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Heroin auf Rezept

Allgemein

Heroin auf Rezept

DIE ZAHL DER DROGENTOTEN in Deutschland ist erheblich zurückgegangen: von 2099 im Jahr 1992 auf 1513 im letzten Jahr. Doch Mediziner, Politiker und Sozialarbeiter sind nach wie vor auf der Suche nach dem langfristig besten Weg, um den Süchtigen aus ihrer Abhängigkeit zu helfen.

Kann ein Ersatzstoff wie Methadon, den man den Süchtigen zur Verfügung stellt, sie dazu bringen, dass sie dauerhaft auf die harte Droge Heroin verzichten? Darüber hat der Frankfurter Drogenexperte Dr. Walter Kindermann schon vor 15 Jahren in dieser Zeitschrift nachgedacht (bild der wissenschaft 8/1988, „Taugt Methadon als Heroin-Ersatz?“). In einer bundesweiten Studie wird jetzt nach wissenschaftlichen Kriterien untersucht, ob die Gabe von Methadon oder sogar von Heroin – noch vor zehn Jahren ein Tabu in Deutschland – zum schnelleren Ausstieg aus der Sucht verhelfen kann. Mehr als 1000 Schwerstabhängige nehmen unter ärztlicher Aufsicht in sieben Städten an der Studie teil.

Eine davon ist Karlsruhe. Seit Mai 2002 erhalten dort 48 Abhängige in der Drogenambulanz der Arbeiterwohlfahrt (AWO) entweder Heroin oder Methadon. Per Los wurden sie der jeweiligen Gruppe zugeteilt. 80 Prozent der Kosten von jährlich rund 500000 Euro trägt die Stadt Karlsruhe, den Rest der Bund. Die Abgabe der Drogen ist an einen Therapie- und Beratungsplan gekoppelt. Regelmäßige medizinische Tests und Befragungen gehören zum Programm. So wollen die Betreuer der Studie – die Federführung liegt beim Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) in Hamburg – sicheres Wissen schaffen. 12 der insgesamt vorgesehenen 60 Plätze waren bis zum Stichtag Ende 2002 freigeblieben. Sozialarbeiter Martin Gauly von der Karlsruher AWO-Ambulanz wundert sich nicht darüber: „Von den Teilnehmern wird viel Mitarbeit verlangt.“ Außerdem habe die Aussicht, der Methadongruppe zugelost zu werden, manche Heroinabhängige abgeschreckt. Über die Dabeigebliebenen kann er Positives berichten: „Allen geht es gesundheitlich besser.“ Mehr als ein Drittel engagiere sich mittlerweile bei Arbeits- und Berufs-Integrationsmaßnahmen. Zwei Teilnehmer hätten sich zu einer Entzugstherapie entschlossen.

Dabei waren nur Abhängige aufgenommen worden, die schon bis zur Hüfte im Drogensumpf steckten: Mindestens fünf Jahre Sucht sowie mehrere Therapieabbrüche mussten sie hinter sich haben. Angesichts dieser Drogenkarrieren der durchschnittlich 37 Jahre alten Teilnehmer fürchteten Kritiker des Großversuchs das Aufblühen einer Drogenszene im Umfeld der Heroinabgabestelle. Doch das disziplinierte Verhalten der Teilnehmer zerstreute die Besorgnisse. „Eine größere Distanz zur Drogenszene“ stellt Gauly bei allen Teilnehmern fest. Die Beschaffungskriminalität sei deutlich zurückgegangen.

Für ein Resümee muss allerdings die bundesweite Auswertung der zweijährigen Studie durch das ZIS abgewartet werden. Positive Erfahrungen mit ähnlichen Projekten liegen bereits aus der Schweiz vor. „Dort ist die kontrollierte Heroinabgabe fast schon die Regelbehandlung“, erklärt Gauly. Das Karlsruher Zwischenergebnis wertet auch Walter Kindermann als positiv. Bei Einbeziehung aller – „vorsichtig geschätzt“ – 40000 Abhängigen in Deutschland befürchtet er jedoch eine Kostenexplosion. Die personalintensive Betreuung des Modellversuchs sei nicht flächendeckend finanzierbar. „Doch wir brauchen einen sozialverträglichen Umgang mit der Droge“, sagt der heutige Abteilungsleiter im hessischen Sozialministerium in Wiesbaden. Kindermann plädiert dafür, Ärzten unter streng definierten Bedingungen die Heroinabgabe an Süchtige zu erlauben. „Im Gegenzug müsste die öffentliche Heroinszene rigoros zerschlagen werden.“ Und eines dürfe es künftig keinesfalls mehr geben: Strafmilderung für Taten unter Drogeneinwirkung.

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Paul Janositz

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