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KAT, PET UND DER RÜSSEL

Allgemein

KAT, PET UND DER RÜSSEL
Am 1. Dezember verleiht Bundespräsident Christian Wulff den Deutschen Zukunftspreis 2010. Nominiert sind drei findige Forschungsteams.

Ein Bündel von schlanken blauen Stelen, die grazil aus einem silbernen Stumpf emporragen, gilt als Krönung für die Forscherzunft in Deutschland: der Deutsche Zukunftspreis, der in diesem Jahr zum 14. Mal verliehen wird. Bei einer festlichen Veranstaltung im Berliner Tempodrom entscheidet sich, welches der drei nominierten Forschungsteams die Jury dieses Jahr am meisten überzeugt hat. (Lesen Sie dazu auch „Zur Sache“ auf Seite 3.)

Ferdi Schüth, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohleforschung in Mülheim an der Ruhr, sowie den Forschern der Heidelberger hte AG um Dirk Demuth und Wolfram Stichert ist ein Durchbruch bei der Katalysatorforschung gelungen. Die Forscher haben eine Technologie entwickelt, mit der zahlreiche Katalysatoren gleichzeitig getestet werden können, sodass sich rasch der passende Katalysator für einen chemischen Prozess finden lässt. Dadurch kann man neue leistungsfähige Katalysatoren bis zu 100 Mal so schnell und damit auch deutlich kostengünstiger herstellen als bisher. Dabei geht es nicht nur um Abgas-Katalysatoren, die im Auto für einen geringeren Schadstoffausstoß sorgen. Katalysatoren kommen bei fast allen chemischen Reaktionen zum Einsatz – etwa bei der Herstellung von Benzin oder Düngemitteln, die sie beschleunigen. „Die Katalyse ist eine Effizienztechnologie, denn sie sorgt dafür, dass in der chemischen Produktion weniger Ressourcen verbraucht werden“, erklärt Ferdi Schüth. „Außerdem führen Katalysatoren dazu, dass möglichst viel von den Stoffen entsteht, die man sich wünscht – und möglichst wenige Abfälle anfallen.“

Mit ihrer neuen Technologieplattform können die Forscher viele Katalysatoren parallel in einem Hochdurchsatzverfahren testen. Seine Basis ist die sogenannte Parallelreaktortechnik, bei der mehrere Dutzend einzelne Rohre zum Einsatz kommen, durch die das Reaktionsmedium strömt. „Man kann sich das System wie einen großen Metallblock mit etwa 50 parallelen Kanälen vorstellen“, sagt Schüth. „Jeder Kanal beinhaltet einen anderen Katalysator, sodass sich verschiedene Katalysatoren gleichzeitig untersuchen lassen.“ Bei den Tests ist jedoch entscheidend, dass in jedem Reaktor dieselben Bedingungen herrschen, sonst sind die Wirkungen der Katalysatoren nicht vergleichbar. Um die Messdaten auszuwerten, hat das Team um Schüth, Demuth und Stichert neben der Parallelreaktortechnik innovative Analysemethoden und eine spezielle Software entwickelt.

„Unser Ziel war es, einen Katalysator für beliebige Prozesse möglichst schnell für unsere Kunden zu verbessern“, berichtet Demuth. „Darauf kommt es an: gezielt ein bestimmtes Material zu finden, zu optimieren und an den Kunden weiterzugeben.“ Für Industrie und Klimaschutz ist die Technologie von elementarer Bedeutung. Sie unterstützt etwa Automobil-Ingenieure bei der Entwicklung schadstoffarmer Fahrzeuge. Außerdem können Materialien, die für den Antrieb von Elektroautos benötigt wer- den, damit rascher identifiziert werden. Und: Parallelisierte Katalysatortests helfen, schneller geeigneten Ersatz für Erdöl durch nachwachsende Rohstoffe zu finden. So spielen Katalysatoren eine wichtige Rolle dabei, Biomasse in Kraftstoff umzuwandeln. Aktuell arbeiten die Forscher an einem Kat, mit dem sich aus Erdgas Methanol herstellen lässt. Dadurch ließe sich Erdgas dort abtransportieren, wo sich der Bau einer Pipeline nicht lohnt. „Es geht uns um die Art und Weise, wie sich die Energieversorgung in Zukunft neu gestalten lässt“, sagt hte-Forscher Stichert. „Wir wissen, dass Rohöl knapp wird und sehen die Umweltbelastung in vielen Bereichen. Was wir tun, schafft Lösungen dafür.“

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Sauber und sortenrein

Einen wichtigen Beitrag zur Schonung von Ressourcen leisten auch die Forscher Gunther Krieg, Dirk Fey und Jürgen Bohleber von der Karlsruher Firma Unisensor Sensorsysteme. Sie haben eine Technologie entwickelt, mit der Kunststoffe – etwa von PET-Flaschen – beim Recycling sauber und sortenrein getrennt und somit wiederverwertet werden können. Die Reduzierung der Abfallmenge kommt der Umwelt zugute. Außerdem wird weniger Erdöl zur Herstellung der Kunststoffe verbraucht – der Ausstoß an CO2 sinkt also. Mit bisherigen Methoden ist eine zuverlässige Sortie- rung von Kunststoffen kaum möglich, weil gemischte Recyclingströme nicht nur Wertstoffe, sondern häufig auch Fremdstoffe oder Kunststoffe mit giftigen Substanzen enthalten. Herkömmliche, meist kamerabasierte Systeme können die Fremdstoffe oft nicht zuverlässig identifizieren.

Doch dank des Sortiersystems „Powersort 200″ von Unisensor lassen sich nun sogar kleinste und bisher nicht erkennbare Fremdstoffe ausklauben. Das System arbeitet mit einem leistungsstarken Laser, der die Kunststoff-Partikel im Recyclingstrom beleuchtet und optisch „anregt“. Anhand des Lichts, das die Moleküle der Kunststoffe in Form eines „optischen Fingerabdrucks“ aussenden, lassen sich die Materialien identifizieren. Dazu wird das Licht von Sensoren aufgefangen und analysiert. So lassen sich Wertstoffe zuverlässig von Fremdstoffen unterscheiden. Sobald das System ein Partikel als Fremdstoff erkennt, pusten ihn Druckluftdüsen fort. „Bei diesem Verfahren wird jeder Partikel mehrfach untersucht“, erklärt Bohleber. „Dadurch können wir selbst in PET-Bruchstücken erkennen, ob es lokal verunreinigte Stellen gibt.“ Das neue Sortiersystem ermöglicht das lebensmitteltaugliche Recycling von Kunststoff. Das bedeutet: Der Kunststoff ist am Ende so rein, dass sich das recycelte Material ohne Risiko für die Gesundheit der Verbraucher zu 100 Prozent wiederverwerten lässt – etwa zu neuen Getränkeflaschen.

Coca-Cola WOLLTE DEN LASERSORTIERER

Das effektive Sortiersystem wird bereits in mehreren europäischen und US-amerikanischen Recycling-Anlagen eingesetzt, beispielsweise in einem Betrieb der Coca-Cola Company in den USA. „Anfangs hielten wir den Ball flach, weil wir zwar die Maschine hatten, es aber nicht so einfach war, sie in kürzester Zeit in Serie zu produzieren“, beschreibt Dirk Fey die Anfänge der Powersort-Serienentwicklung. „Doch die Anfragen kamen aus der ganzen Welt.“ Seit einem Jahr ist das Karlsruher Unternehmen mit Powersort aktiv im Markt. Derzeit übertragen die Forscher ihre Technologie und ihr Know-how auf andere industrielle Bereiche. So wird das Sortiersystem im Automobil- oder Elektronikschrott-Recycling zum Einsatz kommen. „Die Gehäuse von Fernsehern, Druckern, PCs und Fahrzeug-Armaturentafeln bestehen aus verschiedenen Stoffen“, sagt Krieg. „Unser aktuelles Projekt ist das Recycling von solchen gemischten Stoffen – etwa aus geschredderten Armaturenbrettern.“

Ein für die Industrie ebenso bahnbrechendes Projekt können Peter Post und Markus Fischer mit ihrem Team von der Esslinger Firma Festo sowie Andrzej Grzesiak vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart vorweisen. Der von den Forschern entwickelte flexible Greifarm – der „Bionische Handling-Assistent“ – kann nicht nur Wartungs-, Montage- oder Reinigungsarbeiten in produzierenden Betrieben übernehmen. Auch wenn es ums Sortieren von Lebensmitteln oder um die Obsternte geht, lässt sich der mechatronische Helfer einsetzen. Die Zukunftsvision ist, dass der Handhabungs-Assistent, der bislang als Prototyp existiert, älteren oder kranken Menschen im Alltag hilft, zum Beispiel indem er ihnen Essen, Getränke oder Medikamente reicht – und ihnen so länger ein eigenständiges Leben ermöglicht.

Bei der Entwicklung des äußerst beweglichen Helfers haben sich die Forscher am einem Elefantenrüssel orientiert. Der verfügt über mehr als 40 000 Muskelfasern, mit denen er sich flexibel in jede Richtung bewegen und rotieren kann. Der Bionische Handling-Assistent hat fast dieselben vielseitigen Fähigkeiten. „ Er kann zwar nicht rotieren, schafft es aber, sich von 70 Zentimeter auf 1,10 Meter zu verlängern und um die Ecke herum zu greifen“, erklärt Fischer. „Dazu ist der Arm zweiachsig verkrümmt. Ein Standard-Industrieroboter kann das nicht leisten.“

DER SANFTE GREIFARM

Durch seine Feinfühligkeit ist der Hightech-Assistent auch in der Lage, seine Kraft beim Greifen eines Gegenstands genau zu dosieren. So kann er bei rohen Eiern oder Tomaten sanft zufassen, aber auch ein Glas Wasser anheben. Ebenso sachte geht er mit Tieren und Menschen um. Kommt er mit einem Menschen in Berührung, ist das kein Problem: Das System gibt nach. Dadurch kann man mit dem Greifarm ohne Risiko arbeiten. Seine „Nachgiebigkeit“ verdankt der künstliche Rüssel vor allem einem pneumatischen Antrieb und einer innovativen Leichtbauweise, die außerdem Energie spart. „Mit der Pneumatik als Antriebstechnologie lassen sich Leichtbau und Energieeffizienz erst realisieren“, betont Peter Post. „Dadurch verbraucht der Handling-Assistent nur einen Bruchteil der Energie eines herkömmlichen schweren Handhabungssystems.“ Dank der schnellen und kostengünstigen Fertigungsverfahren ist der Festo- Helfer auch deutlich preiswerter: „Klassische Systeme kosten etwa 120 000 bis 200 000 Euro“, sagt Post, „unser neues System aber nur einen Bruchteil davon.“ In der Industrie soll der Bionische Handling-Assistent etwa in der Montage, bei der Inspektion und Qualitätsprüfung von Maschinen zum Einsatz kommen. Auch bei der Instandhaltung kann der künstliche Rüssel wertvolle Dienste leisten. Und eben auch älteren oder behinderten Menschen zur Hand gehen: „Stellen Sie sich vor, es gäbe diesen Assistenten in Behindertenwerkstätten. Damit ließe sich behinderten Kindern ein Werkzeug anbieten, das ihr Leben einfacher macht – und vom Design her etwas Nettes darstellt“, schwärmt Andrzej Grzesiak.

Die Ideen für neue Projekte und Entwicklungen scheinen den nominierten Forscherteams so schnell nicht auszugehen. Doch am 1. Dezember stehen sie zunächst vor einer anderen Herausforderung. Dann erfahren sie, wer den mit 250 000 Euro dotierten Deutschen Zukunftspreis, den 1997 Roman Herzog ins Leben rief und der von allen nachfolgenden Bundespräsidenten gerne weitergeführt wurde, in diesem Jahr mit nach Hause nehmen darf. Über die Vergabe entscheidet eine unabhängige zehnköpfige Jury von Fachleuten. Bundespräsident Christian Wulff überreicht den Preis zum ersten Mal. „Die mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichneten Projekte stehen für einen Erfindungsreichtum, der dazu beiträgt, das Leben der Menschen zu verbessern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und unseren Wohlstand zu sichern“, sagt Wulff. „Sie stehen für einen Fortschritt, der den Menschen dient.“ ■

Caroline Leibfritz ist freie Redakteurin. Die Stuttgarterin berichtet regelmäßig über Forschungspreise.

von Caroline Leibfritz

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