Bei den meisten Hörern vermischen sich die zwei Violinstimmen im Finale der 6. Symphonie von Tschaikowsky (Pathètique) zu einer einheitlichen, harmonischen Melodie. Nicht aber beim damaligen Star-Dirigenten Arthur Nikisch, der dieses Stück Ende des 19. Jahrhunderts aufführen sollte. Nikisch verlangte sogar von Tschaikowsky, die Passage umzuschreiben. Doch der Maestro weigerte sich, worauf Nikisch das Stück ganz neu inszenierte – seinen Ohren wohlgefällig.
„Musik wird nicht von allen Menschen in gleicher Art und Weise wahrgenommen“, kommentiert Diana Deutsch, Professorin an der kalifornischen Universität in San Diego, und meint dabei nicht die ästhetischen Präferenzen. Bei ihrer Forschung an akustischen Illusionen entdeckte sie ungewöhnliche Zusammenhänge: „Wie Musik auf uns wirkt, ist zum Beispiel abhängig davon, ob wir Rechts- oder Linkshänder sind, oder mit welcher Muttersprache wir aufgewachsen sind.“
Die ersten musikalischen Illusionen kamen Deutsch mit dem Einzug der Synthesizer in den siebziger Jahren zu Ohren: „Hierbei gaukelt uns das Gehirn falsche Tatsachen vor, ähnlich wie bei den bekannten optischen Täuschungen.“ Nur, daß die Reize nicht über die Augen, sondern über die Ohren aufgenommen werden. So produzierte Roger N. Shepard damals eine Tonfolge, die sich endlos wiederholt und beim Zuhörer den Eindruck hinterläßt, als würde die Sequenz in grenzenlose Klanghöhen steigen.
„Akustische Phänomene sind verglichen mit den komplexen, meist künstlerischen optischen Illusionen unglaublich einfach“, meint Deutsch und verweist auf einen Trick aus ihrer Musikkiste namens „Oktaven-Illusion“: Dem Zuhörer werden über Stereokopfhörer abwechselnd zwei Töne vorgespielt, die eine Oktave voneinander entfernt sind. Sobald der hohe Ton im rechten Ohr erklingt, bekommt gleichzeitig das linke Ohr den tiefen Ton vorgespielt, und umgekehrt. Doch dieses einfache Muster erkennt kaum jemand.
Die meisten Menschen nehmen den höheren Ton immer im rechten Ohr wahr, auch dann, wenn die Kopfhörerseiten vertauscht werden. „Dieser akustischen Täuschung erliegen alle Rechtshänder“, fand Deutsch heraus. „Linkshänder haben dagegen keine einheitlichen Präferenzen.“
Eine Verbindung zwischen Sprache und Musik fand Deutsch durch eine akustische Illusion, das Tritonus-Paradox. Hierbei produziert ein Computer zwei Töne, die genau eine halbe Oktave voneinander entfernt liegen. Werden zwei dieser Töne hintereinander gespielt, zum Beispiel C nach Fis, so hören manche Menschen das identische Intervall als aufsteigend, andere dagegen als absteigend.
„Selbst bei Berufsmusikern gibt es abweichende Meinungen über ein und dieselbe Tonfolge“, hat die Forscherin erfahren. Das liegt an der geografischen Herkunft. Als Kind lernt der Mensch, Tonhöhen und Klänge zuzuordnen, wobei er sich am sprachlichen Umfeld orientiert. „Unsere akustische Wahrnehmung wird auf die regional gesprochene Tonstufe genormt“, erklärt die Forscherin. „Das scheint wichtig, um feine emotionale Nuancen in der Sprache, beispielsweise Ironie oder feine Spitzen zu erkennen.“
Akustische Illusionen bdw-Leser können ihre Ohren via Internet an den akustischen Illusionen testen, wenn sie einen PC mit Soundkarte haben. http://www.philomel.com
Oktave
Eine Oktave umfaßt zwölf Halbtöne – oder zwölf Klaviertasten, inklusive schwarzer Tasten – die hier im Uhrzeigersinn im sogenannten Tonstufenzirkel abgebildet sind.
Tritonus-Paradox Dem Zuhörer werden abwechselnd zwei Töne vorgespielt, die sich im Tonstufenzirkel (Skizze oben) genau gegenüberliegen, also eine halbe Oktave – einen Tritonus – voneinander entfernt sind, zum Beispiel C und Fis. Werden nur diese beiden Töne gespielt, können viele Menschen nicht sagen, welcher höher oder tiefer ist. Erst wenn auch die dazwischenliegenden Töne der Reihe nach angeschlagen werden, fällt die Entscheidung eindeutig aus.
Désirée Karge