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„Meine Erwartungen sind sehr groß“

Allgemein

„Meine Erwartungen sind sehr groß“
Der Elektrochemiker Jürgen Garche über Marktchancen und Umweltverträglichkeit von Brennstoffzellen-Aggregaten.

bild der wissenschaft: Manche Experten sehen in der Markteinführung der Brennstoffzelle eine der bedeutendsten technologischen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts. Teilen Sie diese Auffassung, Herr Prof. Garche? GARCHE: Ob es die bedeutendste technologische Einführung sein wird, vermag ich nicht zu sagen. Doch auch meine Erwartungen sind sehr groß, weil wir so aus einer vorgegebenen Primärenergie wesentlich mehr elektrische Energie gewinnen können als bisher und gleichzeitig, da meistens dezentral eingesetzt, auch die Wärme nutzen können. Damit lassen sich Primärenergie-Ressourcen strecken und gleichzeitig die Umwelt entlasten. bdw: Seit 1839 ist das Prinzip der Brennstoffzelle bekannt. Über Nischenanwendungen kam man nie hinaus. Was lässt Sie glauben, dass wir jetzt vor dem großen Durchbruch stehen? GARCHE: Wenn wir von Sonderanwendungen in der Weltraumfahrt absehen, ist es das erste Mal, dass eine Industrie, und zwar die Automobilindustrie, weltweit eigenes Geld in einer Größenordnung von geschätzt mehr als anderthalb Milliarden Euro in die Entwicklung steckt. Beim Firmenverbund DaimlerChrysler/Ford/Ballard sind 1000 Leute bei Brennstoffzellen-Projekten beschäftigt. Bei General Motors und Opel 500. Auch in Japan sind Hunderte engagiert. bdw: Was kostet ein 50 Kilowatt-Motor, der durch Brennstoffzellen versorgt wird? GARCHE: Das Gesamtsystem für ein Kilowatt Leistung kostet noch rund 10000 Euro. Das ist natürlich prohibitiv, wenn man für ein Kilowatt Motorleistung im Auto 50 Euro und im Bus oder Lkw 200 Euro zahlt. Doch vor drei Jahren kostete das Brennstoffzellen-Kilowatt noch 100000 Euro. Die Effizienzfortschritte sind gewaltig. Brauchten wir vor fünf Jahren noch 5 Milligramm Platin pro Quadratzentimeter aktiver Brennstoffzellenfläche, so sind es jetzt nur noch 0,1 Milligramm. In einer Laboruntersuchung wurde bereits eine weitere Verringerung auf 0,007 Milligramm aufgezeigt. Solche Material- und Kostenreduktionen sind symptomatisch für vieles, was sich durch die massiven Anstrengungen der Wissenschaft und Industrie ergibt. bdw: Es gibt dennoch genügend Beispiele, dass Kosten nicht genug reduziert werden konnten, um den Markt für ein innovatives Produkt zu öffnen. GARCHE: Gewiss werden noch einige Jahre vergehen, ehe Brennstoffzellen auf breiter Front zum Einsatz kommen. Einen bezahlbaren Brennstoffzellen-Pkw wird es meiner Ansicht nach in frühestens 10 bis 15 Jahren geben. Wäre dieses das einzige Anwendungsfeld, so würde ich die Zukunft deutlich skeptischer betrachten. Doch bei der Hausenergieversorgung und im dezentralen Blockheizkraftwerk ist die Wettbewerbsfähigkeit früher zu erreichen. Sie beginnt bereits bei etwa 1000 Euro pro Kilowatt und liegt damit nur noch eine Zehnerpotenz unter den heutigen Kosten. Noch besser sieht die Situation bei kleinen, tragbaren Anwendungen aus. Hier zahlt man heute für bestimmte Anwendungen für ein Kilowatt Leistung bei einer entsprechenden Energiedichte ohne weiteres 5000 Euro. Da steht eine Markteinführung vor der Tür. Ich bin sicher, dass wir bald Produkte haben, die die Energieversorgung von Taschenlampen, Camcordern, Laptops und Handys verändern oder im Campingbereich eingesetzt werden können. bdw: Warum geben dann Autokonzerne so viel für die Brennstoffzelle aus? GARCHE: Diese Frage müssen Sie DaimlerChrysler und den anderen Automobilkonzernen stellen, die nachgezogen haben. Ich kann Ihnen darauf keine plausible Antwort geben. Sicher besteht langfristig die Notwendigkeit, die herkömmliche Antriebstechnik zu substituieren. Die brennende Notwendigkeit, Brennstoffzellen-Kraftfahrzeuge mit großem Engagement voranzutreiben, gab es zum Zeitpunkt der Entscheidungen meiner Meinung nach nicht. Es hat sich aber gezeigt, dass durch die Fortschritte – bewirkt durch das Engagement der Automobilindustrie – auch die Hersteller von Heizungen und anderen Aggregaten auf den Geschmack gekommen sind und jetzt die Nase sogar vorn haben. Mit einem Problem muss die Brennstoffzellen-Technologie übrigens generell leben: Sie muss erst mal gut eingeführte Produkte verdrängen – bei der Hausenergieversorgung, bei portablen Geräten, bei Motoren. Das ist etwas anderes als beim Handy, mit dem ein völlig neues Marktsegment eröffnet wurde. bdw: Indem die Haushalte Strom erzeugen und so Kraftwerkskapazitäten überflüssig machen, könnten Brennstoffzellen auch die Energieversorgungsunternehmen aufmischen. GARCHE: In der Tat haben die großen Energieversorger das notwendige Kapital, die Geräte vorzufinanzieren. Diese Firmen verfügen zudem über die Möglichkeit, Tausende dieser Aggregate so zu vernetzen, dass sie ein virtuelles Kraftwerk darstellen. Beispielsweise kündigte RWE an, über diesen Weg mittelfristig ihren Atomenergieanteil zu substituieren. Wer sich die endlosen Diskussionen um neue Kraftwerkstandorte vor Augen führt, erkennt sofort, welche Chancen sich für die Energieversorger durch dezentrale Brennstoffzellen-Anlagen bieten. bdw: Wie steht es um die Umweltverträglichkeit? Brennstoffzellen gelten zwar als umweltfreundlich – doch der Brennstoff Methanol ist giftig und Wasserstoff explosiv. GARCHE: Man muss schon eine größere Menge Methanol trinken, um die Toxizität zu spüren. Aber ich will die Giftigkeit nicht in Abrede stellen. Methanol ist zudem wasserlöslich und kann sich im Grundwasser anreichern. Wasserstoff ist explosiv, doch er ist längst nicht so gefährlich, wie oft zu hören ist. Der Explosionsbereich ist geringer als bei Propan oder Butan – Gasen, die viele für ihren Campingbrenner ohne zu zaudern einsetzen. Ob und wie stark diese Eigenschaften bei Methanol oder Wasserstoff künftig negativ bewertet werden, muss sich zeigen und wird auch davon abhängen, wie präventiv man mit diesen Problemen umgeht. Wichtig ist, dass jetzt kein größerer Unfall passiert. Das wäre ein Showstopper. bdw: Das Hauptargument vieler Brennstoffzellen-Befürworter ist der Einsatz von solar erzeugtem Wasserstoff, der ohne Schadgase produziert und fast ohne Schadstoffe in der Brennstoffzelle verstromt werden kann. Doch Solar-Wasserstoff ist noch viel zu teuer. Deshalb dürfte in Brennstoffzellen-Aggregaten zunächst einmal Methanol, Erdgas oder Benzin eingesetzt und chemisch zu Wasserstoff umgewandelt werden. Wie sieht es hier mit der Schadstoff-Bilanz aus? GARCHE: Durch den höheren Wirkungsgrad der Brennstoffzellen-Technologie reduziert man die CO2-Emissionen gegenüber herkömmlichen Verbrennungsmotoren auch dann schon um etwa 20 Prozent und die lokalen Emissionen wie Stickoxide noch mehr. Klar ist allerdings, dass man alle Anstrengungen unternehmen muss, um dem regenerativ erzeugten Wasserstoff den Weg zu ebnen, denn die eigentliche Umweltentlastung kommt nicht vorrangig durch den Technologieshift vom Verbrennungsmotor zur Brennstoffzelle. Diese Entwicklung wird sich vor allem durch den Fuelshift von fossilen zu regenerativen Brennstoffen ergeben. bdw: Wie lange, denken Sie, wird das noch dauern? GARCHE: Ich will die Antwort von hinten aufzäumen. Die fossilen Treibstoffe werden spätestens zum Schluss des Jahrhunderts weitgehend aufgebraucht sein und entsprechend teuer werden. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir in einigen Jahrzehnten rund 50 Prozent unseres Energieverbrauchs durch regenerative Brennstoffe befriedigen werden. INTERNET Über die Aktivitäten des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden Württemberg informiert sehr übersichtlich und umfangreich: www.zsw-bw.de Kontakt zu Jürgen Garche über: juergen.garche@zsw-bw.de Prof. Dr. Jürgen Garche ist Leiter des Geschäftsbereichs Elektrochemische Energiespeicherung und Energiewandlung und Mitglied des Vorstands beim Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Garche (Jahrgang 1944) studierte an der TU Dresden Chemie und habilitierte sich über Phasengrenzreaktionen von Batteriesystemen. Nach beruflichen Stationen an der TU Dresden trat er 1991 in das ZSW ein. Mit Brennstoffzellen beschäftigt sich Garche seit einem Vierteljahrhundert. Er ist Außerplanmäßiger Professor für Elektrochemie an der Universität Ulm und Gastprofessor an der Shandong University (China).

Wolfgang Hess

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