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Gedächtnis am Gürtel

Allgemein

Gedächtnis am Gürtel
Kleinstcomputer am Körper helfen Menschen, die ihr Gedächtnis verloren haben. Und sie geben Taubstummen wieder eine Stimme.

Vor zwei Jahren hatte Jürgen B. einen schweren Verkehrsunfall. Seitdem leidet er an einer verheerenden Gedächtnisstörung: Er kann sich nichts mehr einprägen. Zwar kennt er seinen Namen und meistert die Sprache. Doch zehn Minuten, nachdem er sich mit seinem Nachbarn unterhalten hat, erkennt er ihn nicht wieder.

Seit kurzem hilft ihm sein „Private Eye“: Ein winziger Computerbildschirm vor einem Brillenglas, der Lupe eines Juweliers ähnlich, erlaubt ihm, den Laptop-Computer durchzulesen, der an seiner Schulter hängt.

Unterhält man sich mit Jürgen B., so ist er sehr darum bemüht, seine Antworten schnell und flüssig zu geben und sie nicht durch einen flüchtigen Blick auf sein Brillenglas-Display zu unterbrechen. Trotzdem enstehen kleine Pausen, in denen er diskret seinen privaten Informationsservice konsultiert. Er nimmt das kleine ovale Eingabegerät, das auf dem Computer steckt, ab und drückt auf die Tasten. So stellt er seinem Computer Fragen nach dem Vergessenen: Wer? Wann? Wo?

Das System gibt alle gewünschten Informationen. Zusätzlich sucht es nach Dokumenten, deren Inhalt wichtig für die augenblickliche Situation sein könnten, und listet sie am unteren Rand des Computerbildschirms auf.

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Entwickelt hat das Private Eye Thad Starner vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Das Leben von Jürgen B. ist einfacher geworden, aber noch mehr würde es ihm helfen, wenn es schon die Gedächtnisstütze von Starner-Mitarbeiter Bradley Rhodes zu kaufen gäbe. Rhodes‘ System sieht die Umgebung des Benutzers mit einer winzigen Kamera, erkennt den Ort und die Menschen, die gerade da sind, und flüstert alle wichtigen Informationen über einen kleinen Lautsprecher ins Ohr.

Private Eye und Gedächtnisstütze gehören zu den tragbaren Computern: winzige Rechner, die am Körper getragen werden – ständig erreichbar und bereit, Informationen abzugeben. Im Gegensatz zu herkömmlichen Computern reagieren die tragbaren je nach Ausstattung auf vielfältige Reize: auf Licht, Berührung, Töne oder Nervensignale. Von IBM gibt es bereits den Prototyp eines drahtlosen Netzwerks, Personal Area Network genannt, das eine Vielzahl dieser tragbaren Kleinstcomputer miteinander verbinden und mit Informationen versorgen kann.

Tragbare Computer können auch Gehörlose nutzen. Zwar läßt die Gebärdensprache Taubstumme gut miteinander kommunizieren, aber für die meisten anderen Menschen ist sie unverständlich. Das MIT hat einen Prototyp entwickelt, der die amerikanische Gebärdensprache in maschinell gesprochene Worte übersetzt. Am Schirm einer Baseballmütze befestigt, beobachtet eine Miniaturkamera die Hände des Mützenträgers, während ein winziger Computer die Handzeichen interpretiert und sie in gesprochene Worte übersetzt. Sie sind über einen kleinen Lautsprecher zu hören, der sich ebenfalls im Mützenschirm befindet.

Die amerikanische Gebärdensprache besteht – wie die deutsche – aus etwa 6000 Wörtern. Das ist aber weniger als ein Fünftel des amerikanischen Grundwortschatzes. Daher müssen Gehörlose zahlreiche Worte durch Bewegungen einzelner Finger in der Luft buchstabieren. Dies ist etwas, was der jetzige Prototyp noch nicht kann: Er sieht die Hände als Ganzes und mißt einzelnen Fingern keine Bedeutung bei.

Tragbare Computer können nicht nur Patienten, sondern auch Mediziner unterstützen. Alice Pentland, Professorin für Hautheilkunde an der Universität Rochester, hat ein System entwickelt, bei dem eine Minikamera am Kopf des Arztes Hautanomalien des Patienten aufnimmt und diese Aufnahmen früheren Bildern überlagert – Veränderungen lassen sich sofort erkennen.

Manche Ärzte sind überzeugt, daß tragbaren Kleinstcomputern in der Medizin die Zukunft gehört – darunter Prof. Richard Satava. Der Chirurg von der Universität Yale hat das „Smart Shirt“ entwickelt: ein Baumwoll-T-Shirt, in das ein Geflecht aus elektrisch und optisch leitenden Fasern, akustischen Sensoren und piezoelektrischen Meßfühlern eingewebt wurde. Ursprünglich konzipiert, um Schußverletzungen kämpfender Soldaten zu analysieren und die Meßdaten an das Feldlager zu senden, kann es als drahtloser Monitor eingesetzt werden, der ständig die Herzfrequenz eines Patienten oder den Sauerstoffgehalt seines Blutes ermittelt.

Bisher kennen allerdings nur wenige Mediziner die Einsatzmöglichkeiten tragbarer Computer. Eine Hürde für die größere Verbreitung der maschinellen Hilfen ist ihr Preis: Ein vollständiges System ist in Amerika nicht unter 3700 Dollar zu haben. Privat Eye Entwickler Starner gibt auf seiner Internet-Seite (http://wearables.www.media.mit.edu/projects/wearables) Auskunft, wo Einzelkomponenten erhältlich sind, die man zu preiswerten Systemen zusammenstecken kann.

Claudia Borchard-Tuch

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