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Heimliche Horcher am Handy

Allgemein

Heimliche Horcher am Handy

Die Vorzüge von Mobiltelefonen wissen in Deutschland rund 50 Millionen Menschen zu schätzen: Sie sind immer und überall erreichbar – und der Anrufer hat keine Ahnung, wo sein Gesprächspartner gerade steckt. Genau dieser Umstand bereitet den Strafverfolgern Sorgen, wenn es darum geht, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Doch damit ist nun Schluss: Nach den jüngsten Änderungen in der Verordnung zur Überwachung der Telekommunikation (TKÜV) sind Netzbetreiber verpflichtet, den Ermittlern die Gesprächspartner und den jeweiligen Aufenthaltsort ihrer Kunden preiszugeben.

Die Funkmasten, über die ein Mobiltelefon ins Netz geht, geben jederzeit Auskunft über den Standort eines Handybenutzers, wenn er das Telefon eingeschaltet bei sich trägt. In Großstädten ist das Netz aus Sendemasten äußerst dicht geknüpft, was eine Ortung jedes Handynutzers auf wenige Hundert Meter ermöglicht. Das weiß man inzwischen allerdings auch in Verbrecherkreisen. Die Ganoven telefonieren daher vorzugsweise über anonyme Prepaid-Handys, die man an jeder Ecke kaufen kann, ohne persönliche Daten bei den Netzbetreibern hinterlassen zu müssen. Ob eine Verabredung zum Drogendeal oder zum Einbruch – die Polizei war bislang machtlos, wenn dafür unregistrierte Mobiltelefone benutzt wurden.

Doch die Technik hat auch für die Überwachung anonymer Handys die passende Antwort. IMSI-Catcher heißt die Wunderwaffe, mit der sich nicht registrierte Handys identifizieren und abhören lassen. Bislang war der Einsatz des IMSI-Catchers dem Bundesnachrichtendienst (BND), dem militärischem Abschirmdienst (MAD) und dem Bundesgrenzschutz (BGS) vorbehalten. Seit 1998 kam dieses Gerät mehrere Dutzend Mal zum Einsatz – stets mit Erfolg. Kein Wunder also, dass der Apparat auf der Wunschliste der Staatsanwälte ganz oben steht. Mit der Verabschiedung des Terrorismus-Bekämpfungsgesetzes wird ihnen dieser Wunsch erfüllt.

Nach Meinung von Datenschützern ist die Freigabe der Daten mobiler Abhörstationen an die Polizei allerdings bedenklich, denn dadurch kommen alle Handynutzer ins Visier der Fahnder, auch ohne jemals auffällig geworden zu sein. Die Funktionsweise ist einfach: Alle Handys im Umkreis von 300 Metern halten den IMSI-Catcher für eine Basisstation und melden sich bei ihm an. Dabei übertragen sie die so genannte International Mobile Subscriber Identity (IMSI), mit der sich jede Handy-SIM-Karte eindeutig identifizieren lässt. Schaltet sich das Gerät zwischen Handy und Mobilfunknetz, kann der Catcher dem Telefon vorgaukeln, er sei das Netz – und dem Netz, er sei ein Handy. In dieser Konstellation lassen sich alle Telefonate, die mit in den IMSI-Catcher eingebuchten Handys geführt werden, problemlos abhören und mitschneiden.

Inzwischen arbeiten mehrere Hersteller an einem Nachbau der mobilen Abhörgeräte. Dass mit steigendem Angebot die Nachfrage wächst, steht außer Frage. „Damit wird eine Technik auf den Markt gebracht, die auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität von Interesse ist“, befürchtet Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Die Gefahr des Missbrauchs ist in der Tat nicht zu unterschätzen, denn der Handel mit den mobilen Abhörstationen ist uneingeschränkt möglich. Jeder, der 50000 Euro hinblättert, kann sich die Fähigkeiten des IMSI-Catchers zunutze machen. Auch wenn das Gerät für die Nutzung in Deutschland keine Betriebserlaubnis erhalten hat, ist sein Einsatz bislang technisch nicht nachweisbar. So ist es durchaus denkbar, dass Kriminelle oder ausländische Geheimdienste mit Hilfe des Catchers völlig unbemerkt an sensible Informationen aus Politik und Wirtschaft gelangen.

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Auch die Betreiber der Mobilfunknetze sind von der offiziellen Einführung dieser Technik nicht begeistert. Experten gehen davon aus, dass der Einsatz des Geräts zu Störungen der Verbindungen führen wird: Wird ein Handy von dem IMSI-Catcher gefangen, können bis zur Freigabe an die echte Basisstation weder Gespräche empfangen noch Verbindungen aufgebaut werden. Davon sind alle Handys betroffen, die sich im Einzugsbereich des Catchers befinden. Auch Notrufnummern sind während dieser Zeit nicht wählbar.

Der Umfang der Störungen wird von den Netzbetreibern und der Bundesregierung jedoch sehr unterschiedlich eingeschätzt. So geht das Bundesinnenministerium davon aus, dass es beim Einsatz des IMSI-Catchers für höchstens zehn Sekunden – die Zeit, die das Fangen der IMSI maximal benötigt – zu Einschränkungen beim Telefonieren kommt. Unmittelbar darauf werde das Handy wieder an die tatsächliche Basisstation zurückverwiesen. Die Netzbetreiber dagegen befürchten, dass es durch Interferenzen der simulierten Basisstation mit den Funksignalen der realen Sendemasten auch nach der Einfangphase zu Übertragungsstörungen und Gesprächsabbrüchen kommt. Der Hersteller sagt: Während des gesamten Zeitraums, die der Catcher eingeschaltet ist, können keine neuen Gespräche aufgebaut werden – und diese Zeitspanne betrage in der Regel fünf bis zehn Minuten.

Dass man sich beim mobilen Telefonieren wirkungsvoll gegen ungebetene Lauscher schützen kann, beweist ein Krypto-Handy, das der Münchner Hersteller Rohde&Schwarz entwickelt hat. Es verschlüsselt die Gespräche mit einem kryptographischen Code, der mit heutigen Mitteln praktisch nicht zu knacken ist. Regierungen und Top-Manager vieler großer Unternehmen nutzen dieses Gerät, um vertraulich zu kommunizieren.

Gegen den IMSI-Catcher hat die Berliner Humanistische Union im Juli Verfassungsbeschwerde eingelegt. Begründung: Der Einsatz des Geräts verstoße gegen das im Grundgesetz garantierte Fernmeldegeheimnis. Die Diskussion um den IMSI-Catcher könnte allerdings schon bald vom Tisch sein: Sollte sich trotz Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit die UMTS-Technik durchsetzen, wäre der Catcher wirkungslos. Denn das UMTS-Protokoll arbeitet mit einer gegenseitigen Authentifizierung von Handy und Basisstation – dazwischen geschaltete falsche Stationen werden entlarvt und ignoriert. Das wäre das Ende heimlicher IMSI-Catcher.

Tom Niemann

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