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Krustenfraß in der Karibik

Allgemein

Krustenfraß in der Karibik
Forschungsbohrungen vor Costa Rica haben ergeben: Die Erdplatte, auf der Mittelamerika ruht, wird an ihrem Westende Stück für Stück abgenagt.

Der Pazifikboden vor der Küste Costa Ricas ist ein ungemütliches Fleckchen Erde. Immer wieder erschüttern starke Beben die Region. Denn hier prallen – angetrieben durch Kräfte aus dem Erdinnern – zwei Platten der Erdkruste aufeinander: Die Cocos-Platte stößt von Westen her wie ein Rammbock gegen die karibische Platte und taucht dann vor der mittelamerikanischen Küste unter sie ab. Dabei wird, so eine Arbeitsgruppe um Dr. Martin Meschede von der Universität Tübingen, die karibische Platte an ihrem Westende unaufhörlich von unten her abgehobelt. Das abgeschürfte Material wandert anschließend wie auf einem Förderband mit der abtauchenden Cocos-Platte in die Tiefe. Nach den Berechnungen von Meschede werden so pro Jahr und Kilometer rund 50 Kubikmeter karibische Kruste verschluckt. Das entspricht in etwa dem Rauminhalt eines mittelgroßen Zimmers. Der Materialschwund, der seit mindestens 14 Millionen Jahren andauert, blieb nicht ohne Folgen: Weil ihr von unten her immer mehr weggenommen wurde, dehnte sich die Kruste zum Ausgleich aus, wurde dünner und sank schließlich ab. Das tat dann auch der gesamte Meeresgrund. Diese Erkenntnisse sorgen für Wirbel. Denn sie kippen das geltende plattentektonische Modell für das Gebiet. Bisher wurde angenommen, daß die karibische Platte entlang der Kollisionszone wächst: Da sie wie ein Schaber über die abtauchende Cocos-Platte schrammt und dabei den antransportierten Ozeanboden abschürft, sollte dieser Schuppe für Schuppe von unten angekittet werden. Dieser Prozeß wird Akkretion genannt, und „ Costa Rica wurde als ein Paradebeispiel dafür angesehen“, betont Meschede. Der Tübinger Forscher kam dem Irrtum auf die Spur, als er Bohrdaten des amerikanischen Forschungsschiffs Joides Resolution unter die Lupe nahm. Das hatte rund 60 Kilometer von der costa-ricanischen Halbinsel Nicoya entfernt Gesteine vom Grund des Pazifiks geholt, die normalerweise in Küstennähe gebildet werden.

Meschede verglich die Proben mit Sedimenten, die aktuell an der Küste Nicoyas gebildet werden, und stellte eine hohe Übereinstimmung fest. Jetzt allerdings liegen sie in 3950 Meter Tiefe. Meschede erklärt das mit einer enormen Absenkung des Meeresbodens. Die wiederum sei nur möglich, wenn die Kruste, die den Meeresboden bildet, durch Erosion von unten her ausgedünnt werde. Mit weiteren Untersuchungen untermauert Meschede seine Interpretation. Zum einen stützt er sich auf eine Bohrung direkt an der Kollisionszone, die beide Platten durchstößt. Sie zeigt deutlich, daß hier keine Akkretion stattfindet. Denn die beiden Platten sind sauber voneinander getrennt, es wurden keine angeschuppten Ozeanboden-Stücke gefunden. Zum anderen lieferten geophysikalische Untersuchungen, bei denen der Untergrund wie beim Röntgen durchleuchtet wurde, einen weiteren Beweis für die Dehnung. Demnach ist der untere Bereich der karibischen Kruste in einzelne Blöcke zerstückelt, die in Richtung Kollisionszone gekippt sind. Meschede vergleicht das mit einem Bücherregal: „ Nimmt man an einer Seite die Stütze weg, können sich die Bücher ausbreiten und kippen um“, erklärt er. Nach seinen Berechnungen liegt der Dehnungsbetrag bei rund zehn Prozent. Zwar sind solche Vorgänge grundsätzlich bekannt. Doch Geologe Meschede vermutet, daß sie auch noch an einigen anderen der weltweit auftretenden Kollisionszonen eine Rolle spielen, wo man sie bisher nicht vermutet.

Astrid Staesche

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