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Jeder Forscher ein Unternehmer

Allgemein

Jeder Forscher ein Unternehmer
Wer bei Hoechst in die Forschung gehen will, ist gut beraten, wenn er sich frühzeitig mit Marketing und Betriebswirtschaft beschäftigt, erklärt Hoechst-Manager Richard Rupp.

Richard Helmut Rupp (Jahrgang 1947) leitet seit 1996 die „Corporate Research and Technology“ (Konzernforschung und Technologie) von Hoechst. Der promovierte Chemiker trat 1977 in das Unternehmen ein. Eine steile Karriere führte ihn über die Forschungsbereiche Pharma („auf meine 23stufige Totalsynthese von einem stabilen Prostacyclin bin ich immer noch furchtbar stolz“) und Feinchemikalien schließlich 1995 an die Spitze der Zentralforschung, die aber zum 1. April 1996 aufgelöst und in „Corporate Research and Technology“ umgewandelt wurde. Grund dafür war die Überlegung, neben der eng an die Geschäftsbereiche angegliederten Forschung eine Einheit zu schaffen, die sich um die Erneuerung des Technologiebestands kümmert.

bild der wissenschaft: Ihr Unternehmen hat in den letzten Jahren die Forschung mehrmals umstrukturiert. Hat das Hoechst-Management Probleme, ein zukunftsorientiertes Konzept zu finden, Herr Dr. Rupp?

Rupp: Hoechst hat die Organisation verändert – weg vom regionalen Denken, hin zum globalen Handeln. Unsere Business Units agieren weltweit. Deshalb haben wir auch die Forschung umstrukturiert. Auftrag der sogenannten Corporate Research and Technology ist es, neu aufkommende Technologien weltweit zu beobachten. Darauf aufbauend bewerten wir diese Technologien. Erkennen wir nach den ersten beiden Stufen der Beobachtung und Bewertung, daß eine bestimmte Technologie für uns wichtig werden könnte, starten wir eigene Projekte. Dabei ist es weniger wichtig, daß unsere Arbeit zu einer Publikation führt, als daß sie zu einem Geschäft wird, das Arbeitsplätze schafft oder sichert.

bild der wissenschaft: Soll das heißen, daß Hoechst nur noch forscht, um ein bestehendes Geschäftsfeld auszuweiten?

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Rupp: Nicht ganz. Sollte ein vielversprechender Pfad noch nicht zu einer bestehenden Business Unit passen, versuchen wir in der Abteilung „Neue Geschäftsentwicklung“ das Geschäft in den Segmenten Produktion, Marketing, Vertrieb anzukurbeln.

bild der wissenschaft: Wie unterscheidet sich die aktuelle Hoechst-Forschung denn von der früheren?

Rupp: Unsere Entwicklungen müssen so ausgerichtet sein, daß die Ergebnisse beim Anwender einfach und kostengünstig eingesetzt werden können. Dazu ist es wichtig, daß sich die Kooperationspartner gegenseitig in die Karten schauen lassen. Nur wer versteht, unter welchen Bedingungen seine Produkte eingesetzt werden, ist in der Lage, preisgünstige Problemlösungen vorzuschlagen.

bild der wissenschaft: Wie viele Stellen in Forschung und Entwicklung hat der Hoechst-Konzern durch diesen innovativen Forschungsansatz 1996 geschaffen?

Rupp: Wir steuern die Forschung nicht über die Köpfe. Wir überlegen, welche Vorhaben für uns wichtig sind. Erst wenn wir das wissen, werden wir aktiv und stellen ein. Wenn der Hintergrund Ihrer Frage aber sein sollte, ob wir Forscherstellen ins Ausland verlagern, weil uns das weniger kostet, muß ich Sie enttäuschen. Dieser Aspekt spielt bei der strategischen Ausrichtung der Forschung eine untergeordnete Rolle.

bild der wissenschaft: Ihre Motivation ist ehrenwerter?

Rupp: Unser Auslandsbudget steigt nicht deshalb, weil wir hier die Forschung schließen und woanders neu eröffnen. Die Expansion ist vor allem durch Zukauf anderer Firmen bedingt. Dabei haben wir Forschungs- und Entwicklungsabteilungen miteingekauft. Desweiteren halten wir es für immer wichtiger, dort zu forschen, wo der Markt ist. Wenn wir für die Elektronik-Industrie ein kompetenter Partner sein wollen, müssen wir zu den führenden Produzenten gehen, also in die USA oder nach Japan.

bild der wissenschaft: Bekommen Sie in Japan so flexible Mitarbeiter, wie Sie suchen? Also Forscher, die auch in Produktion, Marketing und Vertrieb firm sind?

Rupp: Als wir dort 1984 starteten, haben wir in der Tat sehr stark auf Forscher gesetzt, die wir aus den USA oder Deutschland dorthin delegierten. Diese Mitarbeiter rekrutierten dann japanische Forscher. Das war nicht einfach, weil wir dort natürlich nicht eine erste Adresse sind wie in Deutschland. Unsere Pioniere sind deshalb erst einmal in die Hochschulen gegangen, wo sie für unser Unternehmen geworben haben. Wichtig für unsere Akzeptanz war, daß wir zu dem standen, was wir bei der Einstellung versprachen. Als die Japaner sahen, daß wir so agieren, wie sie es von japanischen Unternehmen gewöhnt sind, ließ die Skepsis nach. Inzwischen arbeiten in unserem Forschungszentrum Kawagoe bis auf eine Ausnahme nur noch Japaner.

bild der wissenschaft: In den USA ist diese Akquise bestimmt einfacher.

Rupp: Selbst dort müssen wir uns systematisch bei den akademischen Einrichtungen präsentieren – schon deshalb, weil sich das Verhältnis Hochschule zu Industrie in der US-Chemie völlig von dem unterscheidet, was in Europa Usus ist. In der deutschen Chemie verstehen sich die Hochschulen als Lieferanten von Wissen. Und die Unternehmen verstehen sich als Institutionen, die das Wissen aufgreifen und anwenden. Das ist Technologietransfer im besten Sinne.

bild der wissenschaft: Ich höre immer wieder, daß die USA unser Vorbild in Sachen Technologietransfer seien.

Rupp: Nicht unbedingt bei der Chemie. US-Hochschullehrer begreifen sich als Unternehmer. Sobald sie eine Vorstellung davon haben, was aus einer Entwicklung einmal werden könnte, gründen sie eine Wagniskapital-Firma. Zu einem informellen Gedanken- und Ideenaustausch mit US-Professoren kommt es deshalb nur selten. Aus diesem Grund müssen wir als Konzern attraktive Programme und Partnerschaftskonzepte offerieren, um überhaupt als Gesprächspartner der Hochschulforscher in Frage zu kommen.

bild der wissenschaft: Sie kennen inzwischen genügend US-amerikanische, japanische und mitteleuropäische Forschergruppen. Charakterisieren Sie doch einmal die Unterschiede, Herr Dr. Rupp.

Rupp: In den USA ist die Bereitschaft, neue Aufgaben unvoreingenommen und unternehmerisch anzupacken, viel ausgeprägter. In Europa tendiert man dazu, Argumente, die für oder gegen eine Sache sprechen, erst einmal zu prüfen, ehe man sich ans Werk macht. Ich bin weit davon entfernt, das eine als gut und das andere als schlecht darzustellen. Von einem bin ich allerdings überzeugt: Wer diese beiden Forscherkulturen mischt, steigert die Effizienz. Genau das tun wir, indem wir Amerikaner nach Deutschland holen und Deutsche in die USA schicken.

bild der wissenschaft: Setzen Sie diese nationalen Eigenheiten strategisch ein?

Rupp: Wenn wir meinen, daß man rasch mit einem Projekt in Richtung Marktentwicklung loslegen muß, bin ich schon geneigt, einen Amerikaner zum Leiter zu machen. Wenn wir dagegen ein Vorhaben noch in den Wolken schweben sehen, kommt eher ein Europäer zum Zug.

bild der wissenschaft: Was charakterisiert japanische Forscher?

Rupp: Die japanische Gesellschaft ist durch einen sehr starken Zusammenhalt geprägt, durch Harmonie in der Gruppe und Konsensfindung. Diese Merkmale zeichnen auch die dort aufgewachsenen Forscher aus. Wenn man jetzt einen amerikanischen Unternehmer in eine solche Kultur bringt, wird der ungeduldig. Dies zum Wohle des Unternehmens, also ergebnisorientiert zu managen, finde ich spannend.

bild der wissenschaft: Nach welchen Kriterien wählen Sie Forscher aus?

Rupp: Wir verfahren nach einem dreistufigen Konzept: Einstellung – Weiterbildung – Erweiterung des Erfahrungshorizonts.

bild der wissenschaft: Geht das konkreter?

Rupp: Zu unserer Unternehmensphilosophie gehört, daß bei uns niemand eine wirklich leitende Funktion erreicht, der nicht in einer anderen Kultur gearbeitet hat. Wichtig ist das Verständnis, daß andere Kulturen Dinge anders erledigen – und dennoch zum gleichen Ziel kommen. Diese Sensitivität bekommt nur jemand, der in einem fremden Umfeld tätig war und auch dort gelebt hat. Zweitens stelle ich niemanden nur aufgrund seiner fachlichen Qualifikation ein. Wir suchen also nicht den Naturwissenschaftler alter Prägung, sondern Leute, die sich ausgehend von einer technischen Basis weiterentwickeln wollen. Zu dieser Weiterbildung gehört, daß sich Wissenschaftler mit Marketing, Betriebswirtschaft und Organisationsverhalten auseinandersetzen.

bild der wissenschaft: Ist jeder Hoechst-Forscher ein Unternehmer?

Rupp: So kann man das sehen. Diese Mitarbeiter kommen zu unserem Management-Komitee mit einer Idee. Um daraus ein Projekt zu machen, müssen sie Marktdaten und Argumente liefern, warum ihnen gerade diese Idee wirtschaftlich sinnvoll erscheint. Wenn uns die Argumentation überzeugt, bekommt der Mitarbeiter von uns ebenso Geld wie ein selbständiger Unternehmer, der seine Bank argumentativ überzeugt. Das Management-Komitee hat primär also keine Überwachungsfunktion. Vielmehr verstehen wir uns als eine Instanz, die unternehmerisch denkenden Forschern den Weg ebnen hilft – oder aber zum Projektabbruch rät, wenn sich die Dinge anders entwickeln als gedacht.

Richard Helmut Rupp / Wolfgang Hess

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