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Goethe als Wissenschaftler: Ein Reinfall?

Allgemein

Goethe als Wissenschaftler: Ein Reinfall?
Der Großdichter und die Farbenlehre. Goethe hielt sich viel auf seine Ergebnisse zugute, doch die waren in wichtigen Teilen falsch. Prof. Otto Krätz vom Deutschen Museum München, der seinen Goethe liebt, will am Wissenschaftler dennoch nicht verzweifeln.

Was, um des Pudels Kern, hat Goethe von seiner Theorie gehabt? Das ist die entscheidende Frage. Diese sonst bei Wissenschaftlern übliche Umkehrfrage funktioniert bei Goethe nicht. Bei der Bewertung seiner Farbenlehre gibt es Haken und Ösen, über die man nicht so einfach hinwegkommt.

Er hätte sich viel leichter getan, wenn er die führenden zeitgenössischen Naturwissenschaftler wie Euler, Fresnel, Fraunhofer und Young diskutiert hätte. Das wäre auch gar nicht schlimm gewesen: Weder seine Theorie der farbigen Schatten noch der Farbenharmonie hätten sich wesentlich geändert.

War das Vorhaben zu gewaltig? Goethe wollte nichts weniger als das gesamte Erscheinungsbild der Farben in Psychologie, Philosophie, Malerei und Physik darstellen – die „Farben an sich“ also. Das ist ihm in einigen Bereichen beeindruckend gelungen. Seine Betrachtungen zur Farbenpsychologie zum Beispiel sind heute noch gültig: Wie muß man Räume streichen, um sich wohl zu fühlen, welche Farbklänge und -folgen sind sympathisch?

Sein dreibändiges Werk „Die Farbenlehre“ wäre heute noch das Standardwerk zur Geschichte der Naturwissenschaften, wenn er sich nicht so widersinnig in einen Kampf gegen Newton verrannt hätte. Dessen Lebensdaten (1643 bis 1727) lagen rund 100 Jahre vor Goethes Zeit und dessen Theorie vom Teilchencharakter des Lichts war bereits heftig umstritten und zum Teil widerlegt. Aber mit einer Verbiesterung, als gelte es, einen Übervater zu stürzen, verdammte Goethe den großen Engländer und setzte sich mit beachtlicher Hybris die wissenschaftliche Krone auf: „Daß ich … in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der Einzige bin, der das rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zu gute, und ich habe deshalb das Bewußtsein der Superiorität über viele…“

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Intellektueller Hochmut oder ein Fünkchen Wahrheit? Richtig ist Goethes Beobachtung zu den Schatten, die nie nur schwarz, sondern – abhängig von der Farbe anderer Lichtquellen – farbig sind. Falsch ist Goethes Edikt: „Das Licht ist das einfachste, unzerlegteste, homogenste Wesen, das wir kennen, es ist nicht zusammengesetzt.“ Richtig ist Goethes Befund zum Nachleuchten von Blendwirkungen im Auge: In einem modernen Experiment leuchtet ein blaues Blitzlicht im Auge in der Komplementärfarbe (orange) nach. Falsch ist Goethes Dogma: „Das Helle kann nicht aus Dunkelheit zusammengesetzt sein.“ Zwar summieren sich in der Tat die Regenbogenfarben auf einem Kreisel nicht zu weiß, wenn man ihn rotieren läßt – es wird immer nur grau. Es sei denn, man beleuchtet einen transparenten Kreisel von hinten mit einem Licht – dann wird Weiß tatsächlich die Zusammenfassung aller Farben. Das hatte Newton behauptet – aber selbst auch nie gesehen, sondern nur idealisierend angenommen. Die Durchleuchtung des Farbkreisels von hinten aber wurde erst über ein Jahrhundert später in die physikalischen Experimente eingeführt, Goethe mußte also irren, seine Zeit ließ es nicht anders zu.

Sturm und Drang in der Wissenschaft Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war eine grandiose Aufbruchzeit der Physik mit ständig neuen Erkenntnissen. Die Wissenschaft konnte plötzlich vieles erklären. In der Optik waren die Forscher in England und Frankreich führend; die Holländer hielten Schritt, die Deutschen hinkten um einiges nach.

Aber: Die physikalischen Betrachtungen zu optischen Phänomenen beunruhigten die damaligen Menschen zugleich auch religiös ein bißchen. Beispiel Regenbogen: In der Bibel heißt es bei Noah: „Ich habe meinen Bogen in die Wolken gesetzt zum Zeichen meines Bundes mit der Erde.“ Wenn also nach einem Gewitter ein Regenbogen erscheint, ist das ein sich ewig wiederholendes Wunder. Wenn man aber der theoretischen Deutung von Fresnel folgt, ist es kein Wunder, sondern trivial. Es gab damals viele Theorien zur Entstehung des Regenbogens. Auch Goethe beschäftigte sich damit. Auf eine sehr originelle Art: Er erzeugte auf der Bühne des Weimarer Theaters selbst einen Regenbogen – mit der Feuerspritze und der Windmaschine des Theaters und Sonne oder Licht im Rücken.

Seine Erklärung der farbigen Lichterscheinung allerdings war wieder ein bißchen mühsam, denn er hatte Probleme, die spektrale Aufteilung des Lichts zu erklären – die hatte schließlich der Erzfeind Newton postuliert.

Immer wieder Newton… Der englische Physik-Begründer hatte behauptet, weißes Licht würde im Prisma in die Spektralfarben aufgespalten. Goethe beurteilte dies als ein gewaltsames, die Natur auf die Folter spannendes Experiment. Die so malträtierte Natur gäbe darauf falsche Antworten.

Aber dann hat er die Newtonschen Experimente doch selbst nachgemacht. Das ist die Crux, rational nicht zu erklären. Es hat Psychiater zu teilweise extremen Deutungsversuchen veranlaßt – „eine partielle Psychose“, diagnostizierte einer. Die Torheit, die Goethe mit einer gehörigen Portion intellektuellen Hochmuts begangen hat, bestand darin, daß er Newton Zeile für Zeile abschrieb und Zeile für Zeile boshaft kommentierte.

Goethes strebendes Bemühen um die Natur des Lichts währte sein gan-zes Leben lang. Ganz links: Goethes Farbkartensatz und ein – nachgebauter – Farbkreisel für seine optischen Experimente. Mitte: Goethes eigenhändige Skizze des „Farbenkreises“ mit der Zuordnung menschlicher Eigenschaften. Oben: Newtons Manuskript zur Optik, darauf sein Prisma mit den Spektralfarben.

Dazu sagen einige heutige Goethefreunde: Er wollte ja gar nicht richtig Physik betreiben, sondern die geistig-sittliche Ebene von Wissenschaft aufzeigen. Dem muß man natürlich entgegenhalten: Dann hätte er ja Newton nicht verreißen brauchen.

…und die zeitgenössischen Wissenschaftler? Um den zeitgenössischen Stand der physikalischen Arbeiten zur Optik hat sich Goethe jedenfalls überhaupt nicht gekümmert. Die Forscher waren für ihn, wenn er sie überhaupt zur Kenntnis nahm, staubtrockene Stubenwissenschaftler, die von der Natur nichts verstanden, und die er mit bemerkenswerten Verbalinjurien bedachte.

Andererseits ist Goethe von der zeitgenössischen Wissenschaft nie gefordert worden, schon gar nicht Auge in Auge. Es gab ein paar schlechte Rezensionen seiner Publikationen zur Farbenlehre, in denen es aber meist nur um Randfragen ging. Leute wie Lichtenberg wichen ihm aus. Alexander von Humboldt, mit dem er gut bekannt war, hätte ihm den Stand der französischen Forschung zum Licht referieren können. Humboldt erzählte nicht, Goethe fragte nicht – vielleicht wollten beide Streitereien aus dem Weg gehen, denn sie hatten bereits völlig unterschiedliche Auffassungen vom Vulkanismus und vom Aufbau der Erde.

Wie waren die Weimarer Rahmenbedingungen? Goethe hatte als Wissenschaftler drei Standort-Nachteile. Zum einen war er überzeugt, daß seine Zeit den Gipfel der Wissenschaft erreicht habe.

Zum anderen: Ein normaler Wissenschaftler muß seine Theorien und Ideen irgendwo – in Publikationen, Vorträgen, Vorlesungen – diskutieren. Das war bei Goethe nicht der Fall. Mit einem so wichtigen Mann in der Verwaltung der Universität Jena wollte sich keiner der Professoren anlegen. Neben dieser formalen Abhängigkeit war Goethe sicher bereits stark überhöht – spätestens seit „Werther“ war er eine gesamteuropäische kulturelle Figur, an der man sich nicht so einfach rieb.

Und schließlich: Goethe trug selbst gern vor. Seine Zuhörer in der berühmten regelmäßigen Mittags-Gesellschaft waren allerdings meist edle alte Damen. Die fanden ihn toll. Vermutlich waren seine Vorträge ja auch phantastisch. „Er verleugnet nicht das Genialische seines Geistes, der da weiß, einen großen Gegenstand groß zu behandeln“, notierte selbst eine scharfzüngige Hofdame. Eine andere schwärmte, Goethe habe „so schön von Licht und Farben … gesprochen“, daß man „nichts verstanden, und doch ganz entzückt gewesen wäre“. Solche Verehrung streichelt das Ego, ist aber sicher nicht die intellektuelle Auseinandersetzung, deren ein Wissenschaftler bedarf.

Der Dichter als Wegweiser 40 Jahre beschäftigte sich Goethe mit seiner Farbenlehre, und sie war ihm, wie Briefe unter anderem an Friedrich Schiller und Tagebucheintragungen belegen, zeitweilig wichtiger als seine Dichtung. Dank seiner Farbenharmonien sollten sich Naturwissenschaft, Poesie und Kunst vereinigen.

Daraus wird, sträflich verkürzt, in der kultischen Goethe-Literatur ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk kreiert, verknüpft mit dem Bedauern, daß sich hier den Naturwissenschaften ein grundsätzlich anderer Weg in eine menschlichere Betrachtungsweise angeboten habe, was die jedoch unverständlicherweise und zu ihrem Schaden verschmäht hätten.

Als ob ein goetheanischer Physiker, beseelten Blickes die Natur betrachtend, zu anderen als den bekannten physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten gelangt wäre, und die Welt damit errettet sei!

Selbst Goethe ist es zumindest gelegentlich aufgefallen, daß die Natur auch die Fragen unsympathischer Zeitgenossen beantwortet.

Goethe wollte ja auch gar nicht den Stand der damaligen Physik reflektieren. Er bemühte sich auch nicht sonderlich, den Anschluß an die Forschungsfront zu halten. Mathematik hatte er nur rudimentär vermittelt bekommen, optische Experimente während seiner Studienzeit gar nicht. Sein Ausgangspunkt waren vornehmlich maltechnische und kunsttheoretische Überlegungen: Welche Farben rufen bei einem Gemälde welche Wirkung hervor? Wie schaffen die Künstler mit Schatten eine Räumlichkeit?

Experimente ja – aber bitte nicht zu kompliziert Es wird Goethes stets innovativen Geist beunruhigt haben, daß er die farbenprächtigen Naturphänomene zwar hingerissen beobachten, aber nicht erklären konnte.

Dem wollte er mit physikalischen Experimenten abhelfen: „Ich hatte nämlich eingesehen, daß man den Farben, als physischen Erscheinungen, erst von der Seite der Natur beikommen müsse, wenn man in Absicht auf Kunst etwas über sie gewinnen wollte.“ Nur: Komplizierte Experimente wiederum waren ihm ein Greuel – das provozierte Kurzschlüsse.

Schließlich darf man nicht vergessen, daß Goethe zumindest in seiner Jugend lebhaft alchemistische Studien betrieben hatte. Alchemie beschäftigte nicht nur im 18. Jahrhundert die besten Köpfe der Wissenschaft, zum Beispiel Newton, sondern war auch später chic. In der Alchemie spielen Farben eine mystische Rolle und werden mit Symbolen und Naturkräften gleichgesetzt.

So kommen im Lauf von 40 Jahren viele Beweggründe für Goethes strebendes Bemühen um die Farben zusammen – und natürlich auch Modifizierungen und neue Erkenntnisse. Eines aber blieb ehern bestehen: Die trotzige Oppositionshaltung gegen „das ekelhafte Newtonsche Weiß“:

„Weiß hat Newton gemacht aus allen Farben. Gar manches hat er euch weis gemacht, das ihr ein Säculum glaubt.“

Was bleibt? Deshalb fällt die wissenschaftliche Würdigung dessen schwer, was Goethe insgesamt auf dem Gebiet des Lichts und der Farben beobachtet hat. Denn neben dem Spagat mit dem Spektrum hat sich der Weimarer Unruhgeist für das Farbensehen von Farbenblinden interessiert, hat festgestellt, daß Pflanzen unter verschiedenfarbigen Gläsern unterschied-lich gedeihen und aufgrund der gewaltigen Luftverschmutzung seiner Zeit erkannt, daß die Farben aus dem Trüben entstehen.

Man nimmt es ihm ja gar nicht übel, daß er sich mit seinen Beobachtungen und Experimenten stets und immer wieder selbst widerlegt hat. Das ist ja in der Wissenschaft ganz normal. Erst wenn alle Varianten diskutiert sind, kann einer die Synthese ziehen. Deshalb ist es auch gar nicht schlimm, daß Goethes Farbenlehre nicht stimmig ist.

Schlimm ist, daß es heute noch Goetheaner gibt, die daraus ein Glaubensbekenntnis machen – davor muß man Goethe schützen.

Der Bologneser Leuchtstein Ein wenig tragisch waren Goethes erfolgreiche Untersuchungen über das Leuchten Bologneser Leuchtsteine. Lange vor Goethe war ein Alchemist auf die Idee gekommen, dieses auffällige und schöne Mineral, das bei Bologna gefunden wurde, fein zu mahlen, mit Bocksblut zu mischen (ein echt alchemistischer Einfall) und zu glühen.

Dieser Stein nahm die Eigenschaft an, im Dunkeln nachzuleuchten, wenn man ihn zuvor belichtet hatte. Galilei – ein aggressiver Mensch, der nicht ohne Grund Schwierigkeiten mit der Kirche bekam – brachte mit diesem leuchtenden Stein die kirchlichen Licht-Metaphern („Ich bin das Licht der Welt“) gehörig durcheinander. Dadurch wurde der Bologneser Leuchtstein berühmt. Warum er überhaupt nachleuchtet, wurde erst in diesem Jahrhundert erkannt: Es handelt sich um ein quantenphysikalisches Phänomen.

Goethe, obwohl gegen das Newtonsche Spektrum eingenommen, wiederholte dessen Prismen-Versuch in einer begehbaren Camera obscura: „Ich warf auf die gewöhnliche Weise das farbige sogenannte Spektrum solis an die Wand und brachte einen in Bologna zubereiteten Leuchtstein in den gelben und gelbroten Teil des Farbenbildes und fand zu meiner Verwunderung, daß er darauf im Dunkeln nicht das mindeste Licht von sich gab.“

Das tat der Wunderstein erst wieder, nachdem Goethe ihn im violetten Bereich des Spektrums beleuchtet hatte. Goethe zog aus diesem verblüffenden Ergebnis keine weiterführenden Schlüsse – und so blieb die Entdeckung des Ultravioletten Forschern in seiner Umgebung vorbehalten.

Otto Krätz

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