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IDEALISTEN AM WERK

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IDEALISTEN AM WERK
In Europa arbeiten klassische Wissenschafts- und Technikmuseen mit modernen Science Centern Hand in Hand. Was die Macher eint, ist ihr Anspruch, die Welt zu verbessern.

Wer den Geist atmen will, der durch Europas Science Center weht, sollte eine Ecsite-Tagung besuchen. Ecsite – das ist das Europäische Netzwerk der Wissenschafts-Zentren und -Museen. Es ist noch jung, es ist gerade 20 geworden. Und es wächst noch: Zur Jubiläumstagung in Mailand im Juni dieses Jahres kamen 986 Delegierte aus 49 Ländern – ein neuer Teilnehmerrekord. Ein buntes Völkchen aus Alten und Jungen, Männern und Frauen, Arrivierten und Flippigen trifft sich da. Streift durch die malerischen Innenhöfe des ehemaligen Benediktinerklosters, in dem seit 1953 das „Nationalmuseum für Wissenschaft und Technik Leonardo da Vinci“ untergebracht ist. Diskutiert in sieben Sälen parallel über aktuelle Fragen der Museumspädagogik und der Wissenschaftsvermittlung. Lässt sich nicht lange bitten, wenn es darum geht, mit Stäben zu jonglieren, Bälle hüpfen zu lassen, Nanomaterialien zu testen oder andere praktische Experimente auszuprobieren. Deutschland stellt mit 89 Teilnehmern eine der stärksten Delegationen, aber auch aus Australien, Mexiko, Costa Rica, Tunesien, Japan und Indien sind Mitglieder und Gäste angereist. Ein tapferer Mann hat sich sogar in den Kopf gesetzt, in der Islamischen Republik Iran ein Science Center aufzubauen.

MEHR PRAXIS IN DEN UNTERRICHT

Und natürlich ist auch die experimenta Heilbronn in Mailand vertreten – in Gestalt von Thomas Wendt, dem pädagogischen Leiter der neuen Lern- und Erlebniswelt. Wendt ist kein Ecsite-Neuling. Bereits an seiner früheren Wirkungsstätte, dem „ExploHeidelberg“, hat er ein Schülerlabor aufgebaut und geleitet. Er hat Israel bereist und die Angebote der dortigen, aus seiner Sicht vorbildlichen Zentren studiert. Laboratorien sind ein Biotop, in dem sich der gelernte Molekularbiologe wohl fühlt. Und so lässt er die Gelegenheit nicht aus, an einem Nachmittag mit zwei Kollegen aus Heidelberg und Israel ein Schülerlabor an der Universität Mailand zu besuchen: „CusMiBio“ heißt es, 9000 Gymnasiasten aus der Region Lombardei durchlaufen es jährlich in Halbtages- oder Tageskursen. Schnell sind die italienischen Professoren und der israelische Museumsdirektor bei praktischen Fragen angelangt: Wie erreicht man eine nachhaltige Wirkung bei den interessierten Schülern? Soll ihnen der Kursleiter nach dem Labortag eine E-Mail mit weiterführenden Links schicken, wie der Israeli vorschlägt? Oder ist es wichtiger, mit den Lehrern Kontakt zu halten, wie die Italiener meinen? Lorenzo Gatti, 20, ist Student der Bioinformatik und arbeitet im CusMiBio-Labor mit. Er wäre schon froh, sagt er, wenn es überhaupt „mehr praktische Angebote“ im Leben eines Gymnasiasten gäbe.

Damit hat Lorenzo ein Thema angeschnitten, das auch die Ecsite-Delegierten im Museo da Vinci beschäftigt: die Kooperation der Schulen mit den Museen und Science Centern. Viele davon haben bereits Laboratorien eingerichtet, in denen Kinder und Jugendliche selbst Hand anlegen dürfen. Doch nicht immer wird das Angebot von den Schulen so wie gewünscht genutzt – als Ergänzung zum naturwissenschaftlichen Unterricht, nicht als Ersatz dafür. Svantje Schumann, die junge Leiterin des Science House in Rust, bringt es so auf den Punkt: „Die Grundschullehrer kommen mit ihren Klassen zu uns, aber sie überlassen es uns, die Experimente zu machen, weil sie selbst sich das nicht trauen. Die Lehrer der höheren Schulen kommen eher nicht, weil sie der Ansicht sind, es sei keine Zeit übrig. Sie ziehen lieber den Stoff durch.“ So bleibt es für die Schüler meist bei der Theorie.

MUSS ES IMMER VIRTUELL SEIN?

Praxisferne scheint dagegen für die Leiter der europäischen Lern- und Erlebniszentren kein Problem zu sein. Viele Direktoren vertreten ihr Haus selbst und berichten von den neuesten Trends. In einem Workshop wird diskutiert, wie man mit Mitteln des Theaters und mit Multimedia-Shows „unvergessliche immersive Besucher-Erlebnisse“ schafft, zu komplexen Themen wie dem weltweiten Klimawandel beispielsweise. Doch ist allzu viel Virtualität überhaupt noch erwünscht? Gibt es nicht längst eine Sehnsucht nach den „realen Dingen“, originalen Fundstücken aus der Natur oder alten Maschinen, wie man sie nur noch im Museum findet? Oder will der Besucher vielleicht am liebsten selber basteln? Im Messebereich der Tagung schwärmt Axel Hüttinger, Ausstellungsbauer aus Schwaig bei Nürnberg, von einem Besuch im Ontario Science Center in Toronto (Kanada). Stundenlang habe sich dort sein Sohn mit einem „Exponat“ vergnügt, das dazu animiert, – Schuhe herzustellen. Aus herumliegenden Stoff- und Lederfetzen, die man zurechtschneidet und zusammenklebt – jedes Stück ein Unikat. Ist das vielleicht die Zukunft – lose Teile, die die Fantasie anregen, statt robuster Exponate zum Knöpfchendrücken?

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Klar ist: Die Szene ist in Bewegung. Man lernt voneinander: die klassischen Museen von der Didaktik der Science Center, die Science Center von den Inszenierungen der Themenparks à la Disneyland und umgekehrt. Jennifer Palumbo, die eine Befragung unter Ecsite-Mitglieder ausgewertet hat, nennt beeindruckende Zahlen: Schätzungsweise 40 Millionen Menschen, das sind knapp sechs Prozent der europäischen Bevölkerung, haben im Jahr 2007 zumindest eines der rund 400 europäischen Wissenschaftsmuseen besucht. Und es kommen stets neue dazu: Nicht nur in Heilbronn wurde gebaut, sondern demnächst auch in Hamburg, wo in der neuen Hafen-City eine auch architektonisch spektakuläre Kombination aus Science Center und Wissenschaftstheater entstehen soll. Deren Berater Günter Muncke staunte über das, was er in Mailand erfuhr: „In allen Teilen des Kontinents, gerade auch im Süden und Osten, entstehen neue, thematisch teilweise spezialisierte Wissenschaftszentren. Die gewachsenen, klassischen Zentren entwickeln sich weiter, gliedern neue Teile und Außenanlagen an, werden so auch zum Motor oder Mittelpunkt von Forschungslandschaften und Unternehmensansiedlungen.“

IN DEMOKRATISCHER MISSION

Doch nicht nur um die Wirtschaft geht es – und längst nicht mehr nur um Wissenschaft im klassischen Sinne. „Es geht jetzt immer mehr auch um soziale und kulturelle Fragen“, hat Muncke beobachtet. Die Ziele sind hoch gesteckt. „Soziale Verantwortung“ , „Empowerment“ (etwa Befähigung, Mitwirkungsmöglichkeit), „ bürgerschaftliches Engagement“, „Demokratie“, ja sogar die „ Menschenrechte“ hat man sich weltweit auf die Fahnen geschrieben und will diese hehren Ideale mit musealen Mitteln verwirklichen. Geradezu nüchtern formuliert dagegen Peter Trevitt, Geschäftsführer des „Techniquest“ in Cardiff (Wales) seine Aufgabe: „Ich will jeden Menschen in Wales mindestens einmal im Jahr erreichen, und alle Kinder im Alter zwischen sieben und elf Jahren dreimal im Jahr.“ Noch ist er weit davon entfernt, er steht gerade bei zwölf Prozent. Aber seine Besucherzahlen wachsen, sie verdoppeln sich jedes Jahr. Trevitt erreicht die Menschen im ländlichen Wales mit einfachen Mitteln: Er nutzt die lokale Infrastruktur, etwa Stadtbibliotheken oder Gemeindezentren, für Ausstellungen. Er spannt lokale Experten – pensionierte Lehrer, Ingenieure, Studenten – für Workshops und Führungen ein. Die Arbeit lohne sich, findet Trevitt: „ Wissenschaft ist ein wichtiges Gebiet. Es ist wichtig, Menschen in die Wissenschaft einzubeziehen.“ ■

von Judith Rauch

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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