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Kein Nutzen erkennbar

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Kein Nutzen erkennbar

Das Image des mechanischen Operationsassistenten Robodoc hat stark gelitten: Der Roboterarm, der bei Hüftoperationen eine Höhlung in den Oberschenkelknochen fräst, verursache schwere Schäden an den Gesäßmuskeln und den zugehörigen Nerven – so lautet einer der Hauptvorwürfe, die seit gut einem Jahr in den Medien die Runde machen. Die Patienten würden regelrecht „ ausgebeint“, schrieb der „Spiegel“ im Mai 2003. Der Vorsitzende der niederländischen Orthopädenvereinigung, Cornelus van Dijk, warnte kürzlich seine Landsleute, sich wegen der Gefahr „nicht wieder gutzumachender Schäden“ auf keinen Fall in Deutschland von Robotern operieren zu lassen.

Seit 1994 assistiert Robodoc in deutschen Krankenhäusern bei Hüftoperationen. Der Pionier in Deutschland war Prof. Martin Börner, ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) in Frankfurt am Main. Er hat mittlerweile weltweit die größte Erfahrung: Mehr als 6000 robotergestützte Hüftoperationen fanden in seinem Haus statt. Für ihn ist Robodoc nach wie vor die Methode der Wahl: „Bei manuellen Operationen treten beim Einsetzen der Prothesenschäfte bei bis zu 15 Prozent der Patienten Knochenanrisse auf, und etwa ein Fünftel aller Prothesen sitzt nicht exakt im Knochen.“ Das Robodoc-Verfahren hingegen, so Börner, löse durch extrem gute Übereinstimmung zwischen gefräster Knochenkante und Prothesenform diese Probleme. Daher habe er sich vor zehn Jahren für diese Technik entschieden und sei heute noch sehr zufrieden.

Den Vorwurf, Robodoc verursache Nerven- und Muskelschäden, will Börner nicht stehen lassen. Seit einer Umstellung der Software und der Verwendung anderer Prothesen seien diese anfänglichen Schwierigkeiten nicht mehr aufgetreten. Heute seien die Narben nach seinen Operationen nicht länger als bei der herkömmlichen Technik, und seine Patienten könnten dank des guten Sitzes der Prothesen viel schneller wieder aufstehen – mit deutlich weniger Schmerzen als sonst. „Bei unseren hohen Patientenzahlen gibt es natürlich auch Unzufriedene, die alle Komplikationen auf die Technik schieben. Doch alle bisherigen Folgeschäden sind seit Jahren bei Hüftoperationen bekannt und in Fachbüchern beschrieben.“

In diesem Punkt assistiert ihm Prof. Werner Hein, Direktor der Universitätsklinik für Orthopädie in Halle an der Saale. Auch bei ihm kam es nach Prothesen- und Software-Umstellung zu keinen spezifisch roboterbedingten Komplikationen. Doch die Euphorie seines Frankfurter Kollegen teilt er nicht: Nach etwa 200 von Robodoc unterstützten Operationen beschloss Hein, nicht mehr mit dem mechanischen Assistenten zu arbeiten. „Es lohnt sich schlicht und einfach nicht“, ist seine Erfahrung. Selbst wenn alles optimal laufe, arbeite das System vom Ergebnis her nicht besser als ein erfahrener Chirurg – aber teurer und langsamer. Die höhere Präzision, auf die Börner so viel Wert legt, ist für ihn kein Argument: „Die Vorstellung, wenn etwas genauer passe, müsse es auch besser sein, ist falsch. Es geht hier um lebendes Gewebe, das aktiv auf den Eingriff reagiert, und nicht um irgendwelche Industriebauteile.“

Den Umgang der Presse mit Robodoc kritisiert Hein aufs Schärfste: „Erst wurde der Roboter in den Himmel gelobt. Daher kauften viele Ärzte das System, und die Patienten ließen sich in Scharen operieren. Nur ein paar Jahre später ist Robodoc angeblich extrem gefährlich. Beides ist nicht in Ordnung.“

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Hein fordert: Damit neue Systeme nicht derartig ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, müsse deren Eignung vor dem breiten Einsatz unbedingt an einigen wenigen Zentren unter wissenschaftlicher Kontrolle getestet werden. In den USA sei dies längst üblich. In den Vereinigten Staaten ist Robodoc übrigens bis heute nicht zugelassen. Begründung: Ein Nutzen dieser Technik sei nicht erkennbar.

Ilka Lehnen-Beyel

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