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In jedem steckt ein kleiner Jazzer

Allgemein

In jedem steckt ein kleiner Jazzer

An den Musikunterricht in der Schule denkt so mancher mit Grausen zurück: Beim Vorsingen blamierte man sich entsetzlich, weil man die Töne nicht traf, und statt wohlklingender Melodien entfuhr dem bemühten Munde oft nur ein unartikuliertes Krächzen. Die lapidare Feststellung des Lehrers gab dann den Rest: „Du bist eben unmusikalisch.“ Falsch! Denn jeder Mensch ist in gewisser Weise musikalisch. Zu diesem erstaunlichen Ergebnis sind Wissenschaftler am Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung gekommen. Stefan Kölsch und sein Team spielten etwa 200 Versuchspersonen Akkorde von Bach bis Beethoven vor. Sie wurden vom Computer erzeugt und waren immer gleich lang und laut. Diese Dur- oder Mollakkorde versetzte Kölsch dann mit Dreiklängen aus einer anderen Tonart, so daß das Ganze „schief“ klang. Die Gehirnaktivität der Versuchspersonen wurde mit einem komplizierten System aus 64 Meßelektroden am Kopf überwacht. Tatsächlich wiesen die Forscher nach, daß auch scheinbar unmusikalische Menschen die falschen Akkorde eindeutig erkannten. Die schiefen Töne wurden im Gehirn anders verarbeitet als die richtigen. Kölsch vermutet: „Jeder Mensch in unserer Kultur hat eine Repräsentation des Dur-Moll-tonalen Systems im Kopf.“

Diese Ergebnisse könnten helfen, die Theorien des amerikanischen Wissenschaftlers David Huron zu untermauern. Der Musikprofessor an der Ohio State University in Columbus sagt: „ Möglicherweise hat Musik einen biologischen Ursprung und ist Teil der Evolution. Dann müßte es auch ein spezielles Musik-Gen geben – und wenn es das gibt, werden wir es finden.“ Zur Begründung seiner Theorie führt Huron vor allem die „Ubiquität“ von Musik an. Auf der ganzen Welt wurde schon immer musiziert. Es gibt keine Kultur, in der die Menschen nicht singen, trommeln oder mit anderen Instrumenten Töne erzeugen. „Musik nimmt im Dasein der Menschen einen sehr hohen Stellenwert ein. Selbst wenn niemand spielt, gehen einem oft Melodien im Kopf herum“, meint Huron.

Ähnlich argumentiert Sandra Trehub von der Universität im kanadischen Toronto. Sie verglich weltweit die Schlaflieder verschiedener Kulturen. Dabei fand sie heraus, daß diese überall gleich klingen und sofort als Schlaflieder erkennbar sind. Daher bezweifelt die Forscherin, daß diese Musik eine Erfindung des Menschen ist. Sie sei vielmehr „eine instinktive Form der Kommunikation zwischen Mutter und Kind, um eine emotionale Verbindung herzustellen“. Dem widerspricht der Biologe Steven Pinker. An ein Musik-Gen glaubt er nicht: „Musik wurde erfunden, weil sie Spaß macht. Vielleicht wurde sie entwickelt, um den Bewegungsdrang des Menschen zu befriedigen, vielleicht aber auch zunächst, um den Gesang der Vögel zu imitieren.“

Musikprofessor Huron hofft jetzt, daß die Entschlüsselung des menschlichen Genoms seine Thesen stützt – und damit auch ganze Generationen geplagter Schüler rehabilitiert.

Hans Groth

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