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Gestatten, Rob – ich bin ihr Nachfolger

Allgemein

Gestatten, Rob – ich bin ihr Nachfolger
Der Mensch ist die Krone der Schöpfung – doch wie lange noch? Computerwissenschaftler glauben, auch Maschinen Intelligenz, vielleicht sogar Bewußtsein.

„Hallo, wie geht’s?“ „Ich bin traurig.“ „Tut mir leid zu hören, daß du traurig bist.“ „Meine Frau hat mich verlassen.“ „ Erzähl mir mehr über deine Familie.“

Wer unterhält sich hier? Ein Psychologe und sein Patient? Falsch: Bei dem Seelenklempner handelt es sich in Wirklichkeit um ein Computerprogramm namens Eliza. Erfunden hat es Joseph Weizenbaum, ein Pionier der Künstlichen Intelligenz vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Als Weizenbaum seine Software Mitte der sechziger Jahre vorstellte, war er schockiert, wie euphorisch selbst gestandene Psychotherapeuten Eliza aufnahmen – obwohl das Programm lediglich auf Schlüsselworte reagierte und dazu meist nichtssagende Floskeln abspulte. Während viele seiner Kollegen bereits die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen sahen, prangerte Weizenbaum deren Dummheit und den sorglosen Umgang der Menschheit mit der Künstlichen Intelligenz an. Eine „fremdartige Intelligenz“, gar „menschliches Bewußtsein“ meinte auch Ex-Schachweltmeister Garry Kasparow bei seinem Gegner zu spüren, als er 1997 gegen den IBM-Computer Deep Blue antrat und verlor. Deep Blue werde hinter den Kulissen von versierten Schachspielern mit strategischen Tips versorgt, wetterte der aufgebrachte Champion.

Die scheinbare Intelligenz von Computern wie Deep Blue kann Laien schaudern lassen. Und doch weiß jeder: Eigentlich sind Computer unendlich dumm. Sie berechnen in jeder Sekunde Millionen von Schachzügen aber versagen, wenn sie zügig einen Raum durchqueren sollen ohne anzurempeln. Bei Menschen ist es genau umgekehrt: Sie finden sich im dichtesten Straßenverkehr zurecht, doch streichen häufig schon beim großen Einmaleins die Segel.

Wann ist eine Maschine intelligent? Die bekannteste Definition stammt von Alan Turing. Der Mathematiker stellte 1950 die These auf, ein Computer sei intelligent, wenn er sich mit einem Menschen unterhalten könne, ohne daß dieser etwas merke. Das werde um das Jahr 2000 der Fall sein. Doch bis heute hat kein Computer den Turing-Test bestanden, auch wenn sogenannte intelligente Agenten sich nicht mehr so leicht entlarven lassen wie Joseph Weizenbaums Eliza. Die Hamburger Firma Kiwilogic hat einen Agenten entwickelt, der Besucher von Internetseiten durch das Angebot lotst. So beantwortete Expo-Maskottchen Twipsy Fragen zur Weltausstellung, und der Bausparfuchs gibt auf der Internet-Seite von Schwäbisch-Hall Tips zum Immobilienerwerb. Doch wirklich intelligent sind die Cyber-Helfer nicht. Sie wissen nur, was zuvor in eine Datenbank gespeist wurde.

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Seit Turing und Weizenbaum haben die Disziplinen Künstliche Intelligenz und Robotik nur schleppend Fortschritte gemacht. Zwar gibt es in den Labors nette Gestalten aus Blech wie den Roboter Cog am Institut für Künstliche Intelligenz des MIT, der mit den Augenlidern klimpert, wenn man ihn anspricht. Doch niemand würde diesen Konstruktionen Intelligenz zugestehen. Joseph Weizenbaum: „ Cogs Augenaufschlag ist kein Zeichen für Intelligenz – das ist höchstens eine Spielerei.“

Dennoch gibt es Optimisten, die Computern menschlichen Geist zutrauen. Die Prognosen variieren: Der amerikanische Informatiker Ray Kurzweil, der unter anderem eine Vorlesemaschine für Blinde entwickelt hat, glaubt, daß 1000-Dollar-PCs schon 2019 das Arbeitstempo des Gehirns und zehn Jahre später dessen Intelligenz erreichen werden. Robotik-Pionier Hans Moravec sieht die Zeit Mitte des Jahrhunderts gekommen.

Wie man dieses Ziel erreicht, ist unter KI-Forschern umstritten. Einig sind sie sich, daß die Rechengeschwindigkeit weiter nach dem Gesetz des Intel-Gründers Gordon Moore steigen wird. Er hatte in den sechziger Jahren prophezeit, daß sich die Verarbeitungsgeschwindigkeit der Prozessoren alle 18 Monate verdoppeln wird – womit er bis heute bemerkenswert richtig lag. Aus der Zahl der Neuronen im Gehirn und deren Verarbeitungsgeschwindigkeit läßt sich hochrechnen, daß ein Computer rund 100 Billionen Rechenschritte pro Sekunde ausführen müßte, um die Leistung des menschlichen Gehirns zu erreichen. Das wäre nach Moores Gesetz Mitte des Jahrhunderts der Fall.

Uneins sind sich die Experten aber, wie man mit der gigantischen Rechengeschwindigkeit eines Haufens Silizium dieselben Fähigkeiten erzeugen kann, wie mit einem 1,5 Kilogramm schweren Eiweißklumpen. Auf der einen Seite stehen die Verfechter des Top-Down-Ansatzes, darunter auch Hans Moravec: Man müsse die Rechengeschwindigkeit genügend steigern und durch geschickte Programmierung und möglichst perfekte Sensoren menschenähnliche Fähigkeiten in den Computer packen.

Auf der anderen Seite vertritt Rodney Brooks vom MIT, der Schöpfer von Cog, die Auffassung, daß schon unsere Definition von Intelligenz und Bewußtsein falsch sei. Nach seiner Meinung ist unser Gehirn einem Computer viel ähnlicher, als wir wahrhaben wollen. Deshalb könnten wir mit Hilfe der Computer viel über uns selbst erfahren. Sein Bottom-Up-Ansatz besagt, daß schon heute Maschinen über Sensoren Umwelteindrücke aufnehmen und daraus Schicht für Schicht Bewußtsein erzeugen können. „Ich bin, also denke ich“, heißt Brooks‘ Motto.

Einig sind sich die Kollegen wiederum darin, daß menschliche Intelligenz und Bewußtsein lediglich die Summe biochemischer Prozesse sind, eine Art biochemische Software also. Wer dieses Weltbild akzeptiert, kann sich leichter vorstellen, daß auch Maschinen menschenähnlich werden können. „Ich bin Atheist“, gibt Hans Moravec zu. Marvin Minsky, Mitbegründer der KI-Forschung am MIT, formulierte, was alle in seiner Branche denken: „Geist ist nichts weiter als ein Produkt aus geistlosen, aber intelligent ineinandergeschachtelten Ober- und Unterprogrammen.“

Schützenhilfe geben Experimente aus der jüngsten Zeit, in denen die Grenzen zwischen Lebewesen und Maschinen zunehmend verwischen. Forscher am San Diego Institut für Nicht-lineare Wissenschaften haben bewiesen, daß elektronische Neuronen die Funktion von Nervenzellen im Gehirn nachahmen können. Sie verbanden die künstlichen Neuronen sogar mit denen von Hummern zu einem Netz, das sich genauso verhielt wie ein rein biologisches neuronales Netz. Forscher der Northwestern-University in Chicago schufen einen Cyborg. Sie nutzten das Gehirn eines urtümlichen Fisches, des Neunauges, um einen Roboter zu steuern. Hod Lipson und Jordan Pollack von der Brandeis Universität stellten im Wissenschaftsmagazin „Nature“ einen Roboter vor, der sich komplett selbst entworfen und gebaut hat. Aufgabe des Computers war, durch Evolution eine Maschine zu konstruieren, die möglichst schnell krabbeln kann. Nach 600 Generationen schickte der Computer seine Daten an eine Maschine, die den Robokrabbler aus Kunststoff formte.

Trotz der Möglichkeit einer zweiten Genesis suchen nur wenige Theologen den Dialog mit den Technologen. Anne Foerst, Pastorin mit Informatikstudium, ist eine von ihnen. Sie arbeitet in Rodney Brooks Team am MIT als theologische Beraterin. Sie glaubt nicht, daß es schon jetzt Maschinen mit Geist gibt, auch wenn sie mit Cog ab und zu ein Schwätzchen hält. Deshalb hat sie auch kein Problem, Cog den Strom abzustellen. Brooks hat einmal gesagt: „ Wenn die Ingenieure ein schlechtes Gewissen haben, dem Roboter den Strom abzustellen, haben wir unser Ziel erreicht.“

In anderen Kulturen stellt sich das Problem gar nicht. Für Japaner, die auch unbelebten Gegenständen einen Geist zugestehen, sind Roboter der letzte Schrei. Sony hat seinen Robo-Hund Aibo, dessen erste limitierte Auflage von 5000 Stück nach 20 Minuten ausverkauft war, neu aufgelegt. Jeder, der will, soll jetzt eines der rund 3000 Mark teuren blechernen Schoßhündchen bekommen, das rosa Bällen nachjagt, kläffend Männchen macht und auf Worte seines Herrn reagiert. Sinkende Geburtenraten, Überalterung der Gesellschaft, zunehmende Vereinsamung – für viele Japaner wären Roboter ein Ausweg. Deshalb entstehen in japanischen Labors vor allem Androiden, die die Mimik des Menschen perfekt nachahmen sollen.

Bleibt die Frage nach den Folgen. Für Aufsehen hat ein Artikel gesorgt, der letzten April in der Internet-Illustrierten „Wired“ erschienen ist. Unter der Überschrift „Warum uns die Zukunft nicht braucht“ zeichnet Autor Bill Joy ein düsteres Bild von einer Welt, in der Roboter die Macht über uns Menschen haben, sofern es uns dann überhaupt noch gibt. Joy, Mitbegründer der Computerfirma Sun Microsystems, wurde für seine Gedanken hart kritisiert. Sogar in deutschen Feuilletons von „FAZ“ bis „Die Woche“ wurde heftig über die Abschaffung des Menschen diskutiert, deutsche Professoren meldeten sich im „Bill-Joy-Streit“ zu Wort. Dabei findet sich in den tief pessimistischen Ausführungen, worin Joy clever Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie und die Atombombe über einen Kamm schert, wenig Gehaltvolles. Aber offenbar ist die Zeit zur Diskussion reif. In einem hat Joy wohl recht: Eine Atombombe unterliegt der Kontrolle staatlicher Einrichtungen. Roboter dagegen werden ein Massenmarkt, weil sie unser Leben bequemer machen – eine Entwicklung, die Moravec, Kurzweil und Co mit Vehemenz vorantreiben. Doch darin liege gerade die Tücke, sagt Joy: Die immer größere Abhängigkeit mache uns schließlich zu Sklaven.

„Roboter haben keinen Sex“, kritisierte Bill Joy kürzlich in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“. Experten glauben aber, daß die Sex-Industrie als erste die Roboter-Technik kommerziell nutzen wird. „Pornografie war immer ein Technologie-Führer“, sagt Jeanne Dietsch von der amerikanischen Roboterfirma ActivMedia. „Jeder liebt Roboter“, glaubt Dietsch. Und manche lieben sie mehr als andere. Für Robo-Voyeure gibt es im Internet schon die erste Fetisch-Seite. Neben pikanten Kurzgeschichten zeigen dort Maschinen-Menschen alles, was sie haben: viel nacktes Blech.

Kompakt Computer-Experten prophezeien, daß Roboter in einigen Jahrzehnten menschliche Intelligenz bekommen werden. Skeptiker fürchten als Konsequenz die Versklavung und sogar die Vernichtung der Menschheit. Getrieben wird die Entwicklung von kommerziellen Interessen.

Künstliche Intelligenz holt auf Schlau wie eine Eidechse: Vergleicht man die Verarbeitungsgeschwindigkeit von Computern mit der geschätzten Leistung eines Gehirns, erreichen moderne PCs Reptilien-Niveau. Der Schachcomputer Deep Blue kommt sogar an Affen heran. Auffällig: In den letzten 50 Jahren wurden Computer nicht nur schneller, sondern auch billiger.

Bernd Müller

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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