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Mit Blaulicht an die Spitze

Allgemein

Mit Blaulicht an die Spitze
Das Rennen um die Blaulicht-Diode gewann ein japanischer Außenseiter. Ein Mittelständler triumphierte über Weltfirmen: Der Japaner Shuji Nakamura ging als erster mit praxistauglichen Leucht- und Laserdioden für blaues Licht über die Ziellinie. Damit kann in naher Zukunft beispielsweise die Speicherdichte der Compact Disc um das Vierfache steigen.

Auch in der Forschung gibt es Erfolgsgeschichten, die aus dem Märchenbuch stammen könnten. Diese hier beginnt Ende der achtziger Jahre und spielt in Japan. Ihr Held ist Shuji Nakamura, Elektronik-Ingenieur, heute 43 Jahre alt.

Nakamura arbeitet seit 18 Jahren als Industrieforscher bei Nichia Chemical Industries, einer mittelständischen Firma im Provinzstädtchen Anan, Bezirk Tokushima. Der Gründer, Nobuo Ogawa, leitet sie mit mehr als achtzig Jahren noch heute. Das Unternehmen verdient sein Geld größtenteils mit Chemikalien für die Beschichtung von Leuchtstoffröhren.

Doch Nichia steigt gerade groß ins Geschäft mit Kristallen ein, die blaues Licht abstrahlen. Branchenkenner in Tokio schätzen den künftigen Markt dafür auf 40 bis 50 Milliarden Dollar pro Jahr. Denn Laserdioden mit Lichtemission im blauen und ultravioletten Bereich erschließen den Riesenmarkt verbesserter ein- und auslesbarer Speichermedien.

Die Speicherdichte hängt von der Wellenlänge des benutzten Lichtes ab. Blau leuchtende Dioden erhöhen die Speicherdichte gegenüber gängigen Rotlicht-Dioden um das Vierfache. Beethovens Klavierkonzerte beispielsweise pas-sen dann alle auf eine einzige CD, ebenso speicherfressende Spielfilme.

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Als Nakamura 1979 bei Nichia begann, arbeiteten dort 200 Menschen. Die Forschungsabteilung der Firma – das waren er und ein Assistent. Der junge Elektroniker interessierte sich brennend für die damals neuartigen Halbleiter, die bei Stromdurchfluß Licht aussenden. Praktisch im Alleingang entwickelte er Verfahren, um halbleitende Werkstoffe wie Galliumphosphid und Gallium-arsenid herzustellen. 1988 hatte er sich bis zur Pilotfertigung roter Leuchtdioden durchgebissen.

Die neuen Produkte waren gut. Ihr einziger Fehler: Sie fanden keine Käufer. Nichia war zu klein und galt nicht als Halbleiterfirma. Potentielle Kunden wandten sich lieber an Firmen mit klangvollen Namen wie Toshiba oder Matsushita. „Meine Forschung brachte kein Geld. Die Firmenleitung war wütend auf mich. Und ich war wütend, weil meine Arbeit nutzlos schien“, blickt Nakamura zurück.

Der frustrierte Forscher ging in den Vertrieb und versuchte, seine Produkte selbst zu verkaufen – ohne Erfolg. Eines aber lernte er aus den Diskussionen mit potentiellen Käufern: Nur mit etwas völlig Neuem, das konkurrenzlos dastand, hatte sein Unternehmen draußen eine Chance.

Da träumte er einen respektlosen Traum: Er wollte einen Halbleiterkristall entwickeln, der blaues Licht ausstrahlt anstatt rotes. Das konnte noch keiner, aber große Firmen wie Sony oder Philips arbeiteten mit Hochdruck daran.

Welche Erfolgsaussichten hat eine Provinzfirma im Forschungswettlauf mit Weltunternehmen? Was kann ein Einzelkämpfer ausrichten? Hier könnte die Geschichte abbrechen, als Lehrstück vom Scheitern eines allzu Ehrgeizigen. Doch es gibt ein Happy-End.

Shuji Nakamura schockte mit einem Doppelschlag die gesamte Konkurrenz: nicht nur mit einer Leuchtdiode, die blaues Licht emittiert, sondern auch mit der ersten praxistauglichen Blaulicht-Laserdiode. Einem gängigen Galliumarsenid-Kristall blaues Licht zu entlocken, ging aus physikalischen Gründen nicht („Warum die Bandlücke so wichtig ist“ auf Seite 34).

Shuji Nakamura, 43, Industrieforscher bei Nichia Chemical, hat gut lachen. Mit Zähigkeit und Glück katapultierte sich der Nobody aus der Provinz in den Olymp der Mikroelektroniker.

Zwei andere Kandidaten kamen grundsätzlich in Frage: Zinkselenid und Galliumnitrid. Galliumnitrid ist härter und widerstandsfähiger. Doch das Zinkselenid versprach Vorteile beim Kristallwachstum.

Will man eine Halbleiter-Diode fertigen, wird das Material Atomlage für Atomlage auf eine Unterlage (Substrat) aufgetragen. Ihre Kristallstruktur prägt sich auf die wachsenden Schichten durch. Deshalb sollten beide Kristallstrukturen sehr ähnlich sein – gelingt das nicht, sind Defekte im Gitter die Folge. Die Diode brennt dann rasch durch.

Das hieß zunächst: schlechte Karten für Galliumnitrid. Denn es gab hierfür kein wirklich passendes Substrat. Das noch am ehesten verwendbare Trägermaterial Saphir kristallisiert in einer Struktur, die noch um 13,5 Prozent von den Dimensionen des Galliumnitrid-Kristallgitters abweicht. Zinkselenid hingegen wächst gut auf Galliumarsenid, das eine ähnliche Gitterstruktur besitzt.

So hatten praktisch weltweit alle Forscher zu Beginn der achtziger Jahre das Galliumnitrid abgeschrieben und sich für den Zink-Abkömmling entschieden. Darin sah der grübelnde Nakamura seine Chance: Er setzte auf das von den anderen gemiedene Material.

Als er 1988 seinem Bereichsleiter den Plan unterbreitete, winkte dieser ab: Die Firma sei zu klein, um gegen die Goliaths der Halbleiterbranche bestehen zu können. Nakamura umging ihn – sehr unjapanisch – und wandte sich direkt an Firmenpräsident Ogawa. Der stimmte sofort zu. Nakamura erhielt einen Etat von fünf Millionen Dollar. Das ist für industrielle Entwicklungsprojekte wenig Geld, aber viel für eine kleine Firma wie Nichia: damals 1,5 Prozent des Jahresumsatzes.

Ogawa riskierte damit die gesamten Forschungsmittel des Unternehmens. Dr. Gerhard Fasol – in Österreich gebürtiger Physiker, der in Tokio eine eigene High-Tech-Firma betreibt und Nakamura gut kennt – kann es immer noch kaum glauben. „Nakamura war damals Mitte dreißig. Er besaß keinen Doktortitel, keine einzige wissenschaftliche Veröffentlichung und hatte zehn Jahre ohne kommerziellen Erfolg geforscht. Keine andere Firma hätte diesen Mann mehr eingestellt.“

Zunächst drückte Nakamura wieder die Schulbank. Er ging für ein Jahr an die Universität von Florida, um sich das sogenannte MOCVD-Verfahren zum schichtweisen Fertigen von Halbleiterkristallen anzueignen. 1989 begann er – nunmehr mit zwei Assistenten – mit eigenen Forschungsarbeiten.

Als erstes befaßte er sich mit der p-Dotierung des Kristalls, ohne die keine Diode zustande käme (siehe Kasten unten links „Warum die Bandlücke so wichtig ist“). Prof. Isamu Akasaki an der Universität von Nagoya hatte Mitte der achtziger Jahre entdeckt, daß Galliumnitrid durch Elektronenbestrahlung p-dotiert werden kann. Die Entdeckung war reiner Zufall, der Mechanismus ungeklärt. Nakamura fand die Ursache und entwickelte ein einfacheres Verfahren: Schlichtes Aufheizen des Materials führte zum gleichen Ergebnis.

Akasaki war es ebenfalls gelungen, fehlerfreie Galliumnitrid-Schichten auf Saphir aufzubringen – trotz der unterschiedlichen Gitterstrukturen. Dazu hatte er zwischen Unterlage und Hauptschicht einen Pufferfilm aus Aluminiumnitrid gelegt. Auch hier fand Nakamura eine einfachere Lösung: eine Pufferschicht aus Galliumnitrid selbst.

Drittens entwickelte der Nichia-Forscher eine neuartige Anlage zum Auftragen von atomaren Schichten. Beim MOCVD-Verfahren wird ein Gasgemisch, das das Kristallmaterial enthält, in einem Reaktor über eine beheizte Unterlage geleitet. Das Material setzt sich dann schichtweise auf der Unterlage fest. Beim Galliumnitrid geht es bei diesem Vorgang mit etwa 1000 Grad Celsius sehr heiß her, so daß Wärmekonvektion die Ablagerung stört.

Nakamura fand auch hier eine verblüffend einfache Alternative: Er blies einen zweiten Gasstrahl in den Reaktor, der den Hauptstrom von oben auf die Unterlage drückte. Mit diesem „Zweifluß-Reaktor“ konnte er Kristalle hoher Qualität erzeugen – und das mit hohem Durchsatz, wie es die industrielle Herstellung erfordert.

Nach weniger als drei Jahren harter Arbeit war es geschafft: Nakamura hatte Labormuster einer funktionsfähigen blauen Leuchtdiode. Insgeheim bereitete die Firma die Fertigung vor. Im November 1993 sprach Nakamura auf einer Fachkonferenz in den USA erstmals über seine Resultate und zog zum Beweis eine Handvoll Blaulicht-Dioden aus der Tasche.

Die Fachwelt war perplex. Niemand kannte Nichia. Und die Leuchtdioden waren erstaunlich – hundertmal leuchtkräftiger als das Produkt eines amerikanischen Konkurrenten. Immerhin konnten die Forscher bei großen Firmen wie Sony und 3M sich noch damit trösten, daß ihr Hauptziel ja nicht eine diffus strahlende Leuchtdiode war, sondern ein Blaulicht-Laserkristall. Den zu entwickeln, stellt erheblich größere Anforderungen: Ein Laserkristall ist aus einer komplexen Abfolge mehrerer Halbleiterschichten aufgebaut und muß höhere Energiedichten aushalten. Und das Zinkselenid machte offensichtliche Fortschritte: 1994 zeigte Sony eine Laserdiode aus diesem Material, die eine Stunde im Dauerbetrieb leuchtete (bild der wissenschaft 4/1995, „Die Jagd nach dem blauen Licht“).

Im Sommer 1994 begann Nakamura seinerseits ein Laserdioden-Projekt – auf der Basis seines Außenseiter-Materials. Und wieder verstörte er die Konkurrenz: Ende 1995 stellte Nichia die erste Blaulicht-Laserdiode auf Galliumnitrid-Basis vor. Im Dezember 1997 wurden mehr als 10000 Stunden Dauerbetrieb als erreichbar gemeldet. So ist zu erwarten, daß Nichias Blaulicht-Laserdiode noch 1998 auf den Markt kommt.

Forschung, vor allem Industrieforschung, ist opportunistisch. „Heute laufen ganze Heerscharen hinter Nakamura her“, sagt Prof. Hans-Joachim Queisser vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. „Jeder stürzt sich auf Galliumnitrid.“ Auch bei Sony arbeiten heute von rund 40 Forschern die meisten am einstigen Außenseiter-Material. Philips und 3M haben die Zinkselenid-Forschung praktisch eingestellt, ebenso Samsung in Korea.

„Den Markt für LED hat Nichia jetzt fest im Griff“, urteilt Festkörperforscher Prof. Detlef Hommel an der Universität Bremen. „An Nichias Patenten kommt niemand vorbei.“ Nichias Dioden leuchten kräftig und sind äußerst robust: Nakamura schätzt ihre Lebensdauer auf zehn Jahre. Mit seinem auf 30 Personen gewachsenen Forscherteam hat der mitt-lerweile Promovierte Leuchtdioden in allen Farben gebaut – alle aus Galliumnitrid, und alle besser als die Konkurrenzprodukte.

Zehn große Maschinen testen und sortieren die Dioden im Sekundentakt. Zehn Millionen LED verlassen im Monat die Fabrik. Tendenz: steil steigend, Nichia macht 30 Prozent seines Umsatzes mit den neuen Produkten und hat für die LED-Produktion 400 Arbeitskräfte eingestellt. Etwa 1000 Menschen arbeiten heute insgesamt bei der Firma.

Japanische Stadtväter erproben derzeit Nichias Dioden in Verkehrsampeln. Ihre Vorteile gegenüber herkömmlichen Glühlampen: Senkung des Stromverbrauchs auf etwa ein Drittel, Verzehnfachung der Lebensdauer auf fünf bis zehn Jahre. Absehbar ist, daß Leuchtdioden künftig die Beleuchtung von Fahrzeugen übernehmen werden, mit Ausnahme der Scheinwerfer. Auch das ist ein immenser Markt.

Mit blauen, grünen und roten Dioden liegen erstmals die drei Grundfarben vor, so daß sich alle daraus mischbaren Farben darstellen lassen – beispielsweise in neuartigen Displays, etwa für Werbe- und Anzeigetafeln oder Notebooks, und für das Laser-Fernsehen. Eine neue Generation von Geräten in der Unterhaltungselektronik und der Computerbranche steht bevor.

Was ist der Grund für Nakamuras Erfolg? Für ihn selbst ist alles ganz einfach: „Jeder Forscher kann mit relativ geringer Erfahrung auf einem neuen Forschungsgebiet, mit wenig Geld und ohne Hilfe von Universitäten oder anderen Firmen beträchtliche Erfolge erzielen. Er darf sich nur nicht von herkömmlichen Ideen gängeln lassen.“

Aber das kann ein Forscher wohl nur dann so locker sagen, wenn er auf eine solche Erfolgsstory zurückblicken kann.

Laserdioden und Leuchtdioden

Bestimmte Halbleiterkristalle können Strom direkt in Licht umwandeln. Je nach ihrem kristallinen Feinbau geben sie das Licht entweder nach allen Seiten ab wie eine Glühlampe (Leuchtdiode, LED) oder aber als scharf gebündelter Laserstrahl (Laserdiode).

Rotes Licht aussendende Leuchtdioden – üblicherweise aus Gallium- arsenid – gehören mittlerweile zum Alltag.

Eingeschlossen in ein Glas- gehäuse, illuminieren die sandkorngroßen Kristalle die Anzeigen von Taschenrechnern sowie die Kontroll-Leuchten von Radios und Fernsehgeräten. Laserdioden finden sich millionenfach in CD-Abspielgeräten sowie an Supermarktkassen in Bar-Code-Leseeinheiten.

Warum die Bandlücke so wichtig ist

Eine Diode ist ein Halbleiterkristall, der hauptsächlich aus zwei Schichten besteht: Die eine – sie heißt „n-dotiert“ – enthält einen Überschuß an Elektronen. In der anderen („p-dotiert“) überwiegen „Löcher“, positive Ladungen. „Dotiert“ bedeutet: Das Grundmaterial ist gezielt mit Fremdatomen verunreinigt.

Schickt man Strom durch den Kristall, so fließen Elektronen und Löcher aufeinander zu und rekombinieren. Dabei wird Energie abgestrahlt – in Form von Licht. Beim Laserkristall tritt ein gebündelter, kohärenter Lichtstrahl aus. Dazu erhält der Kristall verspiegelte Endflächen, zwischen denen die Photonen so lange hin- und herschwingen, bis der Strahl intensiv genug ist, um an einer Seite trotz Verspiegelung auszutreten.

Die Farbe des Lichts wird durch die Bandlücke bestimmt. So nennen die Physiker den energetischen Abstand zwischen dem sogenannten Valenzband, in dem die Elektronen an die Atomrümpfe des Kristallgitters gebunden sind, und dem Leitungsband, in dem die Elektronen sich frei bewegen können. Bei der Rekombination springen die Elektronen des Leitungsbandes in die Löcher des energetisch niedrigeren Valenzbandes.

Die Bandlücke legt die Sprunghöhe der Elektronen fest. Damit ist sie ausschlaggebend für die Wellenlänge des ausgestrahlten Lichts. Die Größe der Bandlücke hängt wiederum vom Material ab. So bringt der gebräuchliche Halbleiterwerkstoff Galliumarsenid die passende Bandlücke für Rotlicht-Dioden mit. Für grünes und blaues Licht, das energiereicher ist als rotes, benötigen die Forscher breitlückige Werkstoffe wie Galliumnitrid oder Zinkselenid, damit die Elektronensprünge genügend Energie liefern.

Heinz Horeis

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