Li Tai-bo (701 bis 762), einer der größten chinesischen Poeten, verfasste das Gedicht „Nachtgedanken“, das – wörtlich übersetzt – folgendermaßen lautet:
„Bett davor hell Mond Strahl
zweifeln ist Erde darauf Frost
heben Kopf aufblicken hell Mond
senken Kopf denken alt Heimat“
Wie unterschiedlich die Worte im Deutschen interpretiert werden können, zeigen folgende Übersetzungen:
Vor meinem Bette ich Mondschein seh‘,
als wär‘ der Boden bedeckt mit Schnee.
Ich schau zum Mond auf, der droben blickt,
der Heimat denkend das Haupt mir sinkt. Alfred Forke(1867 bis 1944)
Vor meinem Bette das Mondlicht ist so weiß,
dass ich vermeinte, es sei Reif gefallen.
Das Haupt erhoben schau ich auf zum Monde,
das Haupt geneigt denk ich des Heimatdorfs. Günter Eich (1907 bis 1972)
In fremdem Lande lag ich. Weißen Glanz
malte der Mond vor meiner Lagerstätte.
Ich hob das Haupt – ich meinte erst, es sei der Reif der Frühe, was ich schimmern sah,
dann aber fühlte ich: der Mond, der Mond!
Und neigte das Gesicht zur Erde hin,
und meine Heimat winkte mir von ferne.
Hans Bethge (1876 bis 1946)
Von meiner Bettstatt lag wie Reif so weiß
des Mondlichts mitternächtiges Gegleiß.
Ich hob das Haupt – der Mond schien voll und blank –
und ließ es wieder sinken, heimwehkrank.
Manfred Hausmann (1898 bis 1986)
Vor meinem Bette spielt ein weißes Licht.
Ist es der Morgen schon? Ich weiß es nicht.
Und wie ich zweifelnd hebe mein Gesicht,
seh‘ ich den Mond, der durch die Wolken bricht.
Da muss ich mich zurück aufs Lager senken
und heimatlos an meine Heimat denken.
Vincenz Hundhausen (1878 bis 1955)
Zu meiner Lagerstätte scheint licht der Mond herein,
bedeckt mit fahlem Glanze wie kalter Reif den Rain.
Ich heb das Haupt und blicke empor zum lichten Mond,
drauf laß ich’s wieder sinken und denk der Heimat mein.
Wilhelm Grube (1855 bis 1908)