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Gentechnik eher Pro als Kontra

Allgemein

Gentechnik eher Pro als Kontra
Die Deutschen lehnen die Gentechnik ab, weil die Medien negativ darüber berichten. Dieses ist nur eines von zahlreichen Vorurteilen, die jetzt in einer Akzeptanzstudie widerlegt wurden.

Chancen und Risiken der Gentechnik aus Sicht der Öffentlichkeit“ lautet der trockene Titel einer Studie, in Bonn vorgestellt von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Doch wer nur Soziologen-Kauderwelsch erwartete, wurde angenehm überrascht. Die Autoren – Wissenschaftler verschiedener Universitäten und Institute – präsentierten den erstaunten Vertretern von Gen-Industrie, Medien und Verbänden ein überraschend differenziertes und vor allem positives Bild der Akzeptanz der Gentechnik in Deutschland. Manche Vorurteile gingen im Lauf der Veranstaltung über Bord.

Den „Gentechnik-Gegner“ gibt es nicht, betonte Prof. Dieter Urban, Soziologe an der Universität Stuttgart. Bei der Befragung von 1500 Personen im April und Mai 1997 seien extreme Standpunkte kaum geäußert worden – was wegen der damals hitzigen Diskussion um das Klonschaf Dolly und die Kennzeichnung von Lebensmitteln eigentlich zu erwarten war. Die Deutschen denken statt dessen viel differenzierter, als Politiker und Industrievertreter glauben. Während 74 Prozent große Hoffnungen in medizinische und pharmazeutische Anwendungen setzen – zum Beispiel die Heilung von Krebs und Aids oder die Herstellung neuer Medikamente -, fällt die „grüne Gentechnik“ – die Veränderung von Lebensmitteln oder Nutzpflanzen – bei 76 Prozent der Befragten durch.

Ob eine Anwendung positiv oder negativ bewertet wird, hängt laut Studie vom Nutzen ab, den sie für die Menschen – aber nicht unbedingt für die Wirtschaft – erwarten läßt. Ein rein deutsches Phänomen: Die Züchtung von Labortieren für die Forschung lehnen drei Viertel der Befragten ab – Nutzen hin oder her.

Eine Inhaltsanalyse führender Tageszeitungen und TV-Sender durch Soziologen und Medienforscher aus Münster und Augsburg machte deutlich, daß die Industrie nicht länger den Medien die Rolle des Prügelknaben zuschieben kann. Nicht in Deutschland wird im europäischen Vergleich am negativsten über die Gentechnik berichtet, sondern in Frankreich. Deutsche Medien liegen im Mittelfeld. Allerdings werden die überwiegend positiven Berichte häufig negativ wahrgenommen, weil die Leser oder Zuschauer Berichte, die von ihrer eigenen Meinung abweichen, oft so zurechtbiegen, daß sie wieder ins Weltbild passen.

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„Akzeptanz läßt sich nicht durch Wissen erzeugen“, urteilte Dr. Michael Zwick von der Akademie für Technikfolgenabschätzung über die millionenteuren Bemühungen der Industrie, sich über Informationskampagnen eine höhere Zustimmung für die Gentechnik zu erkaufen. Was Betreibern von Kernkraftwerken oder chemischen Anlagen schon länger bekannt ist, sorgte in Bonn offenbar für Überraschung. „Waren alle Infoaktionen umsonst?“, fragte beispielsweise der Vertreter des Deutschen Bauernverbandes, Dr. Wolfgang Sohn, in die Runde. Dazu paßt, daß Menschen mit höherer Bildung sogar eher kritisch zur Gentechnik eingestellt sind.

Das Wissen war bei den Befragten relativ gering – nicht nur die Forscher sahen das so, auch die Befragten selbst gestanden das ein. Dennoch entpuppten sich die Einstellungen als stabil, differenziert und gemäßigt. Kein Wunder: Nicht Wissen gaben die Befragten als Meßlatte an, sondern vor allem moralische und ethische Maßstäbe.

„Die Wirtschaft kann sagen, was sie will, auch die Wahrheit, aber ihr wird nicht geglaubt“, bestätigte sogar Ulrich Aengenvoort von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg das Dilemma seiner Kontrahenten aus der Industrie. Die haben sich die Suppe zum Teil selbst eingebrockt. Beispiel Genfood: Wer eine Kennzeichnung ablehnt, hat etwas zu verbergen und dem glaubt man nicht – „ein klassisches Eigentor“ sagt Aengenvoort.

Was also ist zu tun? „Wir brauchen nicht mehr Akzeptanz, sondern mehr Transparenz“, forderte Dr. Gudrun Kordecki von der Evangelischen Kirche und nahm damit Bezug auf ein Papier aus dem Bundesforschungsministerium, das mehr Offenheit von der Industrie fordert. Was die Politiker allerdings nicht wollen, ist eine Überregulierung der Gentechnik durch Verordnungen und Gesetze. Doch genau das wollen die Bürger: 80 Prozent reicht die Kontrolle durch die Politik zur Einhaltung der Gesetze nicht aus – darin sind sich Gegner und Befürworter der Gentechnik einig. Grund ist ein tiefes Mißtrauen gegenüber den Experten: Während die technischen Risiken der Gentechnik als beherrschbar erachtet werden, befürchten viele den Mißbrauch der neuen Manipulationsmöglichkeiten. Die Studie macht klar, in welcher Bredouille sich die Genforscher befinden: Gerade den Wissenschaftlern, in die man die größten Hoffnungen setzt, traut man am wenigsten.

Bernd Müller

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