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ISO – Späher für kalten Staub

Allgemein

ISO – Späher für kalten Staub
Neue Einblicke in die kühle Geburt und den heißen Tod der Sterne: Mit seinen scharfsichtigen Infrarot-Augen schaut das Weltraumteleskop ISO durch die dichten Staubhüllen um neugeborene Sterne und entdeckte erstaunliche Phänomene: Vielleicht ist das Planetensystem der Sonne eine Rarität im All.

Seit zwei Jahren hat das Riesenauge des Weltraumteleskops ISO mit seiner 60 Zentimeter großen Pupille die turbulentesten Regionen im Universum eiskalt im Blick. Zusammen mit dem Kamera-Experiment ISOCAM, dem Photometer ISOPHOT und zwei Spektrometern wird es auf minus 270 Grad Celsius tiefgekühlt – das sind nur drei Grad über dem absoluten Nullpunkt -, um auch noch die schwächsten Reste von Wärmestrahlung aufzuspüren. Gut isoliert sind die Instrumente im Innern einer fünf Meter hohen „Thermoskanne“ untergebracht, zwischen deren Wänden 2300 Liter Kühlflüssigkeit zirkulieren: superflüssiges Helium.

Auf einer bis 70000 Kilometer weit ins All reichenden Umlaufbahn, fernab der für Wärmestrahlen undurchsichtigen Erdatmosphäre, schwingt das „Infrared Space Observatory“ (ISO) – so der Name des größten Astronomiesatelliten unter der Regie der Europäischen Weltraumagentur ESA – alle 24 Stunden einmal um den Globus. Der Auftrag: Mit seinen Staub- und Gaswolken durchdringenden Infrarot-Augen soll ISO bislang unzugängliche, eiskalte Regionen des Universums unter die Lupe nehmen – etwa jene, wo gerade neue Sterne und Planeten geboren werden.

Eine solche Sternenbrutstätte hat ISO im Trifid-Nebel entlarvt, einer rund 2300 Lichtjahre entfernten leuchtenden Ansammlung von Wasserstoffgas im Sternbild Schütze. Der Gasnebel hat bereits viele junge, sehr heiße und massereiche Sterne hervorgebracht, doch zeigen die ISO-Untersuchungen, daß sein Materievorrat noch für etliche weitere Generationen reicht.

Heute werden neue Sterne vor allem dort geboren, wo dunkle Wolkenbänder den Trifid-Nebel optisch dreiteilen und ihm so zu seinem Namen verhalfen. Deutlich treten auf den Infrarot-Aufnahmen von ISO mehrere hell leuchtende Knoten an diesen Stellen hervor: sehr dichte Staubregionen, die Wiegen künftiger Sterne.

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In einer anderen gas- und staubreichen Himmelsregion, im Sternbild Schlangenträger, kam Derek Ward-Thompson vom Royal Observatory in Edinburgh einer kugelförmigen Wolke auf die Spur, die kurz vor dem Kollaps zu einem neuen Stern steht. Daß L 1689 B, so die Bezeichnung des prästellaren Kerns, „sternenschwanger“ ist, zeigt die im Vergleich zur Umgebung leicht erhöhte Temperatur von minus 260 Grad Celsius. In dieser Hinsicht entspricht die Entwicklung des Stern-Embyros ganz den Vorhersagen der Astronomen.

Und doch verhält sich L 1689 B völlig anders, als es die Sternentstehungsmodelle erwarten lassen. „Unsere Ergeb-nisse widersprechen der bisherigen Annahme, daß ein prästellarer Kern schnell rotiert“, berichtete Derek Ward-Thompson auf der Tagung der Internationalen Astronomischen Union im August, wo die neusten ISO-Ergebnisse vorgestellt wurden.

Bisher gingen die Astronomen davon aus, daß eine kollabierende Gaswolke um so schneller rotiert, je rascher sich ihre Teilchen unter dem Einfluß der Schwerkraft zusammenziehen. Der Vorgang ähnelt der Situation eines Eiskunstläufers, der eine rasche Pirouette dreht, sobald er die Arme anzieht. Dafür sorgt ein physikalisches Gesetz: die Erhaltung des Drehimpulses.

Die widersprüchlichen Resultate bei den Beobachtungen an der protostellaren Wolke L 1689 B legen nahe, daß die Wissenschaftler in ihrem Modell etwas übersehen haben. Was das sein könnte, ist noch unklar.

Für eine weitere Überraschung sorgte ISO, als der niederländische Astronom Thijs de Graauw vom Weltraumforschungslabor in Groningen das Sternbaby Gl 2591 mit dem Kurzwellen-Spektrometer ins Visier nahm. Der Kokon, der den Protostern umgibt, enthält große Mengen Wasserdampf. Ihn muß der gerade erst aufflammende massereiche Stern buchstäblich ausgeschwitzt haben, glauben die Astronomen. In den äußeren, kalten Bezirken der Staubhülle identifizierte de Graauw sogar Wasserstoffzyanid-Eis, das zuvor noch nie im Weltraum gefunden wurde.

An einer anderen Stelle der Milchstraße haben französische Astronomen mit dem Infrarotteleskop noch mehr Exotisches ausgemacht: Eis, das stark mit Kohlenstoff-13 angereichert ist – eine seltene und schwere Spielart des normalen Kohlenstoffs.

Die von ISO gesammelten Daten machen einen langgehegten Traum der Astronomen realisierbar: eine komplette Bestandsaufnahme der gefrorenen, flüchtigen Stoffe im interstellaren Raum, um diese mit den im Sonnensystem vorkommenden Stoffen vergleichen zu können.

Damit ließen sich die Modelle von der Planetenentstehung überprüfen. Denn bislang gingen die Astronomen stillschweigend davon aus, daß die chemische Zusammensetzung, wie sie die Umgebung der Sonne aufweist, kosmischer Durchschnitt ist.

Wie stark Sterne ihre Nachbarschaft verändern können, weil durch die Kernfusion in ihrem Innern Wasserstoff in schwere Elemente umgewandelt wird, konnten die ISO-Wissenschaftler sogar live miterleben: Sie hatten ihre Meßinstrumente auf den Stern R Coronae Borealis ausgerichtet, einen altersschwachen Roten Riesen im Sternbild Nördliche Krone. Denn Amateurastronomen hatten gemeldet, daß der mit einem Fernglas normalerweise gut sichtbare Stern zusehends verblassen würde.

Das Infrarot-Spektrum des Riesensterns lieferte schließlich die Erklärung. Unverwechselbar – wie bei einem Fingerabdruck – zeichneten sich darin die typischen Spektrallinien von Kohlenstoff ab, genauer: von Ruß. „Wir haben den Stern beim Rauchen erwischt“, spottete Helen Walker vom Rutherford Appleton Laboratory in Chilton, die R Coronae Borealis mit dem ISO-Photometer unter die Lupe genommen hatte.

Tatsächlich hat der Rote Riese inzwischen fast seinen gesamten Wasserstoffvorrat verbraucht und produziert nun große Mengen von Kohlenstoff in seinem Kern. Dabei stößt der sterbende Riese dann und wann gewaltige Gasmassen aus feinsten Kohlenstoff-Teilchen aus. Bei einer solchen außergewöhnlichen Verfinsterung waren die Astronomen zufällig Augenzeugen geworden.

Die schwarzen Rußwolken verdunkeln aber nicht nur den Riesenstern. Sie reichern auch seine Umgebung mit Kohlenstoff an – jenem Element, das für das irdische Leben von so herausragender Bedeutung ist, weil auf ihm die organische Chemie beruht.

Unter den festen Bestandteilen, die ISO in den Rußwolken um ein halbes Dutzend alter Sterne aufgespürt hat, ist auch Olivin. Das magnesium- und eisenhaltige Silikat gehört auf der Erde zu den bedeutenden gesteinsbildenden Mineralien und wurde mit Hilfe des Infrarot-Teleskops auch im Staub des Kometen Hale-Bopp nachgewiesen.

Offenbar stammt das Olivin aus den Abgasfahnen sterbender Riesensterne, in denen sich schwere Elemente miteinander verbinden. Hier schließt sich der kosmische Recyclingprozeß, wenn die winzigen Mineralkörnchen der nachfolgenden Sterngeneration als Baumaterial für Gesteinsplaneten dienen. Auch dafür hat ISO Indizien gefunden.

Einem anderen, für die Entstehung von belebten Welten wichtigen Rohstoff ist der europäische Forschungssatellit ebenfalls auf die Spur gekommen. Im Licht, das die abgestoßenen Gashüllen eines alten, heißen Sterns im Planetarischen Nebel NGC 2027 aussenden, fand die Forschergruppe um Helen Walker den chemischen Fingerabdruck von Wasser – eine Überraschung, mit der niemand gerechnet hatte, „da es uns einfach zu unwahrscheinlich schien“, wie die britische Astronomin sagt.

Weil das Spektrum des Planetarischen Nebels auf große Mengen von Kohlenmonoxid hinweist, hatten die Theoretiker der Bildung von Wassermolekülen kaum eine Chance eingeräumt. In einer solchen Umgebung, so ihre Vorhersage, sollte sich der Sauerstoff bevorzugt mit Kohlenstoff verbinden. Für die Bildung von Wassermolekülen bliebe dann aber kein Sauerstoff mehr übrig.

Tatsächlich ist aber reichlich Wasserdampf vorhanden. Ob es sich dabei um einen allgemeingültigen Befund oder um einen seltenen Ausreißer handelt, müssen weitere Untersuchungen klären.

Silvia von der Weiden

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