rolle:

• Ein Teil der Strahlung dürfte schlicht die Summe der einzelnen Gammaquellen in den Galaxien der Haufen sein: Pulsare, Supernova-Überreste und so weiter.

• Eine andere wichtige Komponente ist Bremsstrahlung: Stark beschleunigte Elektronen senden Gammastrahlen aus, wenn sich Atomkerne so nahe kommen, daß sie stark abgebremst werden. Kollidierende Galaxien erzeugen Stoßwellen, und diese können die Elektronen beschleunigen. Oder sie werden durch gigantische Magnetfelder im Umfeld Schwarzer Löcher auf Touren gebracht.

• Eine weitere Möglichkeit ist die Kollision schneller Protonen aus der kosmischen Strahlung mit langsameren Protonen im Gas zwischen den Galaxienhaufen. Dabei entstehen unter anderem kurzlebige neutrale Pionen, die in zwei Gammaquanten zerfallen.

• Die interessanteste Erklärungsvariante ist die Zerstrahlung bislang unbekannter Elementarteilchen, beispielsweise Neutralinos. Neutralinos zählen zu den erfolgversprechendsten Kandidaten für die mysteriöse Dunkle Materie, die fast ein Drittel der Gesamtmasse unseres Universums ausmacht. Auch bei der Kollision von Neutralinos können sich – zumindest in der Theorie – neutrale Pionen bilden. Außerdem entstehen Elektronen und deren Antimaterie-Geschwister, die Positronen – ideale Lieferanten für die Strahlung der ominösen Radio-Halos.

„Diese Halos sind inzwischen bei über 40 Haufen beobachtet worden“, sagte Colafrancesco in Baltimore. Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Barbara Mele hat er ein Modell berechnet, das verständlich macht, wie die Elektronen und Positronen die Radio-Halos erzeugen könnten, wenn der Raum zwischen Galaxien von Magnetfeldern durchzogen wird.

1971 hatte mit der ersten Beobachtung von Röntgenstrahlung aus Galaxienhaufen eine neue Epoche in der Astrophysik begonnen. „Die aktuellen Anzeichen von Gammastrahlung aus denselben Haufen könnten uns jetzt, 30 Jahre später, ein neues Fenster zum Universum aufstoßen“, hofft Colafrancesco.

Bis ein schärferer Blick auf die kosmische Gammastrahlen-Landschaft möglich ist, müssen sich die Astronomen allerdings noch etwas gedulden – nämlich mindestens bis zum März 2006. Dann wird das Gamma-ray Large Area Space Telescope (GLAST) in eine 550 Kilometer hohe Erdumlaufbahn geschossen. Der Satellit hat ein doppelt so großes Gesichtsfeld wie EGRET und ist mehr als 50mal empfindlicher. Seine beiden Herzstücke sind LAT (Large Area Telescope) und GBM (GLAST Burst Monitor). LAT wird EGRETs Nachfolge antreten und bei Energien zwischen 0,02 und 300 Gigaelektronenvolt Tausende von bislang unbekannten Gammaquellen entdecken. GBM wird bei 0,01 bis 25 Megaelektronenvolt nach Gammaausbrüchen absuchen, die täglich ohne Vorwarnung überall am Himmel aufblitzen.

GLAST soll eine weitere Frage beantworten: den Ursprung des ominösen Gammastrahlen-Hintergrunds. Floyd W. Stecker vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, hat auf der „ Gamma 2001″-Konferenz drei Energiebereiche dieses Hintergrunds unterschieden:

• 0,5 bis 30 Megaelektronenvolt: Vielleicht senden die Kerne Aktiver Galaxien sowie Supernovae diesen Teil der Strahlung aus.

• 0,03 bis 10 Gigaelektronenvolt (der Empfindlichkeitsbereich von EGRET): Als Quellen kommen wahrscheinlich Blasare – feurige Zentralregionen ferner, jugendlicher Galaxien – in Frage.

• Über 10 Gigaelektronenvolt: Die Ursache dieses Gammaanteils ist rätselhaft. Vielleicht spielen sogenannte topologische Defekte, etwa Kosmische Strings, eine Rolle – Relikte aus der Frühzeit des Universums, die gleichsam durch Unregelmäßigkeiten im Urknall entstanden sind.

Einen Teil des Gammastrahlen-Hintergrunds könnten auch die Galaxienhaufen liefern – und zwar so weit entfernte, daß die Auflösung der bisherigen Beobachtungstechnik nicht ausreicht, um diese Quellen zu erkennen.

„Vielleicht gehen bis zu 10 Prozent des Hintergrunds im Energiebereich zwischen einigen Dutzend Mega- und über 100 Gigaelektronenvolt auf das Konto von Haufen“, schätzte Colafrancesco beim Kaffeetrinken in der Pause des Symposiums. Und draußen heulte schon wieder eine Polizeisirene. EGRET steht für Energetic Gamma Ray Experiment Telescope. Infos im Internet: lheawww.gsfc. nasa.gov/docs/ gamcosray/EGRET/egret.html Compton wurde am 5. April 1991 in die Erdumlaufbahn geschossen und am 4. Juni 2000 im Pazifik versenkt (bild der wissenschaft 10/2000, „ Comptons feuriges Ende“). Dunkle Materie ist unsichtbar, weil sie der elektromagnetischen Wechselwirkung nicht gehorcht. Näheres in bild der wissenschaft 7/2001, „Die mysteriöse Dunkle Energie“. GLAST wird gegenwärtig von der NASA zusammen mit Partner-Instituten in Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden und Japan konzipiert. Infos: glast. gsfc. nasa.gov/ und www-glast.stanford. edu/ Kollidierende Galaxien sind im Kosmos häufig. Siehe bild der wissenschaft 4/1998, „Der galaktische Crash“. Schwarze Löcher können Materie verschlingen und dabei Teilchen fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen (bild der wissenschaft 7/2000, „Feurige Jets“).

Rüdiger Vaas

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