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Mit den Augen hören

Allgemein

Mit den Augen hören
Eine akustische Kamera hilft beim Bau einer Sportarena – und verschafft der Heimmannschaft ganz legal Vorteile.

Lässt sich der Schrei eines Einzelnen aus einer Menge von fast 110 000 American Football-Fans heraushören? Was für das menschliche Ohr unmöglich ist, macht den Berliner Elektrotechnikern der Gesellschaft für angewandte Informatik (GfaI) keine Probleme. Sie können mit ihren Messinstrumenten nicht nur genau orten, wo der Krach herkommt, sie sind inzwischen auch in der Lage, auf einer Lärmkarte einzelne Schreihälse in der Menge aufzuspüren. Im Michigan Stadium von Ann Arbor, der Heimat des Football-Teams der University of Michigan, testeten die Berliner ihre Kunst. Während der Halbzeitpause des Spiels der Michigan Wolverines gegen die Minnesota Vikings am 28. Oktober 2007 fingen sie die Schallwellen der rund 110 000 Besucher im Stadion ein. Dazu wurden 120 Mikrofone in Form einer Kugel aufs Spielfeld gebracht. In der Mitte dieser Kugel war zusätzlich eine hochauflösende Digitalkamera angebracht. Ein Recorder registrierte den Schall und gab die Daten an einen Computer weiter. Der wertete mithilfe einer eigens entwickelten Software die Informationen der Mikrofonkanäle aus und errechnete zusammen mit dem Digitalfoto und einem 3D-Modell des Stadions das akustische Bild: Rot-violett erschienen darauf die besonders lauten Ecken, wo es blau war, ging es eher ruhig zu. „Noch nie wurde der Lärm von so vielen Menschen in einer so großen Umgebung aufgenommen“, schwärmt Gunnar Heilmann, Mitarbeiter der GfaI. „ Und wir sind sogar in der Lage, einen einzelnen Anfeuerungsruf zu orten.“

Den Lärm aufs Spielfeld treiben

Das „Big House“, wie die Sportstätte liebevoll von den Studenten genannt wird, soll demnächst umgebaut werden, und die Universität wollte im Vorfeld wissen, wie sich die geplanten Änderungen auf die Geräuschverteilung auswirken. Das können ihnen die Akustiker verraten: Sie wissen genau, wie die Logen beschaffen sein sollten. Diese Boxen über den Rängen sollen nicht nur zusätzliche Plätze bieten, sondern auch den Lärm der Zuschauer aufs Spielfeld bringen. Was merkwürdig klingt, ist spieltaktisch wichtig: „Es hebt die Stimmung im Stadion und unterstützt dadurch die Heimmannschaft“, weiß Heilmann. Und: „ Wenn die gegnerische Mannschaft am Zug ist, kann das Publikum soviel Lärm machen, dass die Zurufe des Spielführers an sein Team im Geschrei untergehen. Das bringt einen Vorteil für die Wolverines.“ Als sich die Akustiker das Halbzeit-Bild im Computer ansahen, bemerkten sie an der Seitenlinie einen gelben Fleck. Die Detailaufnahme verriet Erstaunliches: „Die Zeitfunktion dieses Bildpunktes zeigte deutlich den Anfeuerungsruf der Wolverines ,Go Blue‘“, sagt Heilmann. Außerdem kam ans Licht, was Football-Anhänger nicht weiter erstaunt: Am lautesten war die Studenten-Fankurve. Trotzdem kamen auf dem Spielfeld nur maximal 85 Dezibel an. Das entspricht dem Geräusch eines vorbeifahrenden Lastwagens. Das ist erstaunlich leise. Der Grund ist wohl die Form des Stadions. „Es ist offen wie eine flache Schüssel“, erklärt Heilmann, „der Schall kann nach oben entweichen und wird nicht aufs Spielfeld zurückgeworfen.“ Das soll sich durch den Umbau ändern.

Der Siegeszug der akustischen Kamera begann 2001. Im Jahr 2005 hätten die Forscher von der GfaI fast den Deutschen Zukunftspreis dafür bekommen. Bisher wurde das Gerät hauptsächlich bei kleineren Messungen eingesetzt. So lassen sich mit seiner Hilfe schnell und bequem Fertigungsfehler bei Nähmaschinen oder störende Geräusche im Motorraum eines Autos lokalisieren: Wo auf dem akustischen Bild etwas rot zappelt, laufen entweder die Maschinen nicht rund oder die Schalldämpfung reicht nicht aus. Heute ist Heilmanns Team einen großen Schritt weiter: „Wir können Filme mit den Geräusch-Daten kombinieren und Geräusche von Abläufen darstellen. Und wir können ganze Gebäude problemlos akustisch kartieren.“

Ob deutsche Fußballclubs von der trickreichen Lärmtechnik profitieren werden, steht in den Sternen. Bislang besteht kein Interesse. So bleibt es in der Bundesliga weiter allein den Fans überlassen, ihre Mannschaft mit Radau zum Sieg zu peitschen. ■

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Lisa Peter

Mehr zum Thema

Internet

Informationen zu Funktion und Anwendung der akustischen Kamera: www.acoustic-camera.com

Umbau des Michigan Stadium: www.umich.edu/stadium

Nominierung für den Deutschen Zukunftspreis 2005: www.deutscher-zukunftspreis.de/ newsite/2005

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