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Moleküle ohne Widerstand

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Moleküle ohne Widerstand
Physiker wollen von organischen Supraleitern lernen, wie Elektronen es fertig bringen, den Widerstand zu überwinden. Auf der Jagd nach spektakulären Ergebnissen ist einer der Forscher zum mutmaßlichen Fälscher geworden.

Moleküle ohne Widerstand Physiker wollen von organischen Supraleitern lernen, wie Elektronen es fertig bringen, den Widerstand zu überwinden. Auf der Jagd nach spektakulären Ergebnissen ist einer der Forscher zum mutmaßlichen Fälscher geworden. Peter Hergersberg Organisch nennen Chemiker den Stoff, aus dem das Leben ist. Aber auch Kunststoffen geben sie das Attribut. Gemeinsam ist diesen Materialien, dass sie zum größten Teil aus Kohlenstoff bestehen und gewöhnlich keinen Strom leiten. Deshalb schützt Kunststoff auch vor Stromschlägen – als Mantel einer Kupferleitung etwa. Doch die ersten Kunststoffe, die nicht als Isolator taugten, waren kein Reinfall, sondern den Nobelpreis wert. Den erhielten vor zwei Jahren Alan J. Heeger, Alan G. MacDiarmid und Hideki Shirakawa – die Entdecker der ersten Polymere, die Strom leiten. Inzwischen gibt es sogar dutzende organische Materialien, die Strom ganz ohne Widerstand transportieren: organische Supraleiter. Von Anwendungen sind sie weit entfernt. Nicht zuletzt, weil sie erst bei mindestens minus 260 Grad den Widerstand verlieren – und das auch noch bei einem Druck von 2000 Bar. „Der hohe Druck verstärkt die Bindungen zwischen den Atomen“, sagt Prof. Jochen Wosnitza, der organische Supraleiter an der Technischen Universität Dresden untersucht. Der Druck verschafft den Elektronen breite Kanäle, durch die sie verlustfrei fließen können. Für die Industrie sind die organischen Supraleiter wegen der extremen Bedingungen nicht interessant. „Wir können aus diesen Stoffen aber viel über die Supraleitung lernen“, sagt Martin Dressel, Physik-Professor an der Universität Stuttgart. Bechgaard- oder TMTSF-Salze nennen Wissenschaftler die ersten organischen Supraleiter, die Selen enthalten. Entdeckt wurden sie von dem dänischen Chemiker Klaus Bechgaard und dem französischen Physiker Denis Jérome bereits 1980. Zu den prominentesten Vertretern zählen zudem schwefelhaltige Salze. Ihr wichtigster Bestandteil wird mit BEDT-TTF oder – griffiger – ET abgekürzt. Das steht für das Wortungetüm „Bisethylen-dithiolo-tetrathiofulvalen“ – ein schwefelhaltiges organisches Molekül, das die Form einer Hantel hat. Was die Physiker aus diesen Stoffen über das Phänomen des verlustfreien Stromtransports herauskitzeln, soll ihnen auch helfen, die anwendungsträchtigen keramischen Supraleiter besser zu verstehen. BSCCO heißt einer von diesen Stoffen – ein Bismutkuprat. Es gibt den Widerstand gegen Strom schon bei relativ hohen Temperaturen auf – nämlich bei minus 163 Grad. Schon flüssiger Stickstoff kann die Keramik auf diese Temperatur abkühlen, nicht nur teures flüssiges Helium. Deshalb hat sie in Transformatoren, Stromspeichern oder in verlustfreien Kabeln Chancen, Kupfer als Leiter abzulösen. Tatsächlich transportieren Kabel aus BSCCO inzwischen in Detroit und Kopenhagen Strom aus Umspannwerken. „Organische Supraleiter sind eine neue Klasse von Materialien“, sagt Prof. Michael Lang, der an der Universität Frankfurt am Main die Eigenschaften der widerstandslosen Stoffe erforscht. Dass sich die organischen Stoffe mit keramischen Supraleitern gut vergleichen lassen, verdanken sie auch ihrer Struktur. Denn wie in keramischen Supraleitern wechseln sich in den ET-Salzen isolierende Schichten mit leitenden ab. Diese Supraleiter nennen Physiker daher zweidimensional. In den Bechgaard-Salzen fließt der Strom sogar nur entlang leitfähiger Molekülketten, die sich durch den Kristall ziehen. Sie tragen daher das Attribut eindimensional. „Mit der Eindimensionalität verändert sich die Physik vollkommen“, sagt ihr Entdecker Denis Jérome. So können die Forscher bislang unbekannte Phänomene untersuchen und ihre Theorien über die Supraleitung aus neuer Perspektive überprüfen. Denn die gängige Landau-Theorie, die Elektronen als eine Art Flüssigkeit aus lauter unabhängigen Teilchen in Festkörpern beschreibt, versagt hier. Organische Supraleiter sollen nun verraten, warum die keramischen Supraleiter schon bei relativ hohen Temperaturen den Widerstand verlieren. Fest steht bislang nur, dass sich ihre Elektronen wie in allen anderen Supraleitern zu Paaren zusammenschließen – den Cooper-Paaren. In konventionellen Supraleitern – Metallen und Legierungen, die diese Eigenschaft erst ab 250 Grad unter null annehmen – vermitteln die Schwingungen der Atome die Liaison. „ Bei höheren Temperaturen bewegen sich die Teilchen jedoch sehr heftig“, sagt Wosnitza. „Da müssten die Paare wieder auseinander brechen.“ Das tun sie aber in den keramischen Supraleitern nicht. Physiker vermuten, dass magnetische Kräfte zwischen den Elektronen die Ladungsträger in den Hochtemperatur-Supraleitern zusammenkitten. „Auch in den organischen Supraleitern deutet manches auf magnetische Kräfte zwischen den supraleitenden Elektronen“, meint Wosnitza. Denn ehe ein ET-Salz den Widerstand verliert, wird es magnetisch. „Wir wissen aber nicht, was passiert, wenn organische Materialien vom magnetischen in den supraleitenden Zustand übergehen“, sagt Jérome. Die Physiker wissen nicht einmal, ob die magnetische Bindung erhalten bleibt. Denn sowohl Dressel als auch Wosnitza haben Belege dagegen gefunden. Dressel sammelt Informationen über Aufenthaltsort und Energie der Elektronen. Diese Daten trägt er in ein Diagramm ein, das wie Spaghettis auf Papier aussieht – die Bandstruktur. Besonders abgesehen hat er es dabei auf Lücken in dem Gewirr der Bänder, in denen sich die Elektronen aufhalten. „In einem konventionellen Tieftemperatur-Supraleiter darf es in einem bestimmten Bereich keine Elektronen mehr geben, wenn der Stoff den Widerstand verliert“, sagt Dressel. „Wir haben diese Lücke in der Bandstruktur von einem ET-Salz gerade zum ersten Mal direkt beobachtet.“ Das ist ein Hinweis darauf, dass die Elektronen sich auch in organischen Supraleitern mit Hilfe der schwingenden Atome paaren.

Mit den Erkenntnissen über die Bandstruktur wollen Forscher die Eigenschaften von Supraleitern gezielt beeinflussen. Denn bestimmte Materialien werden bei umso höherer Temperatur supraleitend, je schmaler und dichter das Band ist, in dem sich die supraleitenden Elektronen tummeln. Schmale Bänder aber finden sich in Kristallen, in denen ein großzügiger Abstand die einzelnen Teilchen trennt. Diesen Zusammenhang wollte Jan Hendrik Schön bei Buckminster-Fullerenen ausnutzen, fußballförmigen Molekülen aus Kohlenstoff. Doch der 31-jährige deutsche Physiker wurde darüber zum mutmaßlichen Fälscher. Ende September wurde er deswegen von seinen Vorgesetzten an den Bell-Laboratories im amerikanischen Murray Hill gefeuert. Schön belieferte die wissenschaftlichen Edel-Postillen „Science“ und „nature“ in den letzten Jahren dutzendweise mit vermeintlich spektakulären Entdeckungen – unter anderem von Fullerenen, die bei ähnlichen Temperaturen supraleitend werden wie der keramische Supraleiter BSCCO, und von supraleitendem Plastik. Den Widerstand dieser Substanzen hatte er angeblich mit einer neuen Methode überwunden, indem er ihnen in Transistoren Ladung injizierte. Jetzt haben Kollegen bereits in 16 von 24 dieser Veröffentlichungen gezinkte Daten gefunden. Das Entsetzen ist weltweit groß. Niemand konnte die Ergebnisse reproduzieren. Und es gibt weder genaue Hinweise auf Methoden noch ein Laborbuch, das die Messungen protokolliert. Verdächtige Daten hatte Schön rechtzeitig von seiner Festplatte gelöscht. Seine Mitarbeiter sprach das Untersuchungskomitee von einer Mitschuld frei. Einige Forscher hoffen, manche Ergebnisse könnten doch stimmen, denn sie seien einfach zu gut. Wären wenigstens einige wichtige seiner Entdeckungen richtig, hätte er das Bild von Supraleitern um eine neue Dimension erweitert. In der Tat fiel Schöns Name schon im Zusammenhang mit dem Nobelpreis, und er hat zahlreiche Auszeichnungen für seine Forschungen erhalten. Ein tiefer Fall für einen Jungstar. Die Geschichte eines anderen Physikers mit falschen Daten verlief dagegen sehr glimpflich: Alan Heeger behauptete bereits 1973, organische Kristalle gefunden zu haben, die schon bei rund 213 Grad unter null den Widerstand gegen Strom aufgeben. Das wäre nicht nur der erste organische Supraleiter gewesen, er hätte die Eigenschaft zudem bei rund 40 Grad höheren Temperaturen angenommen als alle damals bekannten Supraleiter. Viele Gruppen überprüften anschließend Heegers Ergebnisse. Die Forscherteams wollten selber auf dem neuen, Erfolg versprechenden Feld ernten. Sie fanden – nichts. Die Kristalle des organischen Moleküls waren nicht supraleitend, schon gar nicht bei der vergleichsweise hohen Temperatur, die Heeger angegeben hatte. Eine peinliche Geschichte für den Physiker, der damals an der Universität Pennsylvania lehrte. Da er seine Daten nur falsch interpretiert hatte und nicht vorsätzlich gefälscht, blieb es bei einer unschönen Episode. Seit dem Jahr 2000 ist Heeger Nobelpreisträger – ausgezeichnet für die Entdeckung leitfähiger Polymere.

Peter Hergersberg

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