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Mord im Auftrag des Gärtners

Allgemein

Mord im Auftrag des Gärtners
Biologische Schädlingsbekäpfung – Die Schlacht im Dunkeln. Was die Gärtner mit Erfolg geprobt haben, ist heute Vorbild für Privatleute und Büroleiter. Gegen Schildläuse und Spinnmilben werden statt Pestiziden immer häufiger Nützlinge eingesetzt – wie Marienkäfer, Killerfliegen und Schlupfwespen.

Ganz ruhig sitzt der Räuber auf seinem Stammplatz. Nichts in seinem Verhalten erinnert daran, daß er eine Fliege ist. Kein nervöses Hin- und Herlaufen, kein Flügelputzen. Nur konzentriertes Warten – bis eine Fruchtfliege eine Handbreit entfernt vorbeischwirrt. Blitzschnell jagt der Angreifer durch die Luft, packt das Opfer mit den Beinen und bringt es zu seinem Ansitz, dem Blatt einer Zimmerpalme. Er rammt ihm seinen Stachel in den Leib, injiziert ein lähmendes Gift und beginnt mit spitzen Mundhaken den Chitinpanzer der Fruchtfliege aufzubrechen. Mit einem Satz von Zähnen, die funktionieren wie kleine Messer, zerkleinert er dann das weiße Muskelfleisch des Opfers. Nachdem er seinen Hunger gestillt hat, läßt er den leeren Panzer fallen – auf den Berg von Leichenhüllen unter seinem Lieblingsplatz.

Dr. Stephan Kühne ist zufrieden mit dem Jagderfolg seines Forschungsobjekts, der Killerfliege Coenosia. Erst Anfang der neunziger Jahre hatten Biologen entdeckt, daß dieses gerade fünf Millimeter große Insekt einen großen Appetit auf viele fliegende Schädlinge in Gewächshäusern hat. Coenosia war damit ein idealer Kandidat für die biologische Schädlingsbekämpfung.

Kühne und seine Mitarbeiter von der Biologischen Bundesanstalt in Kleinmachnow bei Berlin begannen zu testen, für welche Einsätze die Killerfliege wirklich geeignet ist und ob sie sich in Gefangenschaft züchten läßt. Dafür mußten die Wissenschaftler aber zunächst selbst Schädlingszüchter werden, um ihre Forschungsobjekte ernähren zu können. So organisierten sie eine Massenzucht mit Trauermücken, deren fadendünne und glasigweiße Larven gefürchtete Schädlinge an Primeln, Pelargonien und Geranien sind.

Die Mühen lohnten sich: Die Killerfliege erfüllte die Erwartungen und kann seit einigen Wochen sogar von Kleingärtnern gekauft werden, um unter anderem Gurken und Tomaten vor lästigen Pflanzenfressern zu bewahren. Coenosia ist damit das jüngste Mitglied in der Familie der käuflichen Killer für den Haus- und Gartengebrauch.

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56 verschiedene Nützlinge kann man bereits in Deutschland erwerben: Schlupfwespen und Güllefliegen, die Stallfliegen den Garaus machen, und Raubmilben, um das Gemüse im Gewächshaus vor Blattläusen und Spinnmilben zu schützen.

Die Nützlinge arbeiten dabei nach ganz verschiedenen Prinzipien. Bei Marienkäfern und Killerfliegen sind sowohl die Erwachsenen als auch ihre Larven räuberische Fleischfresser. Schlupfwespen sind dagegen Brutparasiten. Sie legen ihre Eier in die Eier oder die Larven von Schädlingen wie der Weißen Fliege. Die heißt übrigens nur „Fliege“, ist aber biologisch eine Schildlaus. Die Schlupfwespen-Larve frißt ihren Wirt langsam von innen her auf. In der toten Hülle entwickelt sie sich dann zur fertigen Wespe.

Da die Nützlinge unterschiedliche Beutetiere haben oder zu verschiedenen Tageszeiten aktiv sind, kann man mit einer geschickten Kombination von Nutzinsekten die Schädlinge besonders effektiv bekämpfen. „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn wir räuberische Gallmücken und Schlupfwespen gemeinsam gegen Blattläuse einsetzen“, sagt Dr. Reinhard Albert vom Landesamt für Pflanzenschutz in Stuttgart, einer der engagiertesten Verfechter der biologischen Schädlingsbekämpfung in Deutschland.

Seit Ende der achtziger Jahre floriert das Geschäft mit der umweltfreundlichen Schädlingsbekämpfung (bild der wissenschaft 5/1995, „Der Krieg der Fliegen“). Nun erobern Marienkäfer & Co neue Märkte. Nach Gärtnern, Obstbauern und Schweinemästern haben auch Banken und Versicherungen die kleinen Killer entdeckt. Viele Firmen haben ihre Geschäftshäuser mit Pflanzen ausgestattet, um die Luft zu verbessern und die Büroräume wohnlicher zu gestalten.

Nach kurzer Zeit aber finden sich dort regelmäßig auch Schmierläuse und Thripse ein, die aus grünen Oasen schnell braune, struppige Pflanzenskelette machen können. Insektizide wollen gesundheitsbewußte Manager und Sachbearbeiter in ihren Arbeitszimmern ungern einsetzen. Obendrein sind zum Beispiel einige Arten von Schmierläusen längst resistent gegen die meisten Pflanzenschutzmittel.

Deshalb holen sich die Pflanzenfreunde immer häufiger professionelle Schädlings-bekämpfer, die mit Blumenwanzen oder Marienkäfern die verhaßten Untermieter beseitigen. Außerdem kaufen sie ihre Innenraum-Begrünung – wie sie bei Gärtnern heißt – in Betrieben, die ihre Pflanzen schon in der Gärtnerei mit Nützlingen schützen und somit pestizidfrei arbeiten. „Dieses Geschäft boomt geradezu“, sagt Albert.

Bei der Entwicklung neuer Methoden, um die „Innenraumbegrünung“ zu schützen, hat Albert Forschungserfolge zu melden. „Inzwischen können wir alle Schädlinge bei Zierpflanzen mit Nützlingen bekämpfen.“ Die erste Bewährungsprobe hatten die biologischen Helfer in Botanischen Gärten und Schwimmbädern. Da hier stän-dig Menschen – vor allem Kinder – unterwegs sind, suchten die Betreiber schon früh nach gesundheitsfreundlichen Alternativen zu chemischen Pflanzenschutzmitteln. Mit gutem Erfolg: „In manchen botanischen Gärten brauchen wir kaum noch nachzuhelfen“, erklärt Albert. „Die Schwebfliegen im botanischen Garten von Karlsruhe werden effektiv, aber unauffällig ganz allein mit den Blattläusen fertig.“

Um die hilfreichen Killer ständig zur Hand zu haben, machen einige Gärtner, wie Walter Seidel aus Lauffen am Neckar, sogar etwas auf den ersten Blick völlig Unsinniges: Sie züchten Schädlinge – allerdings Getreideblattläuse, die mit Schnitt- und Topfblumen nichts anfangen können.

In den Gewächshäusern von Seidel stehen kleine Topfreihen mit Getreide und seinen Schädlingen. „Wenn wir wissen, daß wir in drei Monaten Geranien oder Fuchsien zum Verkauf fertig haben müssen, dann ziehen wir uns rechtzeitig Blattläuse heran und mit ihrer Hilfe ihre Gegenspieler, etwa Schlupfwespen“, erklärt der Gärtner. „Wenn wir dann merken, daß die Blumen Läuse bekommen – Arten, die sich auf Zierpflanzen spezialisiert haben -, lassen wir die Wespen für uns arbeiten. Die machen keinen Unterschied zwischen Getreide- oder anderen Blattläusen. Nach drei bis vier Wochen sind alle Läuse parasitiert und sterben.“ „Offene Zucht“ nennen die Experten dieses Verfahren. „Es ist ausgesprochen preisgünstig“, hat Reinhard Albert herausgefunden. „Wenn die Getreideblattläuse und ihre Gegenspieler gut gepflegt werden, kann ein Gärtner fast die Hälfte der Kosten für die Schädlingsbekämpfung sparen.“

Für die Killerfliege Coenosia gibt es diese langfristige Strategie noch nicht. Sie erledigt ihre Aufgabe oft so gründlich, daß sie alle Schädlinge vernichtet und nach getaner Arbeit verhungert. Stephan Kühne und sein Team überlegen sich zur Zeit, wie eine offene Zucht für Coenosia funktionieren könnte.

Die Killerfliege wird deshalb noch nicht für den Schutz der Innenraumbegrünung angeboten. Aber das muß nicht so bleiben. „Die Coenosia ist ein angenehmes Tierchen, ganz ruhig und gar nicht lästig“, meint Kühne. „Ich könnte sie mir schon gut als Hausgenossen vorstellen.“

Thomas Willke

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