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Gesprengte Bergflanke

Allgemein

Gesprengte Bergflanke
Kurz nachdem Wissenschaftler vor der Gefährlichkeit des Mount St. Helens gewarnt hatten, flogen Teile des Vulkans in die Luft.

Vor dem Ausbruch liess sich kaum ein Wissenschaftler am Mount St. Helens blicken. Ein einziges Seismometer stand auf einem seiner Hänge. Nur Holzfäller und Naturliebhaber zog es zu dem ebenmäßigen Berg mit seinem idyllischen Hinterland: Nadelwälder, verträumte Seen, muntere Gebirgsbäche – hier fühlten sich Camper und Ausflügler wohl. Kaum jemand wohnte in dieser Gegend im äußersten Nordwesten der USA.

Doch das Naturparadies war bedroht. Das wusste man spätestens seit den Siebzigerjahren. Die Geologen Dwight Crandell und Donald Mullineaux vom US Geological Survey hatten 1978 auf die Gefahr eines explosiven Ausbruchs „vielleicht noch in diesem Jahrhundert“ aufmerksam gemacht. Sie hatten alle 15 Vulkane der Kaskaden-Kette untersucht, die sich von Kalifornien im Süden bis Britisch-Kolumbien im Norden parallel zur Pazifikküste erstreckt. Ozeanische Erdkruste schiebt sich hier unter die kontinentale und verursacht einen explosiven Vulkanismus. Crandell und Mullineaux kamen zu dem Schluss, dass der St. Helens der gefährlichste Vulkan der Gebirgskette sei. Seit 4500 Jahren war er im Mittel alle 225 Jahre ausgebrochen, wobei die Ruhephasen meist zwischen 100 und 150 Jahre oder zwischen 400 und 500 Jahre dauerten. Zuletzt war er von 1831 bis 1857 aktiv gewesen.

Brisanter als die Jahreszahlen war die Art der Ausbrüche. Die beiden Geologen fanden rund um den Berg alle Indizien, die einen Vulkan zum Killer stempeln: Lavamassen, so zäh, dass sie den Krater verstopfen, mächtige Ablagerungen von Schlammströmen, die sich einst weit durch die Täler gewälzt hatten, und – besonders tückisch – Reste pyroklastischer Ströme, wie sie St. Pierre zerstört hatten. Das Ergebnis ihrer Untersuchung war zwar keine Vorhersage, aber immerhin eine brauchbare Prognose – und für Vulkanologen schon erstaunlich präzise.

Doch zunächst kümmerte sich niemand darum, der St. Helens wurde nicht schärfer überwacht. Erst als er im März 1980, zwei Monate vor dem Kollaps, mit ersten schwachen Erdstößen erwachte, schafften Geologen eilig Geräte heran, viele Geräte. Fast über Nacht wurde der Berg zum Studienobjekt. Wissenschaftler zeichneten jede zarte Erschütterung auf, vermaßen das Gelände zentimetergenau, analysierten das ausströmende Gas und suchten nach versteckten Wärmequellen. Kein Ausbruch wurde jemals so gut dokumentiert wie der des St. Helens. Crandell und Mullineaux wurden für ihre gelungene Vorhersage gefeiert.

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Am 27. März begannen die Seismometer zu tanzen, doch es war nur eine schwache Eruption: Der Berg spie ein wenig Asche aus, nachdem Grundwasser mit der Glut in Berührung gekommen und explosionsartig verdampft war. In den folgenden Wochen gab es immer mehr Beben. Noch beängstigender war, dass sich an der Nordflanke des Bergs eine gewaltige Beule bildete. Sie wuchs an manchen Tagen um 2 Meter und war schließlich über 100 Meter dick. Der Berg schien sich aufzublähen wie ein aufgehender Hefeteig – ein untrügliches Zeichen, dass in seinem Inneren Magma aufstieg und das Gestein nach außen drückte.

Wenn man Gestein gewaltsam verformt, bekommt es Risse und verliert seine Stabilität. Am Morgen des 18. Mai genügte ein Erdbeben der Magnitude 5,1, um der morschen Flanke den letzten Halt zu nehmen. Zwei Kubikkilometer Gesteinstrümmer – das entspricht dem Inhalt von 250 Cheops-Pyramiden – stürzten im ICE-Tempo ins Tal und kappten dem Berg die Spitze. Die Entlastung ließ das Magma im Schlot aufschäumen: Weil plötzlich die Auflast von 500 Meter Gestein fehlte, perlte Gas aus der Schmelze, und überhitztes Wasser explodierte. Ein Orkan aus Dampf und Asche fegte fast 30 Kilometer weit übers Land und überholte sogar noch die Schuttlawine. Er knickte Bäume wie Streichhölzer und ließ alles Brennbare in Rauch aufgehen. Eine weitere Aschewolke schoss, schnell wie eine Gewehrkugel, senkrecht aus dem Schlot und trieb 25 Kilometer hoch in die Stratosphäre.

Als sich der Vulkan nach neun Stunden beruhigt hatte, war aus dem grünen Ferienparadies eine Mondlandschaft geworden. Auf einer Fläche von 550 Quadratkilometern stand kein Baum mehr, überall nur nackter Fels, Schutt und Asche. Schlammströme hatten die Täler meterhoch damit gefüllt. 57 Menschen waren umgekommen, darunter der Geologe David Johnson, der neun Kilometer vom Krater entfernt auf einem Beobachtungsposten saß.

Der spektakuläre Ausbruch brachte die Vulkanforschung einen großen Schritt voran: Ein katastrophaler Bergsturz, bei dem eine ganze Flanke wegbricht, galt bisher als Ausnahme. Ein Irrtum, wie die Geologen nun feststellen mussten. Weltweit suchten sie nach kopflosen Vulkanen mit den charakteristischen hufeisenförmigen Kratern, die bei einem solchen Flankenkollaps zurückbleiben. Schon nach wenigen Jahren hatten sie über 100 Aspiranten entdeckt, darunter allein 68 auf der Inselkette von Hawaii und 11 auf den Kanaren. Inselvulkane brechen besonders oft in sich zusammen, weil sie schnell emporwachsen und dabei instabil werden. Wenn die Gesteinsmassen von den Inseln herabdonnern, wühlen sie das Meer auf und treten verheerende Tsunamis los – eine Gefahr, die erst der Mount St. Helens offenbart hat. ■

Ohne Titel

Land: USA

Höhe: 2550 m

Ausbruch: 18. Mai 1980

Tote: 57

Auswurf: 2–3 km3

Besonderheiten: Die nördliche Bergflanke wurde komplett weggesprengt; Folgen: ein 700 m tiefes Loch am Kraterrand, eine 25 km hohe Aschewolke, 550 km2 Fläche verwüstet.

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