Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Mit einer „Fünf“ an die Uni

Allgemein

Mit einer „Fünf“ an die Uni
Früher konnte man der beste Hochspringer der gesamten Schule sein – bei einer „Fünf“ in Religion war das Sportstudium vermasselt. Die Universität Heidelberg hat nun erstmals Studenten in persönlichen Gesprächen ausgewählt.

Abiturnoten und Wartezeit – das waren die Kriterien, nach denen Universitäten ihre Studienplätze bislang vergaben. Seit dem Frühjahr ist das in Baden-Württemberg anders. Das neue Hochschulzulassungsgesetz des Landes erlaubt den staatlichen Universitäten und Fachhochschulen, einen Teil der Bewerber durch ein persönliches Auswahlgespräch und einen zusätzlichen Test für das Studium auszuwählen. Bisher war dieses Verfahren nur privaten Hochschulen gestattet.

Nun macht auch die Universität Heidelberg ernst: Das Abiturzeugnis ist dort nicht mehr das Maß aller Dinge. In drei Fächern mit einer lokalen Zulassungsbeschränkung – Biologie für das Lehramt, Psychologie und Sportwissenschaft – gibt es nun das sogenannte „Eignungsfeststellungsverfahren“.

Im August fanden in der Biologie die ersten Gespräche zwischen Bewerbern und Professoren statt, in denen Interesse und Eignung abgefragt wurden. „Wer Dolly nicht kennt, hat Pech“, kommentierte die Lokalpresse das Verfahren. In der Psychologie wurde das Auswahlgespräch mit einem schriftlichen Eignungstest kombiniert, wobei „psychologisches Vorverständnis und Engagement“ einen Bonus brachten. Die Sportwissenschaft honorierte Leistungssport und Trainerschein.

„Unsere Ergebnisse waren außerordentlich befriedigend“, urteilt Biologie-Professor Volker Storch nach der ersten Gesprächsstaffel. Zusammen mit sechs Kollegen hatte Storch einen ganzen Tag lang in jeweils 15- bis 30-minütigen Gesprächen 40 Abiturienten kennengelernt und sie nach ihren Fachkenntnissen, aber auch nach ihrer Motivation, Biologie-Lehrer zu werden, befragt.

Anzeige

„Wir haben eine ganze Reihe weit entwickelter Persönlichkeiten angetroffen, die wir nach den Noten aussortiert hätten, die aber als Lehrer sicher einmal gut zu gebrauchen sind“, befand Biologie-Professor Michael Wink.

Angst, daß die Studenten künftig einen Bogen um Heidelberg machen, hat niemand. „Im Gegenteil“, sagt Universitätssprecher Michael Schwarz. „Gerade im Sport haben wir mehr Bewerber als früher, weil sich geeignete Kandidaten nun bessere Chancen ausrechnen.“ Ähnlich positiv äußerten sich die ersten Biologie-Bewerber. „Es war weniger eine Prüfung als ein wirkliches Gespräch“, meinte einer der Abiturienten. Viele empfinden das Zulassungsgespräch als eine „gerechte Chance“, um ihr Wunschfach studieren zu können.

Ursprünglich wollte die Heidelberger Universität 90 Prozent ihrer lokalen NC-Plätze nach dem handverlesenen Verfahren vergeben. Das Hochschulgesetz limitierte den Anteil aber auf 40 Prozent. In den nächsten zwei Jahren können die Hochschulen in Baden-Württemberg die „Prüfung nach dem Abitur“ freiwillig einführen. Danach wird sie zur Pflicht. Eine gesetzliche Grundlage für solche Eignungsgespräche zu schaffen, reicht allein nicht aus. Das zeigt das Beispiel Berlin: Dort können seit 1993 15 Prozent der Bewerber in Numerus-Clausus-Studiengängen von den Hochschulen in Gesprächen je nach persönlicher Eignung ausgewählt werden.

„Leider ist von diesen Regelungen kein Gebrauch gemacht worden“, bilanzierte jetzt die Berliner Wissenschaftsverwaltung. Wenn aber künftig ein Teil der Finanzmittel für die Hochschulen vom Staat nach Leistungskriterien – etwa der Studiendauer – vergeben wird, dürfte auch bei den Hochschulen das Interesse wachsen, motivierte Studenten an sich zu binden. Schneller als erwartet macht das Thema „Auswahlverfahren“ auf Bundesebene Karriere. Im Kompromiß für ein neues Hochschulrahmengesetz (HRG) des Bundes, auf das sich Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers im Sommer mit seinen Länderkollegen verständigte, ist neben einer Reihe von Reformpunkten – wie der Einführung eines Leistungspunktsystems – auch die Möglichkeit „hochschuleigener Auswahlverfahren“ enthalten. Diese Verfahren sollen für die bundesweiten Numerus-Clausus-Fächer gelten und sich auf 20 Prozent der NC-Plätze erstrecken.

Damit stellt sich erneut die Frage, wieviel das Abitur wert ist. „Das Abitur kann nur noch eine notwendige, aber nicht mehr die hinreichende Voraussetzung für einen Studienplatz sein“, sagt Detlef Müller-Böling, Leiter des Zentrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Die Folgen für die Hochschulen bewertet Prof. Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), eindeutig positiv. Die Bewerberauswahl sei ein wichtiges Element zur Profilbildung der Hochschulen und für den Wettbewerb untereinander.

Den möchte der frühere HRK-Präsident Prof. George Turner gar noch forcieren, indem er die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund gänzlich zur Disposition stellt. Turner: „Ich würde die ZVS abschaffen und den offenen Wettbewerb der Hochschulen zulassen.“

Unter dem Zwang zur Modernisierung des Hochschulwesens, das noch immer zu lange Studienzeiten besitzt, zu praxisfern und international zu wenig kompatibel ist, wächst an vielen Universitäten der Mut zum Experiment.

So will die Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft ihr Kuratorium zu einer Art „Aufsichtsrat“ umstrukturieren, wie er in der privaten Wirtschaft bei Großunternehmen die Regel ist. Ähnliches ist mit der Novellierung des bayerischen Hochschulgesetzes an der TU München geplant.

Manfred Ronzheimer

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Ton|er|de  〈f. 19; unz.〉 1 〈Med.〉 = Lehmerde 2 〈Min.〉 Aluminiumoxid; … mehr

♦ so|pra  〈Adv.; Mus.〉 oben, über (der anderen Hand zu spielen); Ggs sotto … mehr

Ach|ter|ste|ven  〈[–vn] m. 4; Mar.〉 hochgezogene hintere Verlängerung des Kiels eines Schiffes; Ggs Vordersteven … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige