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Green Card – der grüne Flop

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Green Card – der grüne Flop
Im Juli sollen die ersten Green-Card-Computerexperten nach Deutschland kommen. Dr. Michael Zwick von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg ist allerdings sicher, daß sich am Problem der Deutschen durch die Öffnung nichts ändern wird.

Vor wenigen Tagen hat die Akademie für Technikfolgenabschätzung eine wegweisende Untersuchung veröffentlicht: „Die Attraktivität von technischen und ingenieurwissenschaftlichen Fächern bei der Studien- und Berufswahl junger Frauen und Männer“. Darin wurden 667 Schüler und Studierende über ihre Motivation befragt, ein bestimmtes Studienfach auszuwählen. Offenbar sind vor allem drei Ursachen für den Ingenieur- und Fachkräftemangel in der Informationstechnologie Deutschlands verantwortlich: Etwa die Hälfte des Rückgangs bei Studienanfängern in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen ist dem Geburtenrückgang zuzuschreiben. Junge Leute orientieren sich bei der Studienfachwahl weder an gesellschaftlichen Erfordernissen noch an aktuellen Arbeitsmarkt- und Karrierechancen: Zum einen, weil sich das Gymnasium nicht am Arbeitsmarkt orientiert. Zum anderen, weil in Deutschland zwischen Abitur und Examen meist fünf bis sieben Jahre verstreichen und so von den Studierenden gar nicht aktuell reagiert werden kann. Weiterhin wirkt die drastische Entlassungswelle bei Technikern und Ingenieuren zu Beginn der neunziger Jahre bis heute nach. Viele junge Menschen orientieren sich deshalb in erster Linie an der Verwirklichung persönlicher und fachlicher Interessen. Dabei sind sie keineswegs technikfeindlich. Viele Studienanfänger beabsichtigen, das Fach zu wechseln oder das Studium aufzugeben – im Fach Chemie sind es 54 Prozent. Weltfremde Inhalte und überzogene Leistungsanforderungen schrecken ab. Wer mehr Naturwissenschaftler und Ingenieure möchte, sollte über eine Reform der Studieninhalte, eine Aufwertung der Lehre und mehr Augenmaß bei Leistungsanforderungen nachdenken. Bei den Computer- und Informationstechnologien sieht es mit der Motivation der jungen Leute besser aus: Hier fahren die Universitäten bereits seit Jahren Voll- oder Überlast und können die Nachfrage nach Studienplätzen kaum befriedigen. Warum dies die Politik nicht bewogen hat, die Kapazitäten zügig auszuweiten, bleibt ein Rätsel.

Die gegenwärtige Green-Card-Debatte geht weitgehend an den wirklichen Problemen vorbei: Die Schätzungen gehen von einem unbefriedigten Bedarf von bis zu 100000 Informationstechnologie-Experten aus. Bei den deutschen Arbeitsämtern waren im März allerdings nur 14324 offene Stellen für EDV-Kräfte und 6827 für Ingenieure gemeldet. Das ist unverständlich. Denn wer händeringend nach Bewerbern sucht, sollte eigentlich keinen Weg ungenutzt lassen – also auch nicht den übers Arbeitsamt –, um diesem Notstand abzuhelfen. Möglich ist, daß der tatsächliche Bedarf kaum über die Zahl offener Stellen hinausgeht.

Andererseits waren im März unter den Erwerbslosen 31048 EDV-Fachleute und 56971 Ingenieure. Die Konsequenz kann daher nur heißen: Abbau der Arbeitslosigkeit. Die Unternehmen haben im laufenden Jahr 7000 Informationstechnik-Fachleute ausgebildet, 47000 kommen aus öffentlichen Bildungseinrichtungen. Stimmen Anforderungs- und Qualifikationsprofile von Bewerbern nicht hinreichend überein, sollten erst einmal Maßnahmen zur betrieblichen Um- und Weiterqualifikation ergriffen werden. Und das erst recht vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussion um die Zuzugserleichterung EU-fremder Experten, etwa aus Indien. Denn erstens zählen indische Experten in ihrem Land – anders als in Deutschland – zu den Spitzenverdienern und haben alle Privilegien. Zweitens bietet der „Kulturstandort“ Deutschland etliche Nachteile: Wer will gerne in ein Land ziehen, das als ausländerfeindlich gilt? Auch Inder sind nicht bloß Arbeitskräfte – sie haben Kultur, Religion, Ehepartner, Kinder… Wer hier länger arbeiten will, wird mit gutem Recht darauf bestehen, all dies mitbringen zu dürfen. Sprachbarrieren, die deutsche Bürokratie sowie die Beschränkung der Aufenthaltsdauer dürften die USA als Zuwanderungsland um ein Vielfaches attraktiver machen. Erst wenn die demographische Entwicklung und die Dynamik des Arbeitsmarktes anhalten und wenn sich ein Ende der Massenarbeitslosigkeit abzeichnet, ist es sinnvoll, über Zuwanderungspolitik nachzudenken. Vorerst aber ist es viel dringender, daß Deutschland seine Hausaufgaben macht. Dazu gehören: Attraktivere naturwissenschaftliche Schulfächer, Reform und Kapazitätsaufstockung von gesellschaftlich wichtigen Hochschulstudiengängen, eine effizientere betriebliche Aus- und Weiterbildung sowie der Abbau bürokratischer Hemmnisse.

Michael Zick

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