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Hans von Storch – Der Eigenwillige

Allgemein

Hans von Storch – Der Eigenwillige
Der Klimatologe und Mathematiker Hans von Storch blickt über den Tellerrand seines Fachgebiets. Er begreift den Klimawandel als ein gesellschaftliches Ereignis, das mit Naturwissenschaften allein nicht zu verstehen ist.

Eigentlich ist Hans von Storch ein Zahlenfresser. Der studierte Mathematiker machte seine wissenschaftliche Karriere mit Klimamodellen. Seine Profession ist es, gewaltige Zahlenkolonnen im Computer zu Aussagen über das Klima der Zukunft – oder auch der Vergangenheit – zu verarbeiten. Unter klassischen Naturwissenschaftlern haben Leute wie er keinen besonders guten Ruf. Sie seien Schreibtischtäter, deren Horizont nicht über ihren Monitor hinausreiche, heißt es. Doch auf Storch trifft dieses Klischee mitnichten zu. Der Direktor am Institut für Küstenforschung des Forschungszentrums GKSS in Geesthacht, der zugleich Professor für Meteorologie an der Universität Hamburg ist, schaut oft über den Rand seines Bildschirms hinaus. Nicht nur die Naturwissenschaften seien beim Klima gefragt. Er fordert: „Wir müssen das gesellschaftliche Konstrukt Klimawandel verstehen.“ Und dazu seien auch historische und soziologische Forschungen notwendig. Erste Ansätze dazu leistete Storch bereits. So hat er zusammen mit dem Soziologen Dennis Bray mehr als 400 Klimaforscher in Deutschland, Kanada und den USA nach der Selbsteinschätzung ihrer Arbeit gefragt. „Die Amerikaner zeigten sich weniger überzeugt von der Richtigkeit ihrer Modelle als die Deutschen“, berichtet der 53-Jährige. Die Geschichte der Klimaforschung durchforstete Storch mit dem Soziologie-Professor Nico Stehr von der Universität im kanadischen Vancouver. Die Auswirkung des Klimas auf den Menschen wird seit langem überschätzt, sind die beiden Wissenschaftler überzeugt. Als ein historisches Beispiel nennen sie Eduard Brückner. Der Wiener Professor stellte Ende des 19. Jahrhunderts umfangreiche Tabellen mit Klimadaten auf, die bis zum Jahr 1700 zurückreichten. Dabei entdeckte er Schwankungen, die sich alle 35 Jahre zu wiederholen schienen. Er war überzeugt, dass sich die unterschiedlichen Niederschlagsmengen auf die Landwirtschaft ausgewirkt hätten und erklärte mit ihnen Hungersnöte und Perioden verstärkter Auswanderung nach Amerika. Sogar Verschiebungen politischer Machtverhältnisse seien teilweise auf ein verändertes Klima zurückzuführen. „Brückner stellte seine Thesen in öffentlichen Vorträgen vor“, berichtet Storch. „In Zeitungsartikeln und Parlamentsdebatten wurden sie diskutiert.“ Auswirkungen auf die Gesellschaft sah der Wiener Geograph neben der Landwirtschaft vor allem beim Transport auf Flüssen und bei der Verbreitung von Krankheiten. Ausgehend von den beobachteten Schwankungen wagte er Prognosen für die Zukunft. „Doch die stellten sich allesamt als falsch heraus“, sagt Storch. Denn der Gütertransport habe sich größtenteils auf die Schiene verlagert, und die bessere Hygiene habe einen viel größeren Einfluss auf die Gesundheit gehabt als das Klima, außerdem sei die Landwirtschaft durch Züchtungserfolge und künstliche Bewässerung revolutioniert worden. Brückners Geschichte lehrt, davon ist Storch überzeugt, dass man skeptisch sein sollte gegenüber Vorhersagen, wie sich Klimaänderungen auf die Menschheit auswirken. Dass der Mensch über den Treibhauseffekt die Atmosphäre aufheizt, steht für ihn außer Zweifel. Doch er glaubt, die Gesellschaft werde sich entsprechend anpassen. Wer meine, veränderte Klimabedingungen träfen auf eine gleich gebliebene soziale und wirtschaftliche Realität, sitze einem „Dummer-Bauer-Ansatz“ auf. Schon Aristoteles habe die Bedeutung des Klimas überschätzt und es als die Ursache für die Überlegenheit der Griechen über die Barbaren genannt. Dieses Erklärungsmuster ziehe sich bis in die Neuzeit durch. So behauptete Ellsworth Huntington, der bekannteste amerikanische Geograph in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, klimatische Bedingungen bestimmten, wie sich menschliche Charakteristiken und Zivilisationen entwickeln. Er sprach vom „wohl bekannten Gegensatz zwischen den energiegeladenen Leuten der gemäßigten Zone und den faulen Einwohnern der Tropen“. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg empfahl Huntington sogar, den Sitz der Vereinten Nationen auf Rhode Island zu errichten, weil dort das förderlichste Klima herrsche. Storch spricht von einem Klimadeterminismus, der bis heute nicht ausgestorben sei. So habe etwa der Schriftsteller Thomas Bernhard vor wenigen Jahren über die Salzburger geschrieben: „Das Voralpenklima macht gemütskranke Menschen, die schon sehr früh dem Stumpfsinn anheim fallen und die mit der Zeit bösartig werden.“ Die moderne Klimafolgenforschung sieht Storch in dieser Tradition: „Wir erleben heute eine Rückkehr des Klimadeterminismus in die wissenschaftliche Arena.“ So würden Szenarien erarbeitet, wie sich die Klimaerwärmung auf Grundwasser, Lebenserwartung, Landwirtschaft oder Tourismus im Jahr 2050 auswirke. Politische, ökonomische und technische Veränderungen blieben dabei oft unberücksichtigt. Bei einem Zeitraum von fast 50 Jahren sei das völlig realitätsfremd. Die Scientific Community reagierte auf Storchs gesellschaftswissenschaftliche Arbeiten und seine Kritik am modernen Klimadeterminismus nur schwach. „Die Resonanz, die zu erwarten war, ist ausgeblieben“, sagt Klaus Hasselmann, bis zu seiner Emeritierung vor drei Jahren Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Die Klimatologen seien offensichtlich verbohrt in ihr Spezialwissen: „Storch hat Recht, wir sind zu engstirnig.“ Dennoch hofft von Storch, mit seiner Kritik etwas bewirkt zu haben: „Die Frage nach der sozialen und kulturellen Dimension von Klima hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung zugenommen.“ Im nächsten Satz räumt er allerdings ein, das müsse nicht unbedingt sein Verdienst sein: „ Vielleicht sind wir auch nur mit dem Zeitgeist geschwommen.“ Hasselmann schätzt Storch als unbequemen Geist, der mit seiner oft konträren Meinung nicht hinter dem Berg halte. Auch wenn er manchmal etwas norddeutsch schroff wirke, seien seine Positionen in der Scientific Community akzeptiert. Ulrich Cubasch vom Hamburger Max-Planck-Institut, der mit Storch seit 20 Jahren zusammenarbeitet, bestätigt, der Geesthachter sei international anerkannt. „Er liebt es, die Katastrophenschreier unter den Klimaforschern zu pieken“, sagt Cubasch. Leute wie ihn brauche es, damit frische Luft in die Debatten kommt. In der Tat reagiert Storch schon fast allergisch auf Katastrophenszenarien, die manche seiner Kollegen verbreiten. „Ich habe lange gesucht, was denn die schlimmen Auswirkungen der zu befürchtenden Erwärmung sein sollen“, erzählt er. Bei jedem Gebiet habe sich herausgestellt, dass es nicht betroffen sei. Beispiel Landwirtschaft: Da sich das Klima recht langsam verändert, können sich die Pflanzen anpassen. Zudem gibt es auch ohne Gentechnik durch Züchtung immer wieder neue Arten. Beim Hauptproblem, weltweit immer mehr Mäuler stopfen zu müssen, spielt die Klimaverschiebung bestenfalls eine Nebenrolle. Beispiel Stürme: Dass es angeblich windiger geworden ist auf unserem Planeten, gehört fast zum Allgemeinwissen. Storch untersucht seit Jahren, ob in Nord- und Ostsee die Stürme zugenommen haben. Vorläufiges Resultat: Seit 1960 wird es zwar stürmischer, aber nicht mehr als Anfang des Jahrhunderts. Zwischen 1920 und 1960 gab es eine außergewöhnlich ruhige Phase. Beispiel Ausbreitung von Tropenkrankheiten: Da kommt es vor allem auf medizinische Versorgung und Hygiene an, glaubt Storch. So war in Europa bis zum Zweiten Weltkrieg die Malaria verbreitet. Und trotz gleich bleibender oder sogar leicht steigender Temperaturen ist die Krankheit in hiesigen Breiten inzwischen besiegt. „Das Ende vom Lied ist: Der Schaden tritt in Bangladesch ein“, resümiert Storch. „Das hat Vorteile: Erstens ist es weit weg und zweitens weiß keiner so genau, wie es dort aussieht“, fügt der Klimaforscher ironisch hinzu. Umfragen in Bangladesch hätten gezeigt, dass die vermeintlich Betroffenen ganz andere Prioritäten setzen. An erster Stelle der drängendsten Probleme nennen die Einwohner des asiatischen Landes das Bevölkerungswachstum und die Zerstörung der Mangrovenwälder. Erst an 13. Stelle folgt der Anstieg des Meeresspiegels. Storchs Ziel ist es, das System Klimaforschung zu verstehen. Systeme haben es ihm seit jeher angetan: „Mich interessiert, wie sie funktionieren. Welchen Inhalt sie haben, ist dabei erst mal zweitrangig.“ So ist der Mathematiker Gründungspräsident des Vereins D.O.N.A.L.D. (Deutsche Organisation der nicht-kommerziellen Anhänger des lauteren Donaldismus), der die Welt in Entenhausen analysiert. Er habe alle Donald-Duck- Geschichten des genialen Disney-Zeichners und -Autors Carl Barks gelesen, erzählt der Klimaforscher: „Schon als Kind wurde ich donaldisiert.“ Das sei sein „kultureller Rucksack“. Natürlich könne man von Donald und Co auch etwas über das Klima lernen, meint Storch. So sagt Glückspilz Gustav Gans in einer Geschichte: „Das Wetter wird schon wieder schlechter. Das muss wohl an den Atomwaffen liegen.“ Die Comic-Figur drückt aus, worüber sich die Menschen – zumindest in Europa – schon immer einig waren. Im Mittelalter wurden Hexen oder sündiges Betragen für das angeblich schlechter werdende Wetter verantwortlich gemacht. „Später waren es der Reihe nach Abholzungen, Atombombenversuche, Industrieabgase, Weltraumfahrt und brennende Ölquellen“, sagt Storch. In der Schweiz und Teilen Deutschlands habe man vor rund 200 Jahren sogar schon mal Blitzableiter für die Ursache von Niederschlagsänderungen gehalten. Heute bestätigen die Klimaforscher den allgegenwärtigen Wetterpessimismus, meint der Geesthachter: „Deswegen sind sie in den Medien so beliebt.“ Und bekommen große Forschungsetats, von denen auch Storch profitiert. Und profitiert hat: Schon zu Studienzeiten arbeitete er als Programmierer im Sonderforschungsbereich Meeresforschung der Universität Hamburg. Nach dem Diplom bekam er dort als Doktorand eine Stelle und promovierte am Meteorologischen Institut, an dem er sich 1985 habilitierte. Ein Jahr später wechselte er an das Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie: „Zu dieser Zeit kam das Klima-Thema gerade hoch.“ Seit sechs Jahren ist der auf Föhr geborene Wissenschaftler einer der drei Direktoren des Instituts für Küstenforschung bei der GKSS. Derzeit verfolgt er vor allem drei Projekte: Die Stürme über der Nord- und Ostsee, das Klima an den Küsten und die Verteilung von Blei in der Umwelt. Die Konzentrationen des Schwermetalls in Pflanzen, Tieren und Menschen haben mit der Einführung des bleifreien Benzins enorm abgenommen. Von daher scheint das Thema keine Brisanz mehr zu haben. Doch die Meeresorganismen an der Nordseeküste leiden unter dem giftigen Element nach wie vor. Und in Asien, Südamerika und Afrika gehen die Blei-Emissionen nahezu ungebremst weiter. Storch hofft, dass seine Untersuchungen als Vorbild für Studien über andere Stoffe dienen können. Blei hält er für besonders geeignet, weil dessen Ausbreitung relativ leicht zu verfolgen ist, da es kaum Verbindungen mit anderen Stoffen eingeht. Daneben befasst sich Storch mit der Modellierung des Klimas der vergangenen 10000 Jahre. Die Schwankungen der Temperatur seien viel größer als es in den gängigen Grafiken dargestellt wird, sagt er: „Wenn ich unbegrenzte Mittel zur Verfügung hätte, würde ich das Klima der vergangenen 130000 Jahre simulieren.“ Und natürlich interessiert er sich auch weiter für gesellschaftliche Zusammenhänge. „In wie weit ist das, was wir heute über das Klima denken, historisch entstanden?“, fragt er. Welche Rolle spielt dabei zum Beispiel die so genannte Kleine Eiszeit, die vor 300 Jahren ihren Höhepunkt erreichte? Leider komme er viel zu wenig dazu, konzentriert über solche Forschungen nachzudenken, klagt Storch: „Ständig gestört zu werden, ist mein Job.“ Als Institutsleiter muss er vor allem kommunizieren – mit Mitarbeitern, Geldgebern oder Kollegen. Doch er entzieht sich auch immer wieder der dauernden Ansprache. „Einmal im Jahr fahre ich für zwei Monate weg“, sagt er. Am liebsten nach Hawaii. „Das hat den Vorteil, dass die Zeitverschiebung zwölf Stunden beträgt und ich so von vielen Telefonanrufen verschont bleibe. Und Küsten gibt es dort ja genug“, schmunzelt der Direktor des Instituts für Küstenforschung.

Kompakt

Hans von Storch, geboren am 13. August 1949 in Wyk auf Föhr. Studium von Mathematik, Physik und Dänisch an der Universität Hamburg, 1976 Diplom in Mathematik. 1979 Promotion am Institut für Meterologie der Universität Hamburg, dort sechs Jahre später Habilitation. 1987 bis 1995 Forschungen am Hamburger Max-Planck- Institut für Meteorologie. Seit 1996 Professor für Meteorologie an der Universität Hamburg und Direktor des Instituts für Hydrophysik der GKSS in Geesthacht, das seit 2001 in das Institut für Küstenforschung eingegliedert ist. Verheiratet mit der Meteorologin Jin-Song von Storch.

Wolfgang Blum

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