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Holger Zinke: Wie man eine Gentech-Firma auf Kiel legt

Allgemein

Holger Zinke: Wie man eine Gentech-Firma auf Kiel legt
Von einem Biologen, der auszog, Unternehmer zu werden. Wer sich unmittelbar nach der Hochschule selbständig macht, kann sich des Lobs von Sonntagsrednern sicher sein. Aber um im Business erfolgreich zu sein, reicht Wagemut allein noch lange nicht.

Zwingenberg an der Bergstraße – im Keller eines Fabrikgebäudes. Holger Zinke zieht die Abdeckfolie weg, und eine Kiste, gefüllt mit Erde, kommt zum Vorschein. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, daß darin Champignons reifen. „Davon ernähren sich unsere 24 Mitarbeiter“, sagt Zinke augenzwinkernd. Jetzt endlich, zum Abschluß eines langen Nachmittags, bekomme ich handfeste Biologie zu Gesicht. Dabei halte ich mich seit Stunden in der Biotechnologiefirma „Brain“ auf. Chromatographen, Computer, Fermenter, Pipetier-Roboter, Schüttelgeräte, Rührwerke und einige Menschen, die sich an diesen Einrichtungen zu schaffen machen, ist das, was sonst bei Brain zu sehen ist.

Geld verdient die Firma, indem ihre Mitarbeiter etablierten Pharma-Unternehmen mit biotechnologischem Know-how weiterhelfen – etwa durch Spezialuntersuchungen, die in der Frühphase jeder Medikamententwicklung nötig sind.

Brain arbeitet mit dem Handicap vieler High-Tech-Firmen. Kaum jemand vermag zu erkennen, was sich in den Arbeitsräumen abspielt. Dr. Holger Zinke, der 35jährige Geschäftsführer, hat selbst erfahren, daß eine solche Arbeitswelt „professionellen Kritikern höchst willkommen ist, um Ängste zu schüren“, wie er sagt. Im Winter 1995/96, als das damals zweieinhalb Jahre alte Unternehmen aus Räumen der TU Darmstadt nach Zwingenberg ziehen wollte, gab es Vorhaltungen, Anfeindungen, Grabenkämpfe: Zinke&Co wurden von Gentechnik-Gegnern zu Helfershelfern der Euthanasie degradiert, der Produktion biologischer Kampfstoffe angeklagt, einer Technologie zugeordnet, die so verheerende Folgen wie die Kernspaltung habe.

Im nachhinein erzählt Zinke das ganz cool. Damals, mitten im Geschehen, war er von den Vorwürfen sehr getroffen. Doch er habe auch daraus gelernt: „Wir hätten sofort an die Öffentlichkeit gehen müssen und nicht versuchen sollen, unseren Ansiedlungswunsch über Lokalpolitiker einzuführen.“ Die aufgeregte politische Diskussion um das Vorhaben hatte nur wenig gemein mit dem, was die Nachbarn durch das Biotechnologie-Unternehmen auf sich zukommen sahen. „Die Feuerwehr fragte, ob sie einen Brand überhaupt löschen darf. Die Bevölkerung wollte wissen, ob durch unsere Produktion der Lkw-Lärm zunimmt“, erinnert sich Zinke. Schließlich verebbte der Widerstand, und Brain nahm im Sommer 1996 mit 14 Mitarbeitern in Zwingenberg die Arbeit auf.

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Brain steht für Biotechnology Research- and Information-Network, im Englischen aber auch für: Gehirn, Köpfchen, Grips. Der Unternehmensname ist die Elle, an der sich die Qualität der Arbeit messen lassen muß.

Um welcherlei Arbeit sich Brain vor allem bemüht, wird am besten durch ein Beispiel klar. Seit längerem ist bekannt, daß sich durch Mistelextrakte die Ausbreitung von Krebsmetastasen eindämmen lassen. Über die exakten Wirkmechanismen wußte die Fachwelt lange Zeit freilich wenig, denn Mistelpräparate wurden vor allem von Anthroposophen verabreicht. Zinke und seinen Kollegen gelang es 1994, den DNA-Bauplan für das Eiweißmolekül Mistellektin zu entziffern, dem die heilende Wirkung zugeschrieben wird. Inzwischen hat Brain noch eins draufgelegt: Der Wirkstoff kann jetzt auch gentechnisch durch Bakterien hergestellt werden. Erstmals läßt sich dadurch das mutmaßlich krebshemmende Viscumin preisgünstig, in den erforderlichen Mengen und in gleichbleibender Reinheit produzieren. Damit sollte es der Schulmedizin endlich möglich sein, den Wirkmechanismus zu ergründen.

Ob es um Mistellektin geht oder um Streptomyceten, also um Bakterien, die für den typischen Waldbodengeruch verantwortlich sind: Fast immer kreisen die Aufträge an Brain um Wirkstoffe, von denen Pharmakologen annehmen, daß sie krankheitshemmend sein könnten. Brain durchforscht Pflanzen, Bakterien oder Zellen nach spezifischen Wirkstoffen, reichert diese an und bringt sie auf eine so hohe Qualitätsstufe, daß sie andere Institute und Unternehmen für Experimente nutzen können.

Im Wettlauf um neue, noch wirkungsvollere Medikamente fällt solchen Voruntersuchungen eine Schlüsselstellung zu. Zinke ist überzeugt, daß er im richtigen Sattel sitzt. „Der Nachfragesog ist riesig. Das beweist der Boom in den USA.“ Dort existieren inzwischen an die 2000 Biotech-Firmen. In Deutschland sind es 180. Auf Wirkstoff-Forschung ausgerichtet sind sogar nur zwei Dutzend.

Lange hatte es den Anschein, als ob nur noch amerikanische Unternehmen in der Lage seien, biotechnologische Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten. Deshalb orientierte sich auch ein um das andere europäische Pharmaunternehmen an den Staaten, wenn es externes Know-how brauchte. Zinke glaubt, daß die Zeit für eine Trendwende reif ist: „Das kühle, unpersönliche Geschäftsgebaren der meisten US-Firmen, die Schwierigkeiten, bei Abwicklungsmängeln ein Unternehmen amerikanischen Rechts zu belangen, oder die zeit- und kostenaufwendigen Geschäftsbesuche“ – all das sind für Zinke Argumente, mit denen Europäer US-Unternehmen ausstechen können. „Wenn wir auf dem gleichen Niveau arbeiten“ – was er in Hinblick auf Brain unterstellt.

An Selbstbewußtsein mangelt es dem 35jährigen nicht, hat es ihm wohl auch nie gemangelt. Aufgewachsen in bürgerlichem Hause – der Vater Uhrmacher- und Mechanikermeister, die Mutter Hausfrau und Verwaltungsangestellte -, sollte und wollte der Sohn Bauingenieur werden („Brückenbau faszinierte mich“). Als er sich während der Bundeswehrzeit für das Biologiestudium entschied, reagierten die Eltern verschnupft: „Damit kann man nur Lehrer oder Arbeitsloser werden.“ Sie hätten ihren Sohn besser kennen müssen.

Denn der nutzte noch während des Studiums sein eben erworbenes Wissen, um Geld zu verdienen („schon in der Schulzeit meinten einige, ich müßte Manager werden“). Durch eine Änderung im Chemikaliengesetz waren Unternehmen ab 1989 gezwungen, eine Datenbankdokumentation über ihre Produkte anzulegen. Viele kleinere Unternehmen konnten das nicht oder wollten keine Zeit damit verlieren. Zinke, der die Datenbankrecherche im Studium erlernt hatte, offerierte sein Wissen der Industrie und verdiente als 27jähriger in guten Monaten einige tausend Mark hinzu.

Klar, daß Zinke auch seine Studieninhalte an der TH Darmstadt mitbestimmte. Schon bald orientierte er sich an Hans Günter Gassen, einem Professor für Biochemie. Gassen war schon damals – Mitte der achtziger Jahre – ein deutscher Ausnahmeforscher. Er verstand nicht nur sein Handwerk, sondern auch, wie man mit und in der Öffentlichkeit reden muß, um wahr- und ernstgenommen zu werden.

Gassen seinerseits fand Gefallen an Zinke. Auch Dr. Gabriele Sachse war Gassen aufgefallen. In beiden brannte das Feuer, das brennen muß, wenn man ein Biotechnologie-Unternehmen aus der Taufe heben will. Und das wollte Gassen schon seit längerem. Im September 1993 gründeten die drei zusammen mit einem weiteren Gesellschafter, Ulrich Putsch, Brain und zahlten jeweils 75000 Mark in die GmbH-Kasse ein. Zinke mußte sich das Geld als persönlichen Kredit von der Bank leihen. Ulrich Putsch dagegen hätte es aus der Portokasse bezahlen können. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender des Auto- und Flugzeugsitzherstellers Keiper Recaro, der einen Jahresumsatz von fast zwei Milliarden Mark macht.

Gassens wissenschaftlicher Erfahrung sowie Putschens Gespür für die Ökonomie verdanken die Brain-Gründungsgeschäftsführer Zinke und Sachse den erfolgreichen Start im Unternehmerlager. Inzwischen hat sich Sachse mit ihrem biotechnologischen Informations- und Beratungsbüro aus Brain ausgeklinkt, ist aber weiterhin Mitgesellschafterin.

Über Umsatzerlöse spricht Zinke nicht so gerne. Soviel läßt er sich allerdings entlocken: „Wir machen inzwischen einige Millionen Umsatz. Der Gewinn wird aber sofort reinvestiert, und daran wird sich vorläufig nichts ändern.“

Einen kaufmännischen Mitarbeiter sucht man unter den 24 Brain-Beschäftigten vergeblich. Auch das offenbart, wie sehr Zinke selbst Unternehmer sein will. Für den Biologen ist es eine Herausforderung, die Spielregeln im großen Wirtschaftsspiel zu erlernen und sie dann so anzuwenden, daß er zu den Gewinnern gehört. Natürlich könne es vorkommen, daß man sich bei Vertragsverhandlungen „mal verheddert“, doch Zinke akzeptiert dieses Risiko, „das gehört zum Leben einfach dazu“.

Ein versonnener, in sich gekehrter Mikrobiologe, das ist Zinke fürwahr nicht. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Unternehmer: Er läßt sich nicht vom Leben treiben, er betreibt das Leben und sucht es zu gestalten, wo immer er auch ist. So stand er natürlich in der vordersten Reihe, als 55 Firmen die „Vereinigung deutscher Biotechnologie- Unternehmer“ gründeten. Eine beinahe logische Folge seiner Umtriebigkeit: Am 13. Mai erhielt Brain den Innovationspreis des Landes Hessen.

Das alles registriert Zinke mit Genugtuung, läßt seinen Kamm aber nicht schwellen. Zurückgenommen im Vergleich zu anderen Machern bringt er seine Gesellschaftskritik vor: „Ich wundere mich, daß die Politikverdrossenheit nicht noch größer ist. Jedes Gutachten wird mit einem Gegengutachten beantwortet. Entscheidungen ziehen sich über Jahre hin, obwohl 95 Prozent der Bevölkerung eigentlich gar nichts gegen eine bestimmte Weichenstellung haben.“

Zinke hat auch Sinn für Kultur und Geschichte. Sein Engagement für das Fabrikgebäude an der Darmstädter Straße in Zwingenberg ist ein Beleg dafür. Gebaut in den dreißiger Jahren im Bauhausdesign für die „Deutsche Milchwerke AG Fissan“. Seit Anfang der neunziger Jahre stand das Gebäude leer – innen und außen heruntergewirtschaftet. Dennoch wurde es 1992 als Kulturdenkmal geschützt. Zinke war in diesen Bau schon damals verschossen. Alle anderen Standorte waren für ihn zweite Wahl. Selbst die Konflikte mit den Gegnern der Gentechnologie, „die wir in anderen Bundesländern so nicht gehabt hätten“, nahm er dafür in Kauf. Wie sehr sich Zinke mit diesem Bau und dessen Initiator identifiziert, wird klar, als er auf ein Foto des Fissan-Chefs Arthur Sauer aus den dreißiger Jahren angesprochen wird, das im Besprechungszimmer von Brain hängt. Die Achtung, mit der Zinke über dessen private Interessen redet – „er hat Gedichte verfaßt, Fotobände über die Natur angelegt und einen Schüler des Bauhaus-Architekten Paul Bonatz für sein Fabrikgebäude ausgesucht“ -, zeigt, daß Holger Zinke unter Jungmanagern geradezu ein Intellektueller ist.

So verwundert es kaum, daß es Zinke nicht beim Verputzen des Fabrikgebäudes beließ, als Brain in Zwingenberg einzog. Auch von innen betrachtet, residiert das Unternehmen in bemerkenswertem Ambiente: Eine moderne, großzügige Chromstahlkonstruktion als Treppenaufgang, ineinander übergehende Räume, optisch wie ergonomisch ansprechende Labortische mit der feinen Gravur „Brain“ im Glas, edel abgestimmte Grautöne. „Auch die Fenster werden wir erneuern, wenn wir wieder etwas Geld übrig haben“, meint Zinke fast entschuldigend, als der Blick auf einen kleinen Sprung im Glas fällt.

Daß es dazu kommen wird, steht außer Frage. Zinke hat verstanden, wie man eine moderne Firma auf Kiel legen muß. Die Flexibilität eines kleinen Betriebes mit engagierten Angestellten – Durchschnittsalter 27 Jahre, kaum jemand verheiratet – macht Brain zu einem willkommenen Partner für große Firmen: „Bis die über eine Aufgabe diskutiert haben, haben wir sie gelöst.“

Ohnehin ist es um den Acker, auf dem die Firma ihre Früchte ernten will, gut bestellt. Anders als in der Chemie, die gewaltige Gerätschaften braucht, um Produkte herzustellen, reicht in der Biotechnologie oft ein 100-Liter-Fermenter aus, um den Weltbedarf eines gentechnisch produzierten Wirkstoffs zu decken. „Das ist auch der Grund, warum etablierte Chemieunternehmen die Biotechbranche fürchten“, sagt Zinke. Gelegentlich überlegt er schon, was er macht, wenn Brain demnächst die geplante Obergrenze von 30 Mitarbeitern erreicht hat. „Im Augenblick arbeiten wir an Aufträgen, die uns andere Unternehmen geben. Vielleicht gründen wir aber auch mal einen eigenen Produktionsbetrieb. Geben Sie uns 15 Millionen Mark, und wir machen das sofort.“

So ganz zufällig sagt er das gewiß nicht. Im sanierungsbedürftigen Nebengebäude stünde der Platz schon zur Verfügung. Und für manchen guten Mitarbeiter, der mit zunehmendem Alter vielleicht mehr Interesse an einem etwas geregelteren Arbeitsalltag bekommt, wäre dann auch gesorgt, überlegt Zinke weiter: „Ob dieses Konzept aufgeht, weiß ich natürlich nicht.“

Aber, aber. Wer so zielstrebig ans Werk geht, wird auch das noch richten.

Wolfgang Hess / Holger Zinke

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