Das Bronchitis-Bakterium Chlamydia pneumoniae soll die Ursache für Herzinfarkte sein? Als der Mikrobiologe Dr. Pekka Saikku von der Universität Helsinki im Jahr 1988 diese Hypothese aufstellte, fand er kaum Gehör. Zu abwegig schien die mögliche Konsequenz, infarktgefährdete Patienten vielleicht mit Antibiotika behandeln zu müssen. Das ändert sich jetzt: Zunächst fand der amerikanische Epidemiologe Dr. Thomas Grayston aus Seattle Erbsubstanz des Keims in arteriosklerotischen Gefäßablagerungen (Atheromen) von Herzpatienten. Dann wies Dr. Matthias Maaß, Mikrobiologe an der Universitätsklinik Lübeck, in Atheromen lebensfähige Chlamydien nach.
Als Folge einer Arteriosklerose verengen sich Gefäße, Blutgerinnsel bilden sich, das Risiko für Herz- und Hirninfarkt steigt. Am Anfang der Arteriosklerose steht eine Entzündung der Gefäßwände, die Arteriitis. Freßzellen (Makrophagen) docken an Zellen an, die die Gefäße von innen auskleiden (Endothelzellen). Die Makrophagen locken weitere Helfer des Immunsystems sowie gerinnungsfördernde Blutplättchen an. Auch Endothelzellen geben plötzlich solche Wachstumsfaktoren ab. Muskel- und Bindegewebszellen vermehren sich in den Adern und verengen sie.
„Eine Infektion mit Chlamydien würde erklären, warum sich bei Arteriosklerose massenhaft Makrophagen in den Gefäßen sammeln“, sagt Maaß. Ein weiteres Indiz, das für die Mikroben als Verursacher spricht: Sie können die beteiligten Makrophagen genauso infizieren wie die Endothel-, Bindegewebs- und Muskelzellen der Blutgefäße. Zum Verhängnis wird dem Menschen vermutlich, daß die im Körper flottierenden Freßzellen in der Lunge von den eingeatmeten Bakterien befallen werden. Die Makrophagen transportieren ihre Fracht über die Blutbahn durch den ganzen Organismus und laden sie irgendwo in den Gefäßen ab. Möglicherweise bevorzugt dort, wo schon Vorschäden bestehen – als Folge von Rauchen, zu fettem Essen und von Hochdruck, meinen einige Forscher. Sie sehen die Infektion als Folgeerkrankung. Andere, wie der Frankfurter Infektiologe Prof. Wolfgang Stille, glauben dagegen, daß die Bakterien am Anfang des Entzündungs- und Schädigungsprozesses stehen.
Belegt sieht Stille seine Meinung durch zwei Studien, die Mitte dieses Jahres veröffentlicht wurden. Eine britische und eine argentinische Arbeitsgruppe hatte an jeweils rund 200 Patienten nachgewiesen, daß Infarktgefährdete, die mit Antibiotika behandelt wurden, seltener eine Herzattacke erlitten, als Patienten einer Vergleichsgruppe, die nur mit Scheinmedikamenten therapiert worden waren.
„Größere Studien müssen nun zeigen, ob Antibiotika für die Behandlung oder auch die Vorbeugung bei Arteriosklerose eingesetzt werden können“, fordert Stille. Vor ihrem Einsatz nach dem Gießkannen-Prinzip warnen die Forscher jedoch, da die Bakterien sonst zu rasch gegen diese Medikamente immun werden könnten.
medinfo Kontakt
Prof. Wolfgang Stille Zentrum der Inneren Medizin der Universitätsklinik Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt/Main Tel: 069/63015452
Prof. Reinhard Marre Dr. Andreas Essig Abt. Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Ulm Robert-Koch-Str. 8 89081 Ulm Tel: 0731/5024600
medinfo Medien
Buch Harald Klepzig Das kranke Herz Trias, Stuttgart 1993, DM 29,80
Peter Ederer Bluthochdruck und seine Folgeerkrankungen Falken, Niedernhausen 1997 DM 14,80
Video Wunder Mensch – Das Herz 60 Minuten, DM 79,- bdw-Leserservice, Postfach 810640 70523 Stuttgart
Nicola Siegmund-Schultze